Aufrechter schreibt:
13. Februar 2015, 10:31
Verehrter Aufrechter,
nun ja, übernommen oder nicht – das ist die Frage. A und B ist natürlich eine ein bisschen dürftige Einteilung. Ich will bestimmt nicht eine Bilanz des Gesprächsprozesses ziehen – das würde mich zu sehr an Kafka erinnern (An den musste ich ohnehin öfter denken.). Aber die vielen Gespräche blieben ja nicht ohne Wirkung. Wir hatten uns ja schon über den südzamonischen Grobianismus ausgetauscht und Bezüge zur Duhem-Quine-These hergestellt. Nun habe ich gerade mit großem Gewinn Paul Feyerabends "Erkenntnis für freie Menschen" in die Hand genommen (und werde mein Seminar umstellen müssen). Darin findet sich für mich ein Schlüssel zum Verständnis dessen, was wir hier erlebt haben. Das würde ich ganz gern erörtern. Sollte es Ihnen vor Augen kommen, wäre ich sehr an Ihrer Meinung interessiert (Die Bemerkung, dass der Beobachter sich lieber Teilnehmer nennen sollte, gehört hierher – wobei er in meinen Überlegungen natürlich keine Rolle spielen wird.). Ansonsten schon witzig, wie das mit den Verschwörungstheorien so läuft. Da kann man sich gar nicht so richtig gegen wehren.
Herzlich
Ihr Paul
Ein Luther für den Islam?
Auch Muslime müssten angesichts des IS-Terrors endlich eine Reformation durchführen, heißt es im Westen. Dabei gab es sie längst – der Terror ist eines ihrer Kinder.Nach den islamistischen Terroranschlägen von Paris tat das christliche Abendland einmal wieder, was es ohnehin gerne tut: Es predigte der Welt von einer hohen Kanzel herab. »Der Islam braucht eine Reformation«, hieß die nicht ganz neue Losung. Was meint: Liebe Muslime, holt endlich nach, was wir vor 500 Jahren schon erledigt haben.
Dabei hat der Islam längst eine Reformation erlebt – und das Ergebnis ist verheerend. Es heißt Wahhabismus, Salafismus, die Welt zittert vor ihnen. Wie konnte das geschehen?
Salaf ist das arabische Wort für den Vorfahren. Ein Salafist orientiert sich radikal am Wortlaut seiner Heiligen Schrift und den Überlieferungen der ersten Glaubensgenerationen – in seiner harten Kritik an gewachsenen Traditionen und Volksglauben ähnelt er den christlichen Reformatoren: Allein die Schrift! Es begann in einer arabischen Oasenstadt mit dem Gelehrten Muhammad ibn Abd al-Wahhab im 18. Jahrhundert, der Heiligenverehrung und Wallfahrten strikt ablehnte und durch eine Rückkehr zum Wortlaut des Korans den Islam reinigen wollte. Den Wahhabismus benutzte der saudische Emir zur Einigung seines Reiches. Heute gebiert er den Terror.
Das wird auch der andere große Vater des Salafismus nie gewollt haben: Jamal al-Din al-Afghani. Ein 1838 in Persien geborener Querdenker, der sich selbst als muslimischer Martin Luther sah. Die islamische Welt lag schon im 19. Jahrhundert darnieder – entweder unter dem Joch der europäischen Kolonialmächte oder eines morschen osmanischen Kalifats. »Ich kämpfe für eine Reformbewegung im heruntergekommenen Orient, wo ich Willkür durch Recht, Tyrannei durch Gerechtigkeit und Fanatismus durch Toleranz ersetzen möchte«, das war al-Afghanis Programm.
Seine islamische Reformation war durchaus liberal. Wie Luther nutzte er die modernen Medien seiner Zeit und warb für eine Bildungsrevolution. »Der wahre Geist des Koran steht vollkommen im Einklang mit modernen Freiheiten«, daran glaubte er. Den Grund für die muslimische Misere sah al-Afghani in der Verunreinigung des Islams, auch er wollte wie sein Vorbild Luther zurück zu den Quellen. Doch der Kalif in Istanbul lies den Reformer ebenso wie die britischen Kolonialherren aus dem Land werfen. Eine Chance blieb ungenutzt.
So verhärteten sich die Fronten, aber der Funken war in der Welt. Al-Afghanis Schüler gründeten 1928 die Muslimbruderschaft, seine Schriften inspirierten die Islamische Revolution im Iran. Heute gilt er als geistiger Vater des politischen Islam, der friedlichen Kämpfer für eine säkulare Demokratie – aber auch von Osama bin Laden und seinen terroristischen Nachahmern, betont der indische Autor Pankaj Mishra, Träger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung.
»Wer von der muslimischen Religionsgemeinschaft eine Reformation protestantischen Maßstabes einfordert, der darf sich über den innerislamischen Religionskrieg nicht wundern und auch nicht beschweren«, schreibt Muhammad Sameer Murtaza, Islamwissenschaftler bei der Stiftung Weltethos. »Man kommt nicht umhin, eine Parallele zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und den derzeitigen Schlachtfeldern im Irak und Syrien zu ziehen.«
Al-Afghani scheiterte mit seiner menschenfreundlichen Reformation, weil er anders als Luther keine politisch Mächtigen für sie gewinnen konnte. Das aber ändert sich gerade. Angesichts des IS-Terrors fordert der ägyptische Präsident al-Sisi – ähnlich wie der jordanische König – eine »religiöse Revolution« und »Aufklärung« im Islam. Beide sind alles andere als lupenreine Demokraten. Das aber waren Luthers Fürsten auch nicht.
Lieber Paul, ist es nicht so, das es diesen "Gesprächsprozess" in der Kirche gibt, seit es Menschen gibt, die das betreiben, was wir so Theologie nennen? Was wir gemacht haben ist ein ganz kleiner, recht schlichter Beitrag in einer Reihe von Denkern, die sich, wie Bernhard von Clairvaux und Abelard gegenüber standen.
Ist das, was wir mühsam gemacht haben, deswegen unwichtig?
Sicherlich kann man alles relativieren und dahin kommen, das man meint, keinen Standpunkt haben zu müssen. Vielleicht ist es auch so, das kein Standpunkt und keine, von uns angenommene Theorie, der Weisheit letzter Schluss ist.
Aber ich denke, dass die Gespräche, die um den Einen und Ewigen kreisen und um das, was wir mit ihm und durch ihn erleben und erfahren, nicht aufhören werden und wohl auch nicht aufhören sollten.
Wenn wir nur noch um das Hier und Jetzt kreisen und die Fragen, wie wir das höchst ethisch gestalten können, ohne uns Gedanken über unser Fundament zu machen, hören wir auf Gemeinschaft unter Jesus Christus zu sein. Dann verlieren wir uns und sind, für diese Welt, überflüssig.
Gert Flessing
Ich fürchte, Sie überschätzen mich, verehrter Paul. Aber ich will aufmerksam sein!
Hinsichtlich der Implementierung gewisser Theorien sehen Sie mich allerdings ebenfalls schwer begeistert, jawoll!
Lieber Herr Roth,
Sie haben einen sehr spannenden Artikel geschrieben - Gratulation. Im Wahhabismus und in al-Afghani die Reformation zu erblicken, die das Christentum mit Luther und anderen hatte - und die jetzigen innerislamischen gewälttättigen Auseinandersetzungen in Analogie zum 30jährigen Krieg zu sehen - sehr interessant.
Die Lehre daraus wäre natürlich auch, dass Reformationen offenbar sehr viel Zeit brauchen - und von außen recht schlecht zu beeinflussen sind. Und wenn Europa 30 Jahre hatte, blutig so lange aufeinander einzuprügeln, bis fast nichts mehr zum Essen und zum Töten da war, dann kann man ein wenig ahnen, wie lange wir die Fernsehnachrichten unserer Tage noch zu sehen bekommen - zumal al-Wahhab von den heutigen Auseinandersetzungen zeitlich schon weiter weg ist, als es Luther vom 30jährigen Krieg war. Schade ist natürlich auch, dass es die Krieger immer leichter als die Friedlichen haben, die Leute zu Mitmachen zu motivieren - freilich genügen da auch immer ganz wenige, um allen anderen das Leben zu verderben. Aber deutlich ist dann auch, dass auch die jetzigen gewälttätigen Ausprägungen des Islam natürlich etwas mit dem eigentlichen Islam zu tun haben - nämlich als Suche nach dem richtigen Weg - und als Verteidigung dessen, was man bereits gefunden zu haben meint. Und die Stifterfigur des Islam hat ein anderes Verhältnis zur Gewalt, als es bei Jesus Christus der Fall war. Auf Christus konnte sich keiner der christlichen Kämpfer berufen - wenngleich es sie auch nicht abgehalten hat, weiterzumachen. Welche islamische Richtung in der Zukunft einmal führend sein wird, bleibt abzuwarten. Hoffentlich wird der Islam mal genauso friedlich, wie es das Christentum jetzt ist. Es war ein langer Weg dorthin.
Welche Rolle die Feinde von außen - also wir - langfristig für diese islamische Reformation spielen werden, wäre noch abzuwarten...
Bei aller Tragik, die unseren Zeiten innewohnt - sie sind auch sehr spannend.
„Mit Lebensfreud und Fastnachtstrubel feiert die Region Schoduvel" - nix los im Abendland
Ja sikker, das Abendland is lam
Na also, geht doch: in der Nikolaikirche wurde aus Koran und Bibel gelesen...
Wasund wer denn?
@Leipziger: Soll Leute geben, die so eine Provokation toll finden. Gut dass unser Pfarrer sich nicht auf sowas einlässt, na wir vom KV würden ihm einheizen. Das ist eine Kirchenentweihung, hab noch nie gehört dass in einer Moschee die Bibel verlesen wird.
Januar: Paris, Februar: Kopenhagen, März:...., April:..., so ein Glück, dass das alles nichts mit dem Islam zu tun hat, man kann sich sonst nur noch fürchten. Diese ekelhaften Antisemiten sollen unser Land verlassen, bevor es die jüdischen Mitbürger tun!
Gert Flessing schreibt:
13. Februar 2015, 22:10
Lieber Herr Flessing,
vielleicht haben Sie mich falsch verstanden. Ich meine nicht, dass das unwichtig war, was wir versucht haben. Die Frage ist, ob es erfolgversprechend war – ob es irgendwann die berechtigte Hoffnung gab, dass es etwas bewegt. Ansonsten habe ja versucht, meinen Teil beizutragen. Zum Gespräch und zum Versuch der Aufklärung gibt es keine ernsthafte Alternative – trotz der Erfahrung, dass beides scheitert.
Standpunkte hatte ich reichlich bezogen, relativiert vor allem meine Wahrheitsansprüche im Blick auf andere. Und das unser Wissen Stückwerk ist, habe ich auch stets betont.
Wenn unsere Gedanken um den Einen und Ewigen kreisten, wäre dies in der Tat gut. Oft kreiste aber der Eine und Ewige als Keule über unseren Häuptern – weshalb ich den Aufrechten sehr gut verstehen kann, dass er kein Interesse mehr am Gespräch zeigt. Wie soll man auch mit Menschen Fragen bedenken, die schon gar keine Fragen mehr haben, dafür aber wissen, dass sie Gott im Sack haben?
Herzlich
Ihr Paul
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