Zwischen Friede-Freude-Halleluja: Ergaenzend fuer ein vernachlaessigtes Thema hier: http://citizengo.org/de/25238-sudan-keine-Todesstrafe-fuer-unschuldig-in...
Damit er klug wird
Über 100 000 Christen trafen sich in Stuttgart zum Kirchentag unter dem Motto »Damit wir klug werden«. Neu ist: Das traditionell eher linke Protestantentreffen sucht die Nähe zu konservativen Christen – und scheut allzu einfache Antworten.Aktivisten der atheistischen Giordano-Bruno-Stiftung verteilen in Stuttgarts Innenstadt Luftballons mit der Aufschrift »Gottlos glücklich«. Nicht weit entfernt wirbt ein Schild für »Kostenlose Heilung«. Denn »Jesus heilt auch heute noch«, wie eine Frau erklärt. Sektenprediger und Traktatverteiler aller Couleur sind unterwegs. Mittendrin die rund 97 000 Dauerteilnehmer des Kirchentages, in deren Programmheft auf Seite 12 gendergerecht erklärt wird, dass zwecks Diskussionsteilhabe in den Veranstaltungshallen »Saalmikrofoninnen und -mikrofone« zur Verfügung stehen. Beobachtung Nummer eins: Kirchentage sind immer auch ein bisschen verrückt.
Stuttgart bot zudem »eine historische Zäsur«, wie es Kirchentagsgeneralsekretärin Ellen Ueberschär vor der Presse bezeichnete: 8000 Menschen versammelten sich am Donnerstag in der Porsche-Arena zum »Christustag«, der von Gruppen des innerkirchlichen Pietismus in Württemberg getragen wird – zwar noch parallel zum Kirchentag und nicht voll integriert, aber immerhin nicht mehr als Gegenveranstaltung. Mit dabei ist die frühere sächsische Synodalpräsidentin Gudrun Lindner. Sie stellt fest, dass die Kirche angesichts der nach Orientierung fragenden Menschen »sehr viel« sage, zumeist aber bei einem »Einerseits und Andererseits« stehen bleibe. Für Christen sei es deshalb an der »Zeit, aufzustehen gegen Lehren, Ideologien und Kräfte in Kirche und Gesellschaft, welche die Freiheit des Bekenntnisses einschränken wollen«. Die Anwesenden applaudieren der Frau, die gemeinsam mit dem gerade zum neuen sächsischen Landesbischof gewählten Pfarrer Carsten Rentzing Mitinitiatorin des Aufrufes »Zeit zum Aufstehen« ist.
Tosenden Applaus erhält auch Pastor Anatoli Uschomirski, Leiter einer Gemeinde von messianischen Juden in Stuttgart. Er hat harsche Kritik am Kirchentag, der messianischen Gruppen die Teilnahme am »Markt der Möglichkeiten« seit Jahren versagt. Doch steht einen Tag später zumindest ein theologisches Streitgespräch zwischen dem britischen messianischen Theologen Richard Harvey, dem jüdischen Publizisten Micha Brumlik und dem hannoverschen Landesbischof Ralf Meister auf dem Programm. Mehr als 700 Plätze bietet der voll besetzte Saal. Für die Simultanübersetzung des auf Englisch gehaltenen Hauptvortrages gibt es allerdings nur etwa 100 Kopfhörer. Beobachtung Nummer zwei: Der Kirchentag bleibt manchmal hinter seinen eigenen Maßstäben zurück.
Vorbei scheinen zudem die Zeiten der steil formulierten Forderungen an Politik und Gesellschaft und der einfachen Antworten, die sich selten für die Umsetzung in den realen politischen oder wirtschaftlichen Gegebenheiten eigneten. Ein Beispiel: Für viele unverständlich, war das »Zentrum Frieden« nicht Teil des offiziellen Programms, sondern von Friedensgruppen parallel organisiert. Dort konnte man altbekannte Forderungen wie nach Abschaffung der Bundeswehr hören.
Die Kirchentagsverantwortlichen aber legten Wert darauf, das Friedensthema »nicht im Getto« zu verhandeln sondern auf allen Podien »differenziert zu diskutieren«, so Ueberschär. Ob Bundespräsident Joachim Gauck mit dem Soziologen Hartmut Rosa über die freie Marktwirtschaft stritt, Kanzlerin Angela Merkel sich den Fragen zur digitalen Zukunft oder Innenminister Thomas de Maizière sich der Kritik in Sachen Flüchtlinge und Asylbewerber stellte: Man war auf der engagierten Suche nach politikkompatiblen Antworten. Beobachtung Nummer drei: Der Kirchentag ist nachdenklicher und bescheidener geworden. Gut getan hat es ihm allemal.
Die Veranstaltung zum messianischen Judentum war an diesem Kirchentag sicher eine Highlight. Der Saal war voll und es war sehr heiß. Es wurde auch sehr scharf gestritten, aber zumindest wurde das Thema aufgegriffen. Ich verfolge das schon länger, sehe das es verschiedene Richtungen gibt (z.B.: http://www.jadbjad.de/aktuelles/nachbericht-zur-podiumsdiskussion-messia...) und erwartetete schon lange klärende Worte der Kirchenführung. Das ist Bischhof Meister nur halb gelungen. Das mit den Kopfhörern war wirklich ärgerlich. Auch das ca. 30 Minuten vor offiziellem Ende keine Fragerunde mehr gemacht wurd.
Aber so viel nachdenklicher fand ich den Kirchentag 2015 nicht.
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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