In den Stall von Bethlehem kamen Menschen von weit her – Menschen wie Aysan, die im Iran zum christlichen Glauben fand, im Erzgebirge Schutz sucht und nun dort Weihnachten feiert.
Aus ihrer iranischen Heimat kennt Aysan keine Pyramiden – in der Schneeberger Auferstehungskirche zeigt ihr Ernst Günther die Weihnachtsgeschichte in Miniatur. ©
Steffen Giersch
Aysan berührt den Weisen aus dem Morgenland. Sein weißes Kopftuch, seinen nachtblauen Mantel, so zieht er wie ein Wanderer aus der Fremde seine Kreise in einer Pyramide im Vorraum der Schneeberger Auferstehungskirche. »Iran«, sagt Ernst Günther (70) und zeigt auf die Figur. »Ja«, nickt Aysan (40) leise. Beide können nur wenig Englisch, aber beide denken das Gleiche.
Von weit her aus dem Osten kamen die Weisen an Jesu Krippe. Ohne zu wissen, was sie erwartet. Nur auf Hoffnung hin. Eine Hoffnung brachte auch Aysan nach Schneeberg, in Ernst Günthers Erzgebirgsstadt, die aussieht wie ein einziger Weihnachtsberg. Aysan heißt in Wirklichkeit nicht Aysan, denn sie hat Angst um ihre Familie im Iran. Dass sie Angst hat, hat mit ihrer weihnachtlichen Hoffnung zu tun. So verwickelt ist das.
Wie bei den Drei Weisen aus dem Morgenland ist Aysans Hoffnung ein Gegenbild zu Gewalt und Tod dieser Welt. Was in der Weihnachtsgeschichte der Gewaltherrscher Herodes ist, sind in der Geschichte der blonden Frau die Polizisten auf den Straßen Teherans. Die Künstlerin, die Figuren aus Ton formt, erzählt von den Studentenprotesten gegen die Wahl des Präsidenten Ahmadinedschad vor sechs Jahren. Sie habe gesehen, wie Polizei die Menschen schlug und gefangen nahm – Männer und Frauen und Kinder. Etliche wurden in diesen Tagen getötet.
Etwas muss damals kaputt gegangen sein in Aysan angesichts der reinen Gewalt, mit der schon Herodes nach Matthäus die kleinen Kinder von Bethlehem töten ließ, um seine Macht zu retten. Sie suchte in der Islamischen Republik einen Stern der Hoffnung und fand ihn, so erzählt sie, vor zwei Jahren in einer illegalen christlichen Kirche. In einer Wohnung. Auf den Abfall vom Islam steht im Iran die Todesstrafe. Die Angst folgte der Hoffnung sofort. Und die Flucht, wie in der Weihnachtsgeschichte bei Matthäus.
Als Aysan an einem Sonntag im Oktober vor die Tür der Schneeberger Turnhalle trat, die nun ihr neues Zuhause war, stand draußen vor der Tür ein kantiger Erzgebirger mit einem Klappbuch voller Symbole und zeigte auf eine gemalte Kirche. Aysan verstand und ließ sich von Ernst Günther mit anderen Flüchtlingen zum Gottesdienst in seine methodistische Kirche fahren. Dort entspannte sich ihre Angst für einen Moment.
Jeden Sonntag steht Günther vor der Turnhallentür der einstigen Schneeberger Jägerkaserne, die hunderte Flüchtlinge beherbergt. Vormittags lädt er in seine Heimatkirche ein, nachmittags gestaltet er mit lutherischen und freikirchlichen Pfarrern Gottesdienste gleich neben dem Speisesaal der früheren Kaserne.
Günther kennt die Stimmung in seinem Erzgebirge, in dem es weihnachtlich lichtelt. Sie ist nicht nur gut gegenüber den Flüchtenden. Der Kfz-Meister und Schneeberger Stadtrat muss an die Geschichte vom Stall in Bethlehem denken: »Jesus war auch arm geboren. Letzten Endes sind wir doch alle Flüchtlinge.« Er zitiert aus dem Hebräerbrief: »Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.«
Drin in der Turnhalle hat sich Aysan ein Zelt aus Decken gebaut. Junge Männer dösen auf blauen Liegen, andere haben ihre Pritschen zu Zäunen umgeklappt, eine Illusion von Privatsphäre. »Es ist hier sehr schwer allein als Frau«, sagt Aysan. Dass sie Christin ist, sagt sie hier lieber keinem.
Sie mag die weihnachtlichen Lichter des Erzgebirges. Ob sie den Heiligen Abend mit Ernst Günther feiern oder vorher in ein anderes Heim verlegt wird, weiß sie nicht. Ob die Gründe für ihre Flucht genügen, um in Deutschland zu bleiben, weiß sie auch nicht.
Sie hofft viel. Und sie bete viel, sagt Aysan. Einen anderen Kompass hatten auch die Drei Weisen aus dem Morgenland nicht.
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