Vermutlich werden viele begeistert sein von der neuen Lutherbibel - und sie wird in den Kirchen verwendet werden. Dem Anliegen Luthers, das Evangelium in unsere Sprache zu übersetzen, damit jeder es versteht, wird sie aber vermutlich nicht gerecht werden. Alle Vorberichte hören sich wie sprachliche "Denkmalpflege" an - die historische Fassung wird wiederhergestellt. Dem Evangelium schadet das wohl eher. Wir leben nicht mehr in der Renaissance-Zeit. Und so sprechen wir auch nicht mehr. Hübsch fand ich auch das Argument: "je tiefer ein Text im Gedächtnis der Gemeinde verankert ist...." Da höre ich mir sonntags dann an, mit welchen Mühen sich die Lektoren durch die Episteln quälen und frage mich: Von welcher Gemeinde und welcher Verankerung reden die denn hier? Und sowieso frage ich mich, was wohl Luther heute zu diesem Text sagen würde.
Keine Frage, dass die neue Bibel sicher ein gutes Werk geworden ist. Leider aber wird sie auch die führende Gottesdienstbibel werden - und als solche schadet sie vielleicht sogar eher als dass sie nützt.
Ich hatte mal Gelegenheit, mit einen tamilischen Pfarrer zu sprechen. Ich fragte ihn, ob sie in den Gottesdiensten noch die von Bartholomäus Ziegenbalg im 18. Jahrhundert ins Tamilische übersetzte Bibel nutzen. Er sagte: "Natürlich nicht. So spricht doch heute keiner mehr. Wir haben eine Übersetzung von 2007." Ach - haben die ein Glück, dass Luther kein Tamile war.
Mehr Luther in der Bibel
Frisch übersetzt: Die neue Lutherbibel ist da. Sie ist nun das Maß der Dinge in der Evangelischen Kirche. Doch wie gravierend sind die Änderungen?Sie wird von vielen mit Spannung erwartet: Die Neuübersetzung der Lutherbibel. Am 19. Oktober wird sie feierlich auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert.
Diese »Lutherbibel 2017« löst die bisherige Übersetzung aus dem Jahr 1984 ab und ist nun die »kirchenamtliche« Fassung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Das bedeutet zum Beispiel: In Gottesdiensten kommt fortan nur diese revidierte Lutherbibel zum Einsatz.
Manche schauen sicherlich mit Bangen auf die neue Fassung. Wie sehr greift sie in die vertraute und verinnerlichte Übersetzung von 1984 ein? Die Nachricht, dass rund 12 000 Verse des Alten und Neuen Testaments verändert wurden, scheint diese Sorge zu verstärken.
Doch die Sorge ist unbegründet. Denn diese Revision ist keine Revolution. Mit großer Behutsamkeit haben die 70 Bibelübersetzer in den vergangenen fünf Jahren eine Fassung erarbeitet, die nah am gewohnten Text bleibt und dennoch kleine geänderte Nuancen aufweist. Damit soll den neuen Forschungserkenntnissen und dem heutigen Sprachverständnis entsprochen werden.
Insgesamt bleibt Luther das Maß der Dinge – und zwar mehr denn je. Denn ein Drittel aller Änderungen sind Wiederherstellungen der Ur-Übersetzung Luthers von 1545. »Wir kehren oft zu Luther zurück, die Sprache und Poesie Luthers soll erkennbar bleiben«, sagte Altbischof Christoph Kähler, der dem Lenkungsausschuss zur Durchsicht der Lutherbibel vorstand. Aus seiner Sicht ist nun mehr Luther in der Bibel als vorher. Beispielsweise lautet der Anfang des 42. Psalms nun wieder so, wie ihn Luther einst übersetzt hatte: »Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir.« Die Bibelrevision aus dem Jahr 1984 hatte »schreien« durch »lechzen« ersetzt.
Der Theologe Frank Muchlinsky sieht diesen starken Rückbezug auf Luthers Urübersetzung allerdings kritisch. »Man hat sich bei der Revision der Lutherbibel tatsächlich gegen die Verständlichkeit entschieden – zugun-sten der Wiedererkennbarkeit und Authentizität der Lutherbibel«, schreibt Muchlinsky in einem Beitrag für »evangelisch.de«. Damit werde die Revision der Lutherbibel zu einer Art »Liebhaberstück«. Für Muchlinsky eine logische Entwicklung: »Die Lutherbibel war und ist so etwas wie der Heilige Gral des deutschen Protestantismus.«
Christoph Kähler gibt zu, dass sich durch die starke Orientierung an Luthers Übersetzung von 1545 ein gewisser altmodischer Duktus des Textes noch etwas verstärkt habe. »Auf der anderen Seite wurde es dadurch aber auch möglich, die theologischen, sprachlichen und poetischen Vorzüge der Lutherbibel wieder deutlicher zur Geltung zu bringen.« Und diese Vorzüge seien die an mündlicher Predigt orientierte Sprache, die auch in die Kultur eingesickert sei. Diese »heilige Sprache« will die revidierte Fassung von 2017 erhalten und pflegen.
Versänderungen wurden schließlich mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Gremium der Übersetzungs-Fachleute beschlossen. Kam diese Mehrheit nicht zustande, blieb die Textfassung von 1984 in kraft. Grundsätzlich habe man sich an folgende »Faustregel« gehalten: »Je tiefer ein Text im Gedächtnis der Gemeinde verankert ist, desto weniger darf dieser Text geändert werden«, so Kähler. Die meisten und deutlichsten Eingriffe haben sich allerdings in den Apokryphen ergeben, also in den Ergänzungsbüchern der Bibel wie dem Buch Jesus Sirach oder Judit.
Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm (Foto) blickt voller Hoffnung auf die neue Lutherbibel: »Ich wünsche mir, dass sie in dieser Neuausgabe nun ein Buch wird, das viele Menschen neu entdecken.« Die weitere Glaubensgeschichte wird zeigen, ob das zutreffen wird.
Lieber Manuel,
der Geist weht, wo er will und mag! Und dass GOtt Seinen Segen zurückzieht, weil die Bibel lutherischer Landeskirchen wieder mehr dem Rhytmus und der gewaltigen Sprache Luthers angenähert worden ist, glaube ich nicht! Im Übrigen kommt derGlaube auch aus der Predigt. Und die Pfarrer werden wohl Luthers Sprache verstehen. Die Gefahr des Unverständnisses besteht höchstens dort, wo der Pfarrer sich genötigt sieht, ein Bibelwort an das andere zu reihen, statt es auszulegen.
Mit freundlichem Gruß
Johannes
Lieber Johannes,
streng genommen hätten die katholischen Kirchen weiland auch zu Luthers Zeiten so argumentieren können, um zu vermeiden, dass Luther die Bibel überhaupt übersetzt. Sollte aber der Sinn einer Übersetzung darin liegen, dem Verständnis des Evangeliums in irgendeiner Form behilflich zu sein, dann wäre es schön, eine sprachlich angemessene Übersetzung zu haben, die diese Funktion auch erfüllen kann. Ich habe manchmal den Eindruck, dass das Lutherdeutsch in unseren Kirchen über die Jahrhunderte das wird, was das Kirchenslawische in der orthodoxen Kirche ist - eine sakrosankte Sprache, die keiner versteht, die aber als liturgische Sprache weiterbesteht und nie verändert wird. Nicht das ich orthodoxer Frömmigkeit nichts abgewinnen kann - und Segen liegt gewiss auch drauf - aber lutherisch in Luthers Sinne ist das nicht.
Und überhaupt - sonst durchweht die deutschen Kirchen immer so ein Pathos der Moderne und der Aufgeklärtheit. Mit wenig erregt man so viel Langeweile wie zB. mit den lutherischen Bekenntnisschriften. Nichts ist so liberal, dass es nicht noch irgendwie kompatibel zum evangelischen Glauben wäre. Aber was die Form angeht, sind wir so was von konservativ und bestehen auf der Luthersprache (und auf barocker Kirchenmusik). Da sind mir manche Erzgebirgler lieber: die lesen die "Neues Leben" - Bibel und hören Lobpreismusik, aber sind in den Inhalten erzkonservativ (und aus der Sicht vieler demnach von gestern). So hat eben jeder von uns etwas Ewig-Gestriges - und jeder auch was sehr Zukunftsweisendes.
Ebenso freundliche Grüße,
Manuel
Mal so einige Fragen am Rande: Was machen wir denn, wenn es schon vor Luther Deutsche Bibelübersetzungen gab, Eggestein-Bibel aus Straßburg, um 1470 oder Lübecker Bibel um 1490? Und ist Gottes Wort nicht ganz weit vor Vor-vor-gestern? Und warum machen wir uns dann die Mühe und restaurieren romanische und barocke Dinge?
Herzlichst
Thomas aus Leipzig
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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