In einem warmen Blau
Musik: Frieder Zimmermann ist einer der erstaunlichsten Gitarristen und Komponisten in Sachsen. Auch alte Choräle taucht er in neue Farben.Für einen langen Moment liegt das Kreuz verschlossen wie in einem Stein aus Tönen. In einem Gesang ohne Worte, einem elektrischen Gebrumm. Unfassbar fremd mitten in der Kreuzkirche, wo sonst so selbstverständlich von ihm die Rede ist. Für die meisten der jungen Kapuzenpullover-Träger im vollen Kirchenschiff dürfte nichts davon selbstverständlich sein. Aus dem Stein aus Gesang und Gebrumm aber schält sich der alte Choral: »O Haupt voll Blut und Wunden.«
Es gibt kaum ein Experiment, das es bei einem Fest für elektronische Musik wie dem Dresdner DAVE-Fe-stival noch nicht gegeben hat. Doch ein Choral voller Opferbilder? Frieder Zimmermann (44) hört nicht auf den Text. Macht er bei Bach nie. Er lächelt. Und nimmt die Fäden der Melodie mit seinen Kollegen des Quohren Elektronik Kollektiv auf, spinnt sie fort, flicht Knoten und spannt Gewebe. »Wenn ich Bach höre, höre ich nicht mehr Blut und Verderben – sondern Hoffnung und Vergebung«, sagt er. Und so spielen sie das. Hoffnung und Vergeben scheinen zu Zimmermanns Grundtönen zu gehören. Die jungen Kapuzenpullover-Menschen in den Kirchenbänken halten für einen Moment den Atem an.
In der Musik findet der erstaunliche Gitarrist und Komponist Frieder Zimmermann, was am Ende unsagbar ist. So unsagbar wie Kreuz, Blut, Wunden. »Etwas Heiliges«, nennt er es. Frei von allem missionarischen Eifer. Sein unverwechselbarer Klang, den er in Bands und Theateraufführungen, Filmmusiken und Solo-Konzerten im freien Feld zwischen Jazz und Rock und Klassik und Volksliedern einbringt, kann flächig sein oder fein. Seine Wurzel ist die Stille. Das Hören. Sein Ziel: Statt vielen Tönen einen einzigen um so intensiver spielen. Einfach werden. Durchsichtig. Wesentlich.
Gelernt hat er das auch bei Robert Fripp, dem englischen Gitarristen und von Mystikern beeinflussten Sound-Entdecker, der mit Größen wie David Bowie, Peter Gabriel und Brian Eno zusammenarbeitete. Über Jahre ging Frieder Zimmermann immer wieder in dessen Schule mit Namen »Guitar Craft«. Sehr früh aufstehen, Meditation, Schweigen, und manchmal war da ein Kreis von 30 Spielern aus aller Welt und jeder schlug nur einen einzigen Ton an. »Aber wenn es funktioniert, ist es so innig. Wie Gitarren-Mönche.«
Innig sind auch die alten deutschen Lieder, die Frieder Zimmermann zusammen mit der Sängerin Katharina Johansson und der Nyckelharpa-Spielerin Caterina Other unter dem Namen »Tworna« ins Heute überträgt. Darunter wieder ein Choral: »O Heiland, reiß die Himmel auf«. Kennt der Musiker diese Sehnsucht? »Hoffnung ist ein ganz wichtiger Antrieb«, ist seine Antwort. »Und Beten sehr sinnvoll.« Weil so viel im Argen liegt in dieser Welt und zum Himmel schreit.
Frieder Zimmermann hat viel in der Weite des Mystikers Meister Eckhart und des Benediktinermönchs und Zen-Meisters Willigis Jäger nachgelesen. Mit festen Dogmen und Gottesbildern ist es für ihn wie mit dem Blut-und-Wunden-Text und Bachs Musik. Er lauscht lieber der Melodie. Und er mag die suchende Improvisation.
Seine ersten Berührungen mit dem Rock hatte der junge Frieder Zimmermann, Sohn eines Musikwissenschaftlers, nirgendwo anders als in der Kirche. Bei einem langhaarigen Kantor im Dresdner Plattenbauviertel Prohlis, der Oster-Oratorien samt E-Gitarren auf die Beine stellte.
Zimmermann spielte Bratsche, sang im Kirchenchor, eine seiner ersten Bands war eine Kirchenband mit Namen »Parkverbot«.
Es waren die letzten Jahre der DDR und die Kirche war der Raum der Freiheit. Als sich die Freiheit nach 1989 ins Unüberschaubare öffnete und eine Partei mit christlichem Titel die Obrigkeit zu stellen begann, wuchs auch Frieder Zimmermanns Entfernung zur Kirche. »In den katastrophalen Situationen dieser Welt«, sagt er, »fehlt mir bei ihr eine klare Positionierung«.
Und dennoch ließ er seine drei Kinder taufen. Und dennoch spielt er gern und oft in Gotteshäusern. Weil sie aufgeladen sind mit Geschichte, wegen ihres Halls – und in ihrer Konzentration auf den Altar. »Für mich ist die Musik ein Gottesdienst.«
Draußen vor seinem Fachwerkhaus im kleinen Dorf Quohren heben und senken sich die ersten Hänge des Osterzgebirges. Auch sie formen Frieder Zimmermanns Ton. Wie wohl auch seine drei kleinen Kinder, die in sein Studio gelaufen kommen. Es ist ein warmherziger Ton mit einem Hang zum dunklen Blau.
Mit ihm taucht er mit seiner Band »Tworna« auch Adventslieder in eine neues Licht. »Es kommt ein Schiff geladen«, zum Beispiel. Von Jesus handelt es, unserem Bruder. Zu unglaublich? Frieder Zimmermann zögert kurz. »Ich würde es mir schon wünschen, dass es so wäre«, sagt er dann.
Er hält den Ton in der Schwebe.