Auf der Suche nach der Kirche von morgen
Forum »frei und fromm« diskutiert in der Leipziger Peterskirche über neue HerausforderungenEine elegante Dame in leuchtendem Blau und Rot schreitet auf hohen Schuhen durch weit auseinandergerückte Stuhlreihen. Entzückt lächelt sie in die Ferne und ihre Augen leuchten vor Zuversicht. »Im Jahr 2035«, ruft sie, »können wir einfach so sein, wie wir sind. Egal, ob wir Frauen oder Männer lieben, welchen Lebensweg wir wählen, mit welchen Augen wir die Welt sehen und begreifen. Die Liebe, die Gott uns schenkt, geben wir weiter. Das andere macht uns schon lange keine Angst mehr, es bereichert uns doch.«
Sie träumt und droht sich gerade in ihren Träumen zu verlieren, als sie abrupt unterbrochen wird: »Krass, deine rosarote Brille!«, wird gerufen. Gewalt gegen Frauen, systemimmanenter Rassismus, eine wachsende Zahl an Hungertoten weltweit. Nüchtern aufgereihte Fakten holen sie auf den Boden zurück. Aber wer widerspricht hier eigentlich? Die Realität? Die traurigen Fakten? Ein resignierter Zeitgenosse? Ganz klar ist das nicht.
Klar ist hingegen die Intention: Hier sollen Gedanken Platz zum Fliegen bekommen, hier soll nicht nur ein Platz sein zum Reden, Streiten, Schweigen und Feiern, sondern vor allem ein Raum zum Träumen: Von einer friedlicheren und glücklicheren Welt. Und von einer Landeskirche, zu der man von ganzem Herzen »Ja« sagen kann. So begann am vergangenen Sonnabend in der großen und recht dunklen Peterskirche Leipzig der Forumstag des sächsischen Forums für Gemeinschaft und Theologie »frei und fromm«. Statt eines theologischen Referats stand zu Beginn dieser szenische Dialog.
Unter dem Motto »Sein wie die Träumenden« lud »frei und fromm« zum 5. Forumstag ein. Seit seiner Gründung 2016 versteht es sich als lose Sammlung progressiver Kräfte in der Landeskirche Sachsens. Oder wie die Mitinitiatorin und Pfarrerin der Peterskirche, Christiane Dohrn, formuliert: »Es geht um einen Ort für eine offene und auch politische Kirche. Gerade in der sächsischen Landeskirche. Wo gibt es sonst Räume dafür?«
Auch wenn die Stimmung auf dem Forumstag längst nicht mehr so aufgeladen ist wie zu jenen Zeiten, als die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare noch nicht erlaubt und Alt-Bischof Rentzing gerade ins Amt gewählt war – die Träume der Forumsteilnehmer spiegeln auch den Unmut über die Landeskirche im Jahr 2020. Über deren Umgang mit Schwulen und Lesben, insbesondere homosexuellen Pfarrern. Über ausbleibende Abgrenzungen nach Rechts und fehlendes Engagement für die bedrohte Schöpfung. Also werden Ideen für neue Aufbrüche gesammelt. »Caminando va – Leben lebt vom Aufbruch« singen die etwa 40 Teilnehmer und meditieren gemeinsam über einen Psalm. Anschließend diskutieren sie angeregt in Workshops über Repair-Cafés, Schlafplätze für Obdachlose und Möglichkeiten, die Seenotretter von »United4Rescue« zu unterstützen.
Der Tag gleicht einer Mischung aus Denkfabrik, Kirchencafé und spiritueller Glaubensfeier. »Gesellschaftlich passiert ja schon viel Veränderung«, sagt Anne Veit, eine der Mitinitiatorinnen. »Aber vielen macht das vor allem Angst. Kirche ist der Ort, der bei allem auch Hoffnung beisteuern kann.« Ganz am Ende wird ein Abendmahl im großen Kreis gefeiert. Statt Wein gibt es Trauben, zur weißen Albe tragen die Pfarrerinnen schwarze Handschuhe.
Sieben Stunden wurde hier über die großen und schweren Fragen nachgedacht. Belastet oder erdrückt scheint trotzdem niemand aufs Fahrrad oder in den Zug zu steigen. Eher mit der Lust, den Träumen ein konkretes Zuhause zu geben.