Kalt und kälter
Wie kalt ist unsere Gesellschaft wirklich – und wie blickt sie auf Armut? Um das herauszufinden, hat sich SONNTAG-Redakteur Andreas Roth als Verkäufer der Dresdner Straßenzeitung »drobs« in die Kälte gestellt. Und dabei auch Wärme entdeckt.Fast zehn Grad minus, der Frost hängt in der milchigen Morgenluft. Wie warm ist es in Sachsen? Die Wärme in den Herzen gegenüber jenen, die arm sind, will ich messen. Und weiß im selben Augenblick, wie unmöglich das ist. Wie vermessen. Es wird nur ein Näherungswert bleiben.
Ich melde mich bei der Dresdner Straßenzeitung »drobs« als Verkäufer. Als einer unter vielen, die seit Jahren keine Arbeit und kaum Geld haben – dafür aber den Mut, in der Öffentlichkeit zu ihrer Armut zu stehen und ihr mit der Zeitschrift ein Gesicht zu geben. Ich will für ein paar Stunden die Welt mit ihren Augen sehen.
9.55 Uhr Die Kälte, denke ich, ist gar nicht so schlimm. Ich spüre sie kaum. Die Wollmütze tief über den Kopf gezogen, dicke Socken in den abgetretenen Turnschuhen, die einst teuer und himmelblau waren. Deutschland geht es gut, heißt es. Mir geht es gut. Kälte? Welche Kälte? Ich suche mir eine Ecke am Eingang des Dresdner Elbeparkes zwischen zugigen Kauf-Klötzen, in deren blauen Spiegelfenstern sich die Verheißungen doppeln: Immer die billigsten Preise. Die Käufer, die mit ausladenden Ikea-Tüten und frisch erworbenen Toastern an mit vorbeistreben, sehen mich nicht. Kein verstohlener Seitenblick, kein kurzes Zucken, keine Irritation kann ich in ihren Gesichtern erkennen. Was ich in ihnen erkenne: mich selbst, gefangen in der Unrast des eigenen Lebens. ...
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