Klasse statt Masse
Leipziger Kirchentag punktet mit intensiven GesprächenWas sagt uns die Revolution von 1989? Darf über Behinderungen gelacht werden? Was bedeutet globale Gerechtigkeit? Solche Fragen wurden beim Leipziger Kirchentag in rund 40 Kneipengesprächen gestellt und diskutiert. Das Experiment, mit ernsthaften Themen durch die Kneipen der Stadt zu ziehen, ist gelungen: Von dem neuen Kirchentagsangebot wurde reger Gebrauch gemacht.
Zwischen 50 bis 200 Menschen seien pro Gespräch gekommen, sagt die Programmleiterin des »Kirchentages auf dem Weg«, Antje Rademacker. Es sei sehr intensiv diskutiert worden, manche hätten sich gleich für den nächsten Tag noch mal verabredet. Viele hätten bewusst das kleine Format jenseits der Massenveranstaltungen auf den Plätzen der Innenstadt gewählt.
Voll war es auch bei einem Gespräch mit Zeitzeugen der friedlichen Revolution im Leipziger Café und Restaurant »Telegraph«. Gäste stellten Fragen, Protagonisten antworteten. Dazwischen wurde ein kleines Bier bestellt. Eine junge Besucherin bedankte sich für den »großen Mut«, den die Zeitzeugen in der DDR bewiesen hätten. Eine von ihnen, Kathrin Mahler-Walther, die heute Vorstandsmitglied bei der Europäischen Akademie für Frauen in Berlin ist, appellierte: »Es braucht immer wieder eine neuen Generation, die mit neuem Mut losgeht.«
Ebenfalls zur Sache ging es bei einem Gespräch zu Extremismus, wieder im »Telegraph«. »Sie tendieren in Richtung Lügenpresse. Dass die Medien alles steuern, stimmt nicht«, kommentierte der Politikwissenschaftler Robert Feustel zweifelhafte Äußerungen eines Gastes. Das gehe schon »sehr weit in Richtung Verschwörungstheorie«. Feustel musste das Gespräch mit den rund 50 Kneipengästen allein bestreiten: Sein Gegenüber, der Chemnitzer Politikwissenschaftler Eckhard Jesse, hatte krankheitsbedingt abgesagt.
Gestartet war der Kirchentag eher schleppend. Zu Podien mit Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und der Grünen-Europaabgeordneten verirrten sich jeweils nur kleine Grüppchen in die riesigen Veranstaltungshallen. Der Eindruck bestätigte sich am Samstag bei der Bilanz: Zu den insgesamt 500 Veranstaltungen kamen knapp 15 000 Menschen – deutlich weniger als die erwarteten bis zu 50.000.
Zu einem der Highlights, der Uraufführung der Performance »Zum Licht«, wurde es auf dem Marktplatz am Freitagabend indes richtig voll. Gebannt verfolgten die rund 3.000 Menschen den wilden Ritt durch die Reformationsgeschichte, gestaltet vom Leipziger Mendelssohn Kammerorchester, dem Leipziger Ballett, dem Thomanerchor und anderen.
Zum Höhepunkt stellten zwei Schauspieler die Leipziger Disputation zwischen dem katholischen Theologen Johannes Eck und Reformator Martin Luther (1483–1546) von 1519 nach. Eck hoch oben auf dem Turm des Alten Rathauses, Luther auf einer zehn Meter hohen Holzkanzel, schmetterten sie sich quer über den gesamten Marktplatz ihre Argumente und Schmähungen entgegen.
Am Samstag dann war der orangefarbenen Kirchentagsschal bei bestem Wetter häufiger zu sehen. Zu einer Debatte des EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière kamen rund 150 Leute. De Maizière erneuerte seine Kritik am Kirchenasyl: Dass eine einzelne Gemeinde das Recht haben soll, »dem Staat als ultima ratio den Rechtsgehorsam zu verweigern, halte ich für falsch«.
Bedford-Strohm griff den Rüstungsdeal der USA mit Saudi-Arabien an. Es sei ein »Skandal«, dass ein einziger Bomber 1,2 Milliarden US-Dollar koste »und zugleich hat die Weltgemeinschaft keine 4,4 Milliarden Dollar übrig, um die Hungerkatastrophe in Ostafrika zu bekämpfen«, sagte der bayerische Landesbischof.
Seinen sonnigen Abschluss fand der »kleine Kirchentag« bei »Deutschlands längster Kaffeetafel« am Samstagnachmittag im Stadtzentrum. In der Fußgängerzone versammelten sich zahlreiche Gäste zum Kaffeeklatsch – unter den Gästen auch Sachsens Landesbischof Carsten Rentzing. Und wie bei den Kneipengesprächen zeigte sich: Am besten liefen bei diesem Kirchentag die geselligen Veranstaltungen im Öffentlichen.