Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, gehörte zur deutschen Delegation auf der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) vom 31. August bis 8. September in Karlsruhe. Im Vordergrund standen die Themen Klimawandel, Krieg in der Ukraine und der Nahost-Konflikt. Der Evangelische Pressedienst (epd) sprach mit Bischof Kramer über die Ergebnisse der Vollversammlung.
epd: In den Medien haben die Themen Ukraine und Nahost-Konflikt dominiert. Gibt es da einen Unterschied in der medialen Wahrnehmung und den Diskussionen im Plenum?
Kramer: Es gibt einen Unterschied, es gab ganz verschiedene Themen. Wir haben das Versammlungsmotto »Christi Liebe bewegt, versöhnt und eint die Welt« aus verschiedensten Perspektiven angesehen - und das sehr intensiv. Wenn die indigenen Völker erzählen, dass der Klimawandel keine 1,5- oder 2,5-Grad-Frage ist, sondern sie wirklich gerade ihr Überleben kostet, wenn sie dramatisch davor stehen, ihre Länder oder Inseln zu verlassen, wenn so einzelne Fragestellungen nach vorne kommen, dann merkt man, dass es eine große Vielfalt der Probleme auf der Welt gibt. Die Klimakrise und die Auseinandersetzung damit hat die Versammlung mehr bestimmt als die anderen Themen.
epd: Die Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist unterschiedlich aufgenommen worden. Hat sie den Verlauf der Versammlung beeinflusst?
Kramer: Erstmal ist es wichtig, dass der Bundespräsident gekommen ist, denn es ist ein historisches Ereignis, dass sich die Weltchristenheit hier in Deutschland trifft. Die Rede selbst hat unterschiedliche Reaktionen ausgelöst, es gab Irritationen und Verärgerung. Die russische Delegation hat nochmals eine Erklärung abgegeben. Die Rede hat die Frage aufgerufen, wie das Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland ist. Sie hat deutlich markiert, wo die deutsche Politik steht.
epd: Es sind ja auch die Delegationen der russisch-orthodoxen und der ukrainischen Kirchen aufeinander getroffen. Haben sie sich aufeinander zubewegt?
Kramer: Es ist ja so, dass sich viele aus anderen Kontexten kennen. Da gibt es alles, die völlige Ablehnung, nach dem Motto »Mit denen sprechen wir nicht«, aber auch Menschen, die einfach abends normal zusammensitzen. Und es war vor allem wichtig, dass sich viele Delegierte sowohl mit der russischen als auch mit der ukrainischen Delegation unterhalten konnten. Das mediale Interesse war vorrangig auf die ukrainischen Delegierten konzentriert. Oft, wenn man mit einem von ihnen gesprochen hat, musste der gleich zum nächsten Interview. Und auch dort wurde deutlich, es gibt verschiedene Wahrnehmungen, was jetzt hilfreich ist. Man kann nicht erwarten, dass jetzt hier Friedensverhandlungen von kirchlicher Seite stattfinden, das wäre eine völlige Überschätzung und auch ein Trugschluss. Was aber zentral wichtig ist – und das ist meiner Meinung nach ein Unterschied zwischen Politik und Kirche: Wir reden miteinander, und wir muten uns die Wahrheiten einander zu – wir bleiben aber trotzdem zusammen, obwohl die Wahrnehmungen völlig auseinanderfallen.
epd: Sie waren ja bei den Konsultationsgesprächen zum Thema Frieden mit dabei. Wie waren da die Ergebnisse?
Kramer: Es ist nochmals deutlich geworden, dass der Ruf zum gerechten Frieden weitergehen muss und weitergehen soll – gerade jetzt in diesen Zeiten. Und wir haben nochmals geschaut, wie internationale Organisationen, wie auch Frauen und die Jugend für dieses Thema eine Rolle spielen, wie man sie mit einbeziehen kann, gerade wenn es um »peace building«, also um Friedensgestaltung geht, wenn es darum geht, zivile Konfliktbearbeitung voranzubringen, wenn es darum geht, auch Versöhnungsprozesse in Gang zu bringen. Wir haben gemerkt, dass es da Ungleichzeitigkeiten gibt. Man kann jetzt zum Beispiel schlecht über die Versöhnung von russischen und ukrainischen Christen reden. Da muss erstmal ein Waffenstillstand kommen. An anderen Stellen ist es sehr wichtig, dass diese Versöhnungsprozesse auch weitergehen. Es gab während der Vollversammlung viele Exkursionen ins französische Umland und es wurde über die deutsch-französische Versöhnung gesprochen, was wiederum von vielen Christinnen und Christen aus anderen Ländern sehr wach aufgenommen wurde. Das ist ja auch ein beispielgebender Prozess, wie aus einer Erbfeindschaft und brutalsten Kriegen gegeneinander dann doch ein friedliches Miteinander werden konnte.
epd: Inwieweit ist denn die Versammlung ihrem Motto gerecht geworden?
Kramer: Die Grundhaltung, die man hier spürt, ist eine des liebevollen Umgangs und des Respekts. Und da erleben wir schon, dass wir die Liebe Christi, die wir alle zu Christus haben, mit unseren unterschiedlichen Positionen auch füreinander entwickeln können. Insofern ist das hier schon erlebbar gewesen, und das finde ich faszinierend, dass die Liebe Christi uns bewegt, vereint und auch auf den Weg der Versöhnung bringt. In manchen Punkten sagen andere, Vorsicht mit der Versöhnung, erst muss die Gerechtigkeit kommen – in der Frauenfrage, LGBTIQ oder Fragen sexueller Gewalt. Da geht es auch darum, dass die Kirche ihre Mitschuld begreift, ehrlich ist und Wahrheiten benennt – und sich dann auch auf den Weg des Friedens und der Versöhnung begibt.
epd: Was nehmen Sie jetzt mit nach Hause, gerade in der Frage der Ökumene?
Kramer: Erstmal wahnsinnig viele Kontakte, Gesichter, Begegnungen, die den Horizont erweitern. Sie erweitern mein Gebet, weil es sich jetzt mit konkreten Gesichtern verbindet. Das miteinander Singen und Beten war hier sehr gut vorbereitet, und dass alle Völker, Nationen und geistigen Traditionen darin vorkamen, hat wirklich etwas von dieser Einheit spüren lassen. Ich glaube, dass wir eher die Praxis des gemeinsamen Singens und Betens miteinander verbinden müssen als zu versuchen, Lehrstreitigkeiten oder theologische Positionen auszuräumen, die zu einer Einheit führen. Das wird ein schwieriger Weg. Insofern halte ich den Weg, der neu eingeschlagen wurde, stärker auf die Liebe Christi zu setzen und auf das, was uns vereint, für einen klugen Weg.
epd: In Mitteldeutschland leben ja auch viele Russen, aber ebenso ukrainische Flüchtlinge, die teilweise zu denselben orthodoxen Gemeinden gehören. Wie erleben Sie das vor Ort, gibt es da Konflikte in den Gemeinden?
Kramer: Es gibt ja auch in den jüdischen Gemeinden diese Mischung, und da höre ich, dass es gut funktioniert zu sagen, das lassen wir hier raus. Das ist ein Krieg, der bei uns in der Gemeinde nicht stattfinden soll. Das ist, glaube ich, im Einzelnen nicht einfach, aber es gelingt. Und das ist auch in den christlichen Gemeinden so. In Mitteldeutschland gibt es keine ukrainisch-orthodoxe Gemeinde. Wer dahin will, muss zum Beispiel nach Berlin oder Hannover fahren. Das haben wir teilweise auch in unseren Gemeinden organisiert, da gibt es viel Solidarität, und insofern erleben wir da alles vom friedlichen Miteinander und unterwegs Sein wie auch ganz klare Trennungen.
epd: Andererseits können Sie ja auf Ihre Landeskirche auch stolz sein: Eine Vertreterin wurde in den Zentralausschuss gewählt, ebenso zwei Damen aus der sächsischen Landeskirche. Das zeigt ja offensichtlich, dass die Evangelische Kirche in Deutschland weltweit ein hohes Ansehen genießt?
Kramer: Ja, das war recht unstrittig und es ist schön, dass jetzt eine unserer jungen Pfarrerinnen Mitglied im Zentralausschuss ist. Und ich bin gespannt, wie sie jetzt mitgestalten kann, dass dieser Prozess in den nächsten acht Jahren bis zur nächsten Vollversammlung auch vorangeht.
Informationen im Internet zur ÖRK-Vollversammlung:
www.karlsruhe2022.de, Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK): www.oikoumene.org, Evangelische Kirche in Mitteldeutschland: www.ekmd.de
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