"Da drängt sich ebn der Verdacht auf, daß das bewußt und mit Absicht geschiehtLeute , die behaupten, die Bibel enthalten. "
Die evangelisch-lutherische Kirchgemeinde in Chemnitz-Klaffenbach hat die Zusammenarbeit mit einem Kirchenmusiker wegen seiner Homosexualität offenbar beendet. Wie Philipp M. im sozialen Netzwerk Facebook postete, habe die Gemeinde am 30. August von seiner sexuellen Orientierung erfahren, vier Tage später sei er seines Amtes enthoben worden. Der junge Kantor hatte erst vor zwei Monaten in der Kreuzkirchgemeinde angefangen. Fest angestellt ist er nach eigenen Aussagen nicht gewesen.
Begründet wurde die Entscheidung damit, dass in der Bibel stehe, dass Homosexualität eine Sünde sei. Die Gemeinde wolle die Bibel so genau wie möglich ausleben und sehe es daher als unüberbrückbaren Gegensatz an, wenn ihr Kantor selbst homosexuell ist, zitierte der Kantor die Begründung der Gemeinde. Der Gemeindepfarrer war für eine Reaktion bislang nicht zu erreichen.
Update: Wie der junge Kirchenmusiker auf Nachfrage des SONNTAG sagte, sei die Berichterstattung der "Bild"-Zeitung und der sich auf sie berufenden Medien nicht korrekt. Zwar stimme es, dass sich die Kirchgemeinde von ihm wegen seiner Homosexualität getrennt habe, aber: "Ich bin weder ein ausgebildeter Kantor noch war ich fest angestellt - konnte also auch nicht gekündigt werden." Er habe auf Honorarbasis in der Kirchgemeinde gearbeitet. Gegenüber der Redaktion von "Bild", die durch seinen Facebook-Eintrag aufmerksam geworden war, habe er sich ausdrücklich gegen eine Berichterstattung ausgesprochen - erfolglos.
"Ich wollte niemals die Kirchgemeinde oder den Pfarrer verurteilen, niemanden an den Pranger stellen", sagte der homosexuelle Kirchenmusiker dem SONNTAG. "Wir müssen gemeinsam an mehr Toleranz arbeiten."
Ich, der HERR, wandle mich nicht. (3,6)
Der Kantor hat eine enttäuschte Nachricht auf Facebook geschrieben - völlig zu Recht. Der Rest liegt nun nicht in seiner Hand, im Gegenteil, er spricht sich ausdrücklich gegen eine vorverurteilende Berichterstattung aus. Ein paar verbohrte Christenmenschen drehen dem Betroffenen zu Unrecht einen Strick. Das ist selbst im Angesicht der Tatsache, dass sie seine Orientierung aufgrund menschenfeindlicher Bibelpassagen als "schlimme Sünde" verurteilen, ohne jemals ein differenziertes, eigenständiges Weltbild zu entwickeln, eine bodenlose Frechheit und Ungerechtigkeit. Schäme sich, der da urteilt. Ihr seid weit entrückt von den Lehren Christi sowie den Prinzipien der Humanität im 21. Jh. Leider redet man mit Fundamentalisten und nicht Rationalen und damit gegen eine 2000-jährige Wand.
Ist das der tolerante Frieden der H.? Seit wann ist die Bibel menschfeindlich, wissen Sie überhaupt, wovon Sie reden?
"Menschenfeindliche Bibelpassagen", was ist das denn?
Gegen mich richtet sich dieser Teil der Bibel nicht. Und ich habe sehr wohl ein eigenes Weltbild. Und es ist in meinen Augen eine Form von Nächstenliebe, wenn man einen Menschen darauf hinweist, wenn er in Sünde lebt. Am Ende richtet bekanntermaßen eine andere Autorität. Und wenn diese Autorität in seinem Buch schreiben läßt, was ihm so alles nicht gefällt, dann sollte man es akzeptieren: siehe meinen Betrag von neulich zum Naturgesetz.
Sie machen aus einem Greul eine "schlimme Sünde", das spricht Bände!
Und im Übrigen geht mir das Thema langsam auf die Nerven. Gibt es denn keine anderen Themen im christlichen Alltagsleben? So beherrscht eine Handvoll Menschen die Themenwahl.
Christian Jansson schreibt:
10. September 2015, 16:24
Sehr geehrter Herr Jansson,
in der Sache bin ich wahrscheinlich ganz bei Ihnen. Ich finde die Entscheidung persönlich schlimm und könnte mir im Moment nicht vorstellen, mit Vertreter*nnen dieses Kvs das Abendmahl zu feiern. Aber sie haben das Recht, es so zu handhaben. Warum sollte ich ihnen meine Meinung zum Maßstab machen. Ich lasse mir deren verkehrte Haltung doch auch nicht zum Maßstab machen.
Und das Argument, dass sie Kirchensteuern bekommen: Ja, so ist das in diesem Land geregelt. Da werden mit meinen Steuern Parteien finanziert, die ich verbieten würde, wenn ich könnte (Ich will aber nicht können.). Mit meinen Geldern werden Volksmusik-Sendungen bezahlt. Straßen werden gebaut, Subventionen an Atomkraft-Betreiber mitfinanziert – ja, ich bin an Kriegseinsätzen beteiligt. So ist das eben. Dafür bezahlen Atheisten, der Beobachter und Bastl "Das Wort zum Sonntag" – und darauf bin ich nicht stolz.
Noch mal: Ich finde das theologisch und in jeder anderen Hinsicht vollkommen daneben. Ich bin auch überzeugt, dass es falsch ist, was die Gemeinde entschieden hat. Aber wie soll ich das verifizieren? Mir und uns wäre der Kantor hoch willkommen. In unserer Gemeinde sind Menschen willkommen – egal, welchem Geschlecht sie sich zugehörig wissen oder welche sexuelle Präferenz sie haben (in der Einschränkung, dass es keine ausbeuterischen Verhältnisse sind). Würde mir da jemand von dieser Gemeinde reinreden, würde ich auf die Ausgangstür weisen. Dieses Recht nehme ich für mich in Anspruch. Mit welchem Recht sollte ich ihnen verweigern, es bei sich so zu machen, wie sie es für richtig halten?
Und wenn Sie Lust haben, das theoretisch noch ein bisschen zu unterlegen, kann ich Ihnen das Büchlein "Erkenntnis für freie Menschen" von Paul Feyerabend empfehlen.
Ein letzter Punkt: Sollte die gesamte Ev.-Luth. Kirche wieder versuchen, als Ganze homosexuelle Menschen zu diskriminieren, würde das wieder anders aussehen. Und wir werden dafür kämpfen, dass es endlich eine Agende für Segungen für homosexuelle Partnerschaften gibt.
Herzlich
Ihr Paul
P.S. Lieber Christoph, habe ich jetzt ein bisschen von dem eingelöst, was ich Ihnen versprochen hatte?
Lieber Paul,
in der Hoffnung, dass es nicht nur genau zu diesem Zweck war: Ja.
Und natürlich im Rahmen des Ihnen möglichen.
Herzliche Grüße
Ihr Christoph
Lieber Paul,
Danke für Ihre Erläuterungen, die zu Recht den Aspekt des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden bei der Bewertung des aktuellen Falls hervorheben. Die Vorstellung, dass es dem Einen oder Anderen, der die Entscheidung des Klaffenbacher Kirchenvorstands unterstützt, nicht darum geht, eine homosexuellenfreie Zone in der Kirche zu errichten, sondern das Prinzip der Selbstverwaltung zu verteidigen, kann der Diskussion möglicherweise einzelne Schärfen nehmen.
Sie fragen, mit welchem Recht ich es einer Gemeinde wie der in Klaffenbach verweigern wollte, sich in puncto Anstellung von Homosexuellen so zu verhalten, wie sie es für richtig hält. Meine Antwort darauf ist: Ich will es ihr überhaupt nicht verweigern. Das tue ich bei einer katholischen Gemeinde schließlich auch nicht. Der Unterschied ist nur, dass ich in diesem Falle als Mitglied der evangelischen Kirche automatisch eine Mitverantwortung für eine Entscheidung trage, die meinen ethischen Grundsätzen fundamental zuwiderläuft. Denn eine Kirche, die es billigt, dass auch nur ein einziger ihrer Mitarbeiter wegen seiner sexuellen Orientierung entlassen oder nicht angestellt wird, kann ich schon allein aus Gründen der Selbstachtung weder finanziell unterstützen, noch will ich in irgendeiner Weise mit ihr in Verbindung gebracht werden.
Bisher schien es mir allerdings (naiverweise?) klar, dass es einen solchen Fall in meiner Kirche nicht geben würde. Zusätzliche Sicherheit gab mir das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das unter anderem eine Benachteiligung aus Gründen der sexuellen Orientierung bzw. sexuellen Identität verbietet. Zwar gibt es da bei den verkündigungsnahen Bereichen Einschränkungen. Dabei hat die Landeskirche gerade auch in ihrer Stellungnahme zu dem Fall festgestellt, dass Homosexualität für die Sächsische Landeskirche weder ein Einstellungshindernis noch ein Kündigungsgrund ist. Ich bin kein Jurist, doch bin ich überzeugt davon, dass die Klaffenbacher Gemeinde ihrem Organisten, wenn er festangestellt gewesen wäre, nicht allein aufgrund seiner Homosexualiät hätte kündigen dürfen und dass er, selbst wenn die Kirche das anders gesehen hätte, spätestens bei einer Klage vor einem bundesdeutschen Gericht Recht bekommen hätte.
Der Klaffenbacher "Einzelfall" ist nun möglicherweise ein doppelter Präzedenzfall: Zum einen handelte es sich nicht um einen festangestellten Mitarbeiter und zum anderen scheint es überhaupt der erste einer breiten Öffentlichkeit bekannt gewordene Fall seit Inkrafttreten des AGG zu sein, dass einem Mitarbeiter in einer evangelischen Landeskirche mit der ausdrücklichen und ausschließlichen Begründung, er sei homosexuell, die Zusammenarbeit aufgekündigt wurde.
Mein weiteres Verbleiben in der Kirche hängt nun davon ab, wie die Gemeinde ihre Entscheidung öffentlich und offiziell begründet, wie der Landesbischof den Fall bewertet und welche Konsequenzen die Landeskirche zieht oder nicht zieht, um auf Honorarbasis arbeitende homosexuelle Kirchenmusiker vor Aufkündigungen einer Zusammenarbeit aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu schützen. Aus diesem Grunde dränge ich auf eine Erklärung der Gemeinde und wünsche mir glasklare Statements der Kirchenleitung.
Im Übrigen ist es, auch wenn es sich für Sie vielleicht so anhören mag, für mich durchaus nicht so, als würde ich die Kirche bei einer negativen Entwicklung des Falles so verlassen, wie ich einen Sportverein verlassen würde. Ich würde eine Heimat, die Verbindung zur Religion meiner Vorfahren verlieren und das würde mir wehtun. Nach meiner Meinung ist die Angst, seine spirituelle Heimat zu verlieren, übrigens etwas, was Christen mit einer theologischen Auffassung wie der in Klaffenbach und offen homosexuelle Christen eigentlich besonders eng verbindet.
Herzlich
Ihr Christian
Christian Jansson schreibt:
11. September 2015, 3:17
Lieber Christian,
wir diskutieren diese Fragen hier schon sehr lange – ich bin seit August 2012 dabei. Wir haben versucht, den fundamentalistischen Kolleg*nnen klarzumachen, dass ihre Sicht 1. falsch ist und sie sich 2. selbst nicht an das halten, was sie postulieren. Die Stellen zu gleichgeschlechtlichem Sex sollen wortwörtlich gelten, der Imperativ Jesu aber, sich das Auge auszureißen, wenn es zum Ehebruch verführe, gilt natürlich nicht wortwörtlich. (Es war sehr witzig, die Reaktionen darauf zu lesen.) (Es gibt natürlich noch viel mehr Aporien, aber die erneut aufzuzählen, fehlt mir gerade die Zeit und die Lust.)
In all den Diskussionen habe ich mich immer darum bemüht, dass wir es mit unseren unterschiedlichen Überzeugungen in dem einen Haus Kirche aushalten. Natürlich lasse ich nicht alle in meine Wohnung – und wenn, dann dürfen sie da nicht alles machen. Wer in meiner Wohnung einen homosexuellen Kantor beleidigt, fliegt raus. Aber eben aus meiner Wohnung, nicht aus dem Haus. Es gäbe Situationen, wo ich den Auszug aus dem Haus nahelegen würde oder selbst überlegte. Dafür gibt es eine Hausordnung. Die ist aber weiter gefasst als die ungeschriebene Ordnung für meine Wohnung. Nun will ich aber das, was ich für mich selbstverständlich in Anspruch nehme, auch anderen zugestehen. Nicht im Blick auf die Hausordnung. Da werden wir daran arbeiten müssen, dass die noch weiter verändert wird. Homosexuelle werden immer noch diskriminiert. Sie dürfen nicht ohne weiteres als Pfarrer*nnen mit ihren Partner*nnen im Pfarrhaus wohnen – auch, wenn die Gemeinde dies befürwortet. Und es ist ihnen verwehrt, ihre Partnerschaft unter den Segen Gottes stellen zu lassen. Da müssen wir dranbleiben. Aber nicht alles, was eine Hausordnung erlaubt, muss in jeder Wohnung gemacht werden – so sehe ich es zumindest. Und trotzdem kommt die Miete, die ich bezahle, auch denen zu gute, die manches anders machen als ich. Und mit ihrer Miete ist es genauso. Viele Menschen wollen nicht, dass Homosexuelle in der Kirche arbeiten. Trotzdem zahlen sie Miete. So ist das eben. Wenn wir es anders wollten, könnten wir alle solche lustigen religiösen Sondergemeinschaften bilden, wie sie hier auch zu besichtigen sind. Ob das die Lösung ist?
Im Jahr der Toleranz hatte ich einmal einen postmodernen Toleranz-Begriff entwickelt, der sich an Paul Feyerabend orientiert. Das ist ein bisschen aus dem Zusammenhang, aber macht ganz gut deutlich, worum es mir geht : "Da berühren wir das, was ich seit September letzten Jahres versuche, deutlich zu machen: WIR HABEN KEINEN OBJEKTIVEN STANDPUNKT. Noch deutlicher: Wenn ich – Paul – etwas gegen A. Rau oder Bastl ... hätte, würde ich es einsetzen! Ich habe aber nichts gegen sie. Und deshalb (und weil das Jahr der Toleranz ist) formuliere ich noch mal meinen Toleranzbegriff: Weil ich den Erweis des Geistes und der (göttlichen) Kraft schuldig bleibe, relativiere ich meine Wahrheitsansprüche im Blick auf DICH. Nicht im Blick auf mich – da bin ich noch viel fundamentalistischer als Bastl erst dachte. Aber im Blick auf dich relativiere ich sie. Das erwarte ich auch von dir. Und den Rest regeln in dieser Welt die Gesetze."
Ich bin überzeugt, recht zu haben. Die Klaffenbacher sind auch überzeugt, recht zu haben. Ich gebe nicht nach – es sei denn, sie überzeugen mich (Als Möglichkeit zur Überzeugung hatte ich mal das Elia-Experiment vorgeschlagen.). Ihnen geht es genauso. Ich kann versuchen, sie zu überzeugen. Da sich Fundamentalisten aber nicht überzeugen lassen, muss ich aushalten, dass es so ist. Und sie müssen aushalten, dass es bei mir anders herum auch so ist.
Und der Kantor hat Pech, dass er gerade dort gelandet ist. Das ist das eigentlich schlimme. Aber er darf ja nicht nicht spielen oder in der Kirche arbeiten. Er darf es dort nicht. Das kann mal als Diskriminierung bezeichnen. Aber es wäre eben auch eine Diskriminierung der Gemeinde, wenn durchgesetzt würde, dass er dort arbeitet. Wir lösen das nie ganz auf, müssen uns aber trotzdem die Welt teilen (oder es vielleicht sogar in einem Haus aushalten).
Gestatten Sie mir einen Wunsch? Machen Sie es nicht von der Erklärung der Gemeinde abhängig, ob Sie in der Kirche bleiben. Da würde ich nichts sinnvolles erwarten.
Und machen Sie es bitte nicht von der Erklärung der Kirchenleitung abhängig. Die Erklärung, die es gegeben hat, finde ich persönlich ausreichend gut. Aber das wird immer ein Kompromiss sein müssen – wie schon beim Beschluss, homosexuelle Pfarrer*nnen mit ihren Partner*nnen in Ausnahmefällen im Pfarrhaus wohnen zu lassen.
Lassen Sie uns lieber dafür einsetzen, dass die Fundamentalist*nnen in der Kirche (im Haus) nicht die Oberhand gewinnen. Jürgen Habermas meinte mal, die Aufklärung sei ein unabgeschlossenes Projekt. Ich meine, es ist ein unabschließbares Projekt – aber ein alternativloses.
Herzlich
Ihr Paul
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