Dem Sinn auf der Spur
Bücherfrühling: Auf dem Büchermarkt tummeln sich zahlreiche Neuerscheinungen – auch zu Themen rund um Religion und Spiritualität. Wir präsentieren eine Auswahl neuer Bücher zu den Themen Mystik, Zukunft der Kirche, Halt im Leiden und Hoffnung im Angesicht der Klimakrise.Das neue Buch des Theologen und Dichters Christian Lehnert beschreibt eine Krise. Zurückgezogen in ein altes Bauern haus auf dem Kamm des Osterzgebirges geht er in sich – und weit aus sich heraus. In der Begegnung mit den Elementen der Natur – in ihrer rätselhaften Schönheit und abgründigen Bedrohlichkeit – und in der Lektüre der Johannesoffenbarung sucht er Beheimatung. Inmitten von Fremdheit und Fragen sucht er eine Spur, die in ein Ganzes, zu Gott führt. Er lässt die alten Bilder des Sehers Johannes auf sich wirken und übersetzt sie ins eigene Leben. Deutlich wird: Gott, Sinn, Halt gibt es nicht jenseits der Fragen und jenseits des Leidens. Sondern nur inmitten von ihnen. »Ich hätte von mir nicht behaupten können, dass ich besonders religiös sei. Aber ich glaubte, und das hieß: Ich vertraute in irgendeinem unverwüstlichen Sinn. Wem? Einem, der aussteht, nicht da ist. Er wird, der er ist und war, wird es sein.« Solche Gottesgedanken bezeichnet er als eine Art Seelenhaut, als eine Versöhnung mit den eigenen Grenzen. Die mystische Spur führt in größere Verbundenheiten und die Ahnung eines unnennbaren Ganzen. Der Weg führt ins Offene.
Christian Lehnert: Das Haus und das Lamm. Fliegende Blätter zur Apokalypse des Johannes. Suhrkamp-Verlag 2023, 268 S., 26 €.
Die beeindruckenden Tagebücher der Niederländerin Etty Hillesum (1914– 1943), die den Holocaust dokumentieren und tiefgehende Gedanken formulieren, liegen nun in einer vollständigen und neu übersetzten Form vor. Die Einträge beginnen zehn Monate nach der Besetzung der Niederlande durch die Deutschen. Die damals 27-Jährige tritt als Zeugin des Schicksals ihres Volkes in Erscheinung und dokumentiert den täglichen Horror. Doch sie berichtet auch von der Suche nach Einfachheit, Verbundenheit und Achtsamkeit. Ihre Beschreibungen entfachen einen regelrechten Sog. Immer stärker gerät sie in die Spur der Gottsuche, wächst in eine größere Liebe hinein. Dieses Zeugnis bleibt.
Etty Hillesum: Ich will die Chronistin dieser Zeit werden. Sämtliche Tagebücher und Briefe. 1941-1943. Verlag C. H. Beck, 989 S., 42 €.
Pfarrerin Theresa Brückner ist seit Jahren als Digitalpfarrerin in den sozialen Netzwerken des Internets unterwegs. Nun bündelt sie ihre Erfahrungen und Erkenntnisse in dem Buch »Loslassen, Durchatmen, Ausprobieren«. Es ist ein mutiger Aufruf, die zwangsläufigen Veränderungen der Kirche bewusst und kreativ zu gestalten. Dabei geht es um das Einbeziehen aller Generationen, die Verabschiedung veralteter Formate, den Mut zum Feminismus und um die Schaffung sicherer Räume. Es geht um Vielfalt und Offenheit, Echtheit und Gemeinschaft. Christen sollten zeigen, dass sie »völlig normale Menschen« sind. Mitarbeitende sollten sich von einem alten »Überlastungsstolz« und Hierarchiedenken befreien.
Theresa Brückner: Loslassen, durchatmen, ausprobieren. Die Zukunft der Kirche beginnt nicht nur im Kopf. Herder Verlag, 16 €.
Seit 33 Jahren lebt der Priester Manfred Deselaers als Deutscher in Auschwitz. Nachdem er seine Doktorarbeit über den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß geschrieben hatte, ließen ihn diese Verbrechen nicht los. Und er suchte nach Wegen, die Kräfte der Versöhnung und der Heilung zu stärken. Seit 1995 arbeitet er am katholischen »Zentrum für Dialog und Gebet« in Oswiecim. Nun ist ein umfangreiches Interview-Buch unter dem Titel »Die Wunde von Auschwitz berühren« erschienen. Darin entfaltet er tiefe Gedanken über Gott und das Leiden. Gott werde Wirklichkeit in »jeder Geste der Liebe«, im Tun des Guten, in gegenseitiger Fürsorge. Jeden Tag solle gefragt werden, was Gott von einem heute will.
Manfred Deselaers (mit Piotr Zylka): Die Wunde von Auschwitz berühren. Ein deutscher Priester erzählt. Herder Verlag, 25 €.
Die französische Philosophin Corine Pelluchon bietet mit ihrem Buch »Die Durchquerung des Unmöglichen« eine Lektion in Hoffnung. Diese bedeute nicht Optimismus, sondern das Ernstnehmen der Gefahren und die innere Arbeit an Gegenkräften. Dafür sei es nötig, die Bedrohungen nicht zu übersehen. Zugleich dürfe vor ihnen auch nicht kapituliert werden. Vielmehr müssen sie durchquert werden. »Die Hoffnung ist die Erwartung des Unmöglichen.« Es geht – gerade im Umgang mit der Klimakatastrophe – um Geduld und das Bewirken echten und tiefgreifenden Wandels der Vorstellungen und Verhältnisse.
Corine Pelluchon: Die Durchquerung des Unmöglichen. Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe. Verlag C. H. Beck, 159 S., 22 €.
Alexander Brandl, Pfarrer in München, hat unter dem Titel »Hoffnungsschimmern« ein ansprechend illustriertes Buch mit Geschichten und Gebeten, Gedichten und Inspirationen für den Alltag herausgegeben. Es versammelt Texte von Dichtern, Mystikern und immer wieder biblischen Autoren. Sie stehen unter dem Eingangszitat von Gerhard Ebeling: »Nicht wo der Himmel ist, ist Gott, sondern wo Gott ist, ist der Himmel.« Gemeinsam ist ihnen, dass sie eine Lichtspur Gottes aufblitzen lassen und den Glauben und die Seele stärken. Die Beiträge machen bewusst, wie kostbar und schön das Leben und Lieben ist und welche Kraft im Vertrauen auf Gott wohnt. So heißt eine Empfehlung Hanna Hümmers: »Öffne dich / dass dein Schöpfer / in dir wirken kann/ Was er wachsen lässt, ist seine Sache.«
Alexander Brandl (Hg.): Hoffnungsschimmern. Geschichten und Gebete mit guten Aussichten. Edition Chrismon, 15 €.
Lesungs-Tipps für die Leipziger Buchmesse 2024
Donnerstag, 21. März:
Forum offene Gesellschaft (Halle 2, Stand E600): 14.15 bis 15 Uhr: Wie utopisch ist der Frieden? Podiumsdiskussion mit dem Leipziger Buchpreisträger Omri Boehm.
Denkmalwerkstatt im Hansa Haus (Grimmaische Str. 13–15): 19 bis 20 Uhr: »Entfeindet Euch! Auswege aus Spaltung und Gewalt«. Lesung und Gespräch mit Stefan Seidel (Eintritt frei).
Freitag, 22. März:
Forum Sachbuch (Halle 2, Stand F600): 14.30 bis 15 Uhr: Das Kleinste ist nicht zu klein – Mein Lebensweg mit Gott & Menschen. Von und mit Sarah Brendel.
Propsteigemeinde St. Trinitatis: 18 bis 19.30 Uhr: Im Fußball-Himmel – Meine schönsten Geschichten vom Heiligen Rasen. Mit Pfarrer Rainer M. Schießler.
Matthäi-Haus (Dittrichring 12): 19 Uhr »An des Haffes anderm Strand« – Lesung mit Annette Hildebrandt (Eintritt frei)
Freie ev. Gemeinde Leipzig: 19.30 bis 22 Uhr: Das Kleinste ist nicht zu klein – Mein Lebensweg mit Gott & Menschen. Mit Sarah Brendel.
Samstag, 23. März:
Forum Sachbuch (Halle 2, Stand F600): 10.30 bis 11 Uhr: Erschöpfung im Namen der Kirche – Burnout des Pfarrpersonals. Mit Dr. Anja Hanser. 12.30 bis 13 Uhr: »A Love Supreme« – Das wunderbare Zusammenspiel von Spiritualität und Jazz. Mit Uwe Steinmetz. 14.30 bis 15 Uhr: Die Zukunft der Kirche. Mit Theresa Brückner.
Buchhandlung Hugendubel: 11.30 bis 12 Uhr: Aufwärts fallen: Vom Finden neuen Glaubens. Von und mit Priska Lachmann.
Forum offene Gesellschaft (Halle 2, Stand E600): 13.15 bis 14 Uhr: Von Religionen lernen. Podiumsdiskussion.
Gedenkstätte »Runde Ecke«, ehem. »Stasi-Kinosaal«: 16 bis 18 Uhr: Die »Solidarische Kirche« als Wegbereiterin der Friedlichen Revolution – mit Autor Lothar Tautz. 20 bis 22 Uhr: »Gittersee« – Lesung von Charlotte Gneuß.
Stadtteilzentrum Westkreuz-Heilandskirche (Weißenfelser Str. 16): 19 Uhr: »Ich bin Anna« – Roman über Sigmund Freuds Tochter. Lesung mit Tom Saller.
Sonntag, 24. März:
Forum Sachbuch (Halle 2, Stand F600): 17 bis 17.30 Uhr: Loslassen, durchatmen, ausprobieren. Gespräch mit Theresa Brückner; Stefan Seidel.
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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