»Hier gewinnen alle«
Kirchenland in neuer Hand: Die Kirchgemeinde Taucha hat große Teile ihres fruchtbaren Kirchenlandes an eine neugegründete Genossenschaft verpachtet. Nun wird dort nicht mehr konventionell, sondern kooperativ, ökologisch und regional gewirtschaftet. Besuch bei einem Modellprojekt.Es ist nur ein schmaler Streifen mit Sonnenblumen – am Ende eines riesigen Feldes. Die Blumen markieren die Grenze zwischen alt und neu. Sie trennen braunen von grünem Acker, trennen Privat- von Kirchenland, konventionelle von biologischer Landwirtschaft. Und sie trennen großflächige von kleinteiliger Bewirtschaftung. Vor den Toren von Leipzig und Taucha, hinter den Sonnenblumen, beginnt das KOLA-Gebiet.
Was aus der Luft aussieht wie ein langer, schmaler Streifenteppich, ist aus der Nähe betrachtet eine kleinteilige Landwirtschaft auf 35 Hektar Fläche. Tomaten, Paprika, Auberginen, Möhren, Melonen, Bohnen und anderes mehr reifen in Folientunneln und im Freiland gerade heran. Insgesamt über 50 Kulturen – ohne Kunstdünger und synthetische Pflanzenschutzmittel. KOLA Leipzig nennt sich die junge Genossenschaft und steht als Abkürzung für Kooperative Landwirtschaft. Eines ihrer Markenzeichen ist die Gemüsekiste. Denn alles, was hier angebaut und geerntet wird, kommt Woche für Woche in festgelegten Mengen mit kleinen oder größeren Kisten zu Verteilstationen in der nahen Umgebung. Und von dort holen es die KOLA-Mitglieder. Ein regionales Lebensmittel-Abo mit saisonaler Veränderung.
Hunderte Plastik-Kisten stapeln sich deshalb neben der Maschinenhalle am neuen Hofgebäude. In dem zweistöckigen Holzhaus sind oben Verwaltungs- und Gruppenräume, unten gekühlte Lagerräume, Bereiche zum Waschen und Sortieren von Obst und Gemüse sowie zum Befüllen der Verteilkisten. Fast 30 Leute arbeiten mittlerweile für die Kooperative.
Eine der Bio-Kisten geht wöchentlich zu Bernd Klauer. Der Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung ist Kirchvorsteher in der Gemeinde Taucha-Dewitz-Sehlis. Ihr gehört dieses Land – und noch einiges mehr. Als vor fünf Jahren die Pachtverträge für rund 42 Hektar Land ausliefen, machte sich Bernd Klauer Gedanken über die Neuverpachtung. Vorher sei es von einem großen Agrarbetrieb konventionell bewirtschaftet worden, erzählt der 58-Jährige. Der Experte für Gewässerökonomie und Professor für Nachhaltigkeit und Wasserressourcenmanagement an der Universität Leipzig wollte gern den Standard anheben, hin zu ökologischerer, nachhaltigerer Bewirtschaftung. »Wenn man weiß, dass die konventionelle Landwirtschaft wesentlich mitverantwortlich ist für Umweltprobleme, dann muss man einfach reagieren«, begründet der Kirchvorsteher die Veränderung zur Bewahrung der Schöpfung.
Die damals bereits bestehende Gemüsekooperative »Rote Beete« im Tauchaer Ortsteil Sehlis mit ihren heute acht Hektar Ackerland habe kein Interesse an einer Vergrößerung gehabt, sagt das damalige Mitglied Jan-Felix Thon. »Ich wusste aber, dass es auf dem umkämpften Agrarflächenmarkt eine Chance ist, die sich selten bietet«, sagt der Gemüsebauer. Zusammen mit einigen anderen Mitstreitern nahm er die Neuverpachtung zum Anlass, etwas eigenes aufzubauen: Mit mittlerweile rund 1900 Genossen die derzeit größte solidarische Landwirtschaft im Osten Deutschlands. Vorstand und Gärtnermeister Jan-Felix Thon beschreibt die Kooperative als Dreiklang: im Einklang mit den Mitarbeitenden, mit den Mitgliedern sowie mit der Natur. Die Kontaktgruppe im Kirchenvorstand von Taucha sei von diesem Genossenschaftskonzept schnell überzeugt gewesen, erinnert sich Bernd Klauer. »Wir hatten gleich das Zutrauen, dass sie hier etwas völlig Neues schaffen können«, ist er noch heute begeistert. Doch wie überzeugt man das Landeskirchen- und das Grundstücksamt, dass eine Kirchgemeinde große Teile ihres Landbesitzes an eine noch nicht gegründete Genossenschaft verpachtet? Zudem war klar, dass ein Hofgebäude noch auf dem Ackerland errichtet werden müsste, fruchtbare Fläche also versiegelt würde.
Diesen Teil der Herausforderung, erzählt Bernd Klauer, habe besonders Till Vosberg bewältigt. Der Leipziger Rechtsanwalt unter anderem für Gesellschafts- und Kirchenrecht ist in Kirchenkreisen bestens vernetzt und in der sächsischen sowie der EKD-Synode aktiv. Gerade von Letzterer habe er den Auftrag zu einem bewussteren Umgang mit Kirchenland wahrgenommen. »Die Wertschöpfung unseres Landes ist nicht allein die Pachteinnahme«, beschreibt Vosberg die Bewusstseinsveränderung in Kirchgemeinden wie in Taucha. Es gehe auch um ökologische, nachhaltige und soziale Kriterien wie bessere Löhne und die ganzjährige Anstellung der Mitarbeiter. Die Qualität der Produkte sei mindestens Bio-Laden-Niveau, der Preis liege aber darunter, meint Till Vosberg, der im Aufsichtsrat der Genossenschaft arbeitet. Im Sinne der Vielfalt strebt KOLA auch eine Streuobstwiese auf dem Kirchenland an, die aufgrund ihrer künftigen Unantastbarkeit jedoch im Grundstücksamt wiederum nicht unumstritten sei, sagt der Rechtsanwalt.
KOLA Leipzig versteht sich übrigens nicht nur als alternativer Landwirtschaftsbetrieb, sondern auch als Bildungsprojekt. Insbesondere Menschen aus der Großstadt und Schüler sollen wieder ein Verhältnis zu Lebensmitteln und zur Landwirtschaft bekommen. »Hier gewinnen wirklich alle«, ist Bernd Klauer vom Kirchenvorstand mit der Veränderung auf dem Kirchenland sehr zufrieden.
Till Vosberg pflückt sich beim Rundgang über das Gelände noch etwas Spitzwegerich. »Das kommt in meinen Salat«, lächelt er und sagt, dass die wöchentliche Gemüsekiste seine Ernährung echt verändert habe.
KOLA-Hoffest am 26. August ab 15 Uhr in Taucha, Engelsdorfer Straße 99.
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