Ist Kirche ein alter Hut?
Zukunft der Kirche: Der theologische Studientag in Leipzig spürte der Frage nach der Zukunft der Kirche und der Kirche der Zukunft nach. Trotz düsterer Prognosen überwog die Hoffnung.Sie scheint düster und begrenzt zu sein, wenn man den Statistiken und Prognosen glauben darf. Doch wenn man dem sächsischen Landesbischof und manchen Christen Glauben schenkt, scheint sie frei und fröhlich zu sein. Wie also wird sie aussehen, die Zukunft der Kirche und damit auch der Kirchgemeinden in Sachsen? Fest steht, es wird gravierende Veränderungen geben. Der Begriff Transformation bestimmt deshalb die wissenschaftliche Debatte.
Laut Umfragen wie dem Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung meint eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung, dass Kirche nicht nötig sei für Alltag und Leben, man auch ohne Kirche religiös sein könne. Auch deshalb sind die Mitgliederzahlen der beiden großen Kirchen in Deutschland anhaltend auf Talfahrt. Die Gebetshäufigkeit sinkt, der Gottesdienstbesuch auch – vor allem im Westen der Republik. Mit solchen Zahlen, Grafiken und Trends hat der Religionssoziologe Gert Pickel das Zukunftsbild der Kirche beim fünften Theologischen Studientag in Leipzig aus der Gegenwart heraus eingerahmt. »Die Gegenwart ist eher etwas deprimierend«, sagt der Professor der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig und meint: »Die Individualisierung des Religiösen mündet meist in Religionslosigkeit.«
Doch der erste von drei referierenden Professoren des Instituts für Praktische Theologie lässt auch Hoffnungsschimmer aufleuchten: Das ehrenamtliche Engagement in der Kirche wachse, sogar gegen den Trend. Auch der Besuch des Weihnachtsgottesdienstes nehme zu, denn er habe eine soziale Wirkung, sagt Gert Pickel. »Kirche muss akzeptieren, dass Religion immer stärker Folge individueller Entscheidungen wird«, skizziert er gesellschaftliche Veränderungen. Dabei dürfe die soziale Seite von Religion – etwa durch die Diakonie – nicht unterschätzt werden. Das Christentum müsse zugleich zu aktuellen Ereignissen und Entwicklungen verstehbar sprachfähig werden, denn es werde den Menschen zunehmend fremd und erscheine altmodisch.
Mit dieser Beschreibung der Gegenwart und zukünftiger Herausforderungen macht Gert Pickel den Aufschlag beim Studientag der Theologischen Fakultät mit dem Thema »Zukunft der Kirche – Kirche der Zukunft«. Rund 120 Mitarbeiter im Verkündigungsdienst – darunter Landesbischof Tobias Bilz – sind dazu in die katholische Propsteikirche gekommen. Weitere stehen auf der Warteliste.
Doch für Warten bleibt keine Zeit bei dieser mit Vorträgen, Workshops und zwei Podienrunden straff getakteten Tagung. So schließt gleich Alexander Deeg mit sieben Thesen zur »transformativen Kirchenentwicklung« an. »Wir lernen, Kirche klein zu denken«, sagt er und warnt zugleich davor, unbedingt »gefallen« zu wollen. »Kirche hat Zukunft, wenn sie ganz selbstverständlich das tut, was ER geboten hat: loben und klagen, danken und bitten, helfen und heilen«, lautet eine von Deegs Thesen. Potentiale sehe er etwa in den Ortsgemeinden. Aber auch aus Kirchenruinen wie etwa in Markkleeberg-Zöbigker könne etwas Neues entstehen, versuchte der Theologieprofessor dieses Bild auf die gesamte Kirchenentwicklung zu übertragen. »Das kann zu Bescheidenheit und immer neuen Aufbrüchen führen«, sagt er.
Auch Peter Zimmerling hält die Kirchgemeinden für ganz zentral. »Die Zukunft der Kirche ist nicht ohne Gemeinden denkbar«, sagt der Theologe und frühere erste Universitätsprediger. In elf Thesen führt er aus, wie er sich »Morgen Kirche sein. Gemeinde glauben, denken und gestalten« vorstellt. »Mein Herz hängt am öffentlichen, landeskirchlichen System«, bekennt er. Für die Zukunft könne er sich aber ein ähnliches Modell wie das der lutherischen Kirchen in den USA vorstellen, freikirchlich orientiert.
Zimmerling wirbt für eine »profilierte evangelische Spiritualität«, für Alltagsrituale, eine Bildungsoffensive und Bibelbewegung »angesichts zunehmender Verdunstung des christlichen Grundwissens«. »Ohne Bildung bleibt der Glaube unbegriffen«, so der Professor. Zugleich brauche die Kirche eine alltagstaugliche Sprache und keine »Goldbarren von der Kanzel«. Im Sonntagsgottesdienst sieht Peter Zimmerling für Kirchenferne deshalb »keine missionarische Wirkung«. Ein Pragmatismus wie bei den Pfingstkirchen, wo quasi in »Brühwürfeln« einfache Antworten »aufgegossen« würden, sei aber auch nicht das Ziel.
Im Workshop zu Konfessionslosigkeit machen die Teilnehmer die Differenz von Alltags- und Kirchensprache deutlich, das Nichtwissen von- und das Tasten zueinander. An Schnittstellen wie Bildungsveranstaltungen, Trauergesprächen, evangelischen Schulen und Diakonie komme es besonders zum Kontakt mit Konfessionslosen. Hier seien Chancen für die Zukunft, betont auch Kerstin Menzel in der abschließenden Podiumsdiskussion. Landesbischof Tobias Bilz gefällt das Suchen und Wahrnehmen von Möglichkeiten, »aber ich habe die Sorge, dass wir mehr mit Problemen beschäftigt sind«. Der »gleichmäßige Erosionsprozess« in der Mitgliedschaft zeige die »Ohnmacht der Kirche«. Der Bischof regt zur Entlastung von persönlicher Verantwortung an. »Glauben können wir nicht machen, das ist ein Geheimnis.« Und er stellt in Aussicht, die »Balance von Rahmen und Freiheit« in der »strukturstarken Kirche« künftig »etwas zur Freiheit hin zu verschieben«.
![]() |
Tobias Haueis (25), Theologie-Student in Leipzig: Ich stelle mir eine Kirche der Zukunft offener vor, dass sie Altes mit Neuem verbinden kann, eine einladende und mutige Kirche, wo viele Frömmigkeiten und Formen Platz haben und wo eine Sprache gesprochen wird, die auch Menschen außerhalb der Kirche verstehen. | |
![]() |
Panja Lange (43), Referentin bei der Evangelischen Erwachsenen bildung in Dresden: Ich wünsche mir, dass die Kirche der Zukunft ganz viele sehr unterschiedliche Menschen miteinander in Verbindung bringt, dass sie dabei aushält, nicht immer auf alles eine Antwort geben zu können. Aber dass sie gleichzeitig einen festen Boden unter den Füßen liefert für die, die sich an die schwierigen, nicht so leicht beantwortbaren Fragen heranwagen wollen. | |
![]() |
Wolfgang Menz (67), Prädikant und Rentner in Leipzig: Ich komme aus einem Elternhaus, das mit Kirche nichts zu tun hatte. Und ich bin Menschen begegnet, die mir so gewinnend vom Glauben erzählt haben, dass ich mich darauf eingelassen habe. So erlebe ich Kirche heute auch an manchen Stellen und so wünsche ich sie mir in Zukunft: Einladende Kirche, die etwas von Gott zu sagen hat, was man sonst nicht erfährt. | |
![]() |
Antje Pech (51), Superintendentin im Kirchenbezirk Löbau-Zittau: Mein Bild von Kirche der Zukunft orientiert sich an der Apostelgeschichte 8: Dass wir also fröhlich unterwegs sind im Glauben und miteinander. Ich favorisiere dabei eine Schwerpunktsetzung in den Aufgaben. Dabei müssen wir schauen, was braucht die Gesellschaft von uns, Stichwort Sozialraumorientierung. Das heißt dann, wir arbeiten mit Kooperationspartnern zusammen und sind selbstverständlicher Teil der Gesellschaft. Darauf freue ich mich. | |
![]() |
Daniel Hörsch (48), Sozialwissenschaftlicher Referent der Evangelischen Arbeitsstelle »midi«, Berlin: Die Kirche der Zukunft ist eine Kirche, die Charme ausstrahlt, die für den Einzelnen wirksam erscheint, und eine Kirche, die sich in der Ambivalenz von Entscheidungschristentum und Traditionskirche aufstellt. |
© Fotos: Uwe Winkler
Teilnehmer: 30
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna