Neue Kirchenmusik wagen
Musik und Glaube: Der Popmusiker und »Voice-of-Germany«-Gewinner Samuel Rösch aus dem Erzgebirge über Glaube, Musik, Mission und »neue Gewänder« für die Kirchenmusik.Samuel Rösch, 2018 warst Du Gewinner der TV-Show »The Voice of Germany«. Kann man sich bei solch einer Show als Christ erkennbar zeigen?
Samuel Rösch: Ja, das habe ich gemacht. Eine der ersten Fragen lautete: »Was machst du so?« Und wenn du dann sagst »evangelische Religionspädagogik an einer Ausbildungsstätte der Landeskirche«, dann kommst du nicht herum, von deinem Glauben zu erzählen. Dazu war ich noch frisch und sehr jung verheiratet. Also hat sich das unweigerlich ergeben, dass ich davon erzähle. Natürlich wirst du in so einen Charakter gepresst: hier ist unser Quoten-Christ! Aber im Laufe der Show wurde das immer weniger oder es wurde einfach so akzeptiert. Es wurde nicht weiter so klischeehaft darauf herumgeritten.
Die letzte Schulstart-Kampagne der evangelischen Jugend trägt den Titel »Gut. Genug. Gesegnet.« Dein Song dagegen heißt nur »Gut Genug«. Das Wort »gesegnet« kommt nicht darin vor. Warum?
Ich glaube, dass wir in Deutschland ganz schnell in Schubladen unterwegs sind. Sobald das Wort »gesegnet« stattfindet, geht für mich, der als Christ in der Popmusik unterwegs ist, bei all meinen Vertriebswegen und Kanälen, die ich erreiche, automatisch eine Schublade auf.
In einem deiner Songs heißt es: »es ist ein riesen Geschenk / dieses Leben / dürfen Segen weitergeben«. Dort hast Du Dich aber nicht gescheut, diese Vokabel zu verwenden …
Ich möchte keine Umwege finden für Dinge, die ich nicht anders beschreiben kann. Deswegen habe ich das einmal gemacht mit Segen als Substantiv. Ich hätte auch schreiben können: »Wir dürfen das Gute weitergeben«. Das fand ich aber nicht so präzise. Segen ist ja eine explizit geistliche Perspektive. Für diesen Song fand ich es stimmig. Es handelte sich auch nicht um eine Single, die explizit herausgestellt wird. Da kann man das schon mal machen. Bei »Gut.Genug.« wollte ich keine Leute verlieren, nur wegen so einem Wort.
Gut Genug. Kann man Deinen Song in einem Gottesdienst singen?
Natürlich! Ich glaube schon, dass man alle meine Songs im Gottesdienst singen kann! Das wünsche ich mir für den Gottesdienst: dass da eine Breite da ist an Genres und an Inhalt. Ich wünsche mir, dass wir nicht nur auf dieser dogmatischen Ebene bleiben müssen, sondern dass Leute auch emotional teilnehmen können. Ich wünsche mir, dass wir den Gottesdienst ganzheitlich erleben können.
Du stammst aus einem christlichen Elternhaus in Großrückerswalde im Erzgebirge, warst dort in der Kurrende und hast in vielen Gottesdiensten mitgewirkt. Deine Stimme ist unverkennbar und gut ausgebildet. Hattest Du mal überlegt Kirchenmusik, zu studieren?
Als ich in Moritzburg anfing evangelische Religionspädagogik zu studieren, gab es die Wahl zwischen sozialarbeiterischem und kirchenmusikalischem Profil, was dann in eine C-Ausbildung gemündet wäre. Während meines Studiums haben mich so viele Leute gefragt, warum ich denn das sozialarbeiterische Profil gewählt habe. Das haben viele nicht verstanden. Ich habe darauf immer geantwortet, dass ich mit Kirchenmusik groß geworden bin. Ich verstehe darunter Musik, die vor allem im klassischen beziehungsweise im ernsten Bereich stattfindet. Sie ist geprägt von Orgel, Klavier, Mehrstimmigkeit, polyphonen Gesängen, oder auch Saitenspielern wie Geigen und natürlich den Posaunenchören. Das ist der Rahmen, wie ich Kirchenmusik erlebt habe. Aber das war für mich keine berufliche Perspektive, weil das auf dieser kognitiven Ebene geblieben ist. Das war nichts, was mich wirklich berührt hat. Ich glaube aber, dass es viele Leute berührt! Gerade diese Glaubenswahrheiten, die da drinstecken – da kann man sich dran festhalten, wenn man es mal nicht so fühlt. Ich denke, dass es beide Ebenen braucht.
Du hast stattdessen Religionspädagogik an der FH Moritzburg studiert. Das Thema Deiner Bachelor-Arbeit lautet: »Verkündigung in populärer Musik. Untersuchungen zu Vokabular und stilprägenden Elementen.« Ist es Dein Ziel, mit Deiner Musik zu missionieren?
Es ist immer die Frage, was Mission heißt. Wenn man darunter versteht, dass man das, was einem im Leben wichtig geworden ist, an andere weitergibt – dann ja. Ich missioniere! Ich will das, was mir wertvoll geworden ist, weitergeben und teilen. Ich will eine Aussage zum Diskurs bereitstellen, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Alle drumherum schauen sich das an und sagen: »nein, finde ich nicht so« oder »ja, finde ich gut«, oder »warum hast du das so oder so erlebt?« Ich verfolge mit meiner Musik den Wunsch, von meinem Leben zu erzählen und von meinen Glaubenserfahrungen, die mir Halt, Mut und Perspektive geben. Leider ist es so, dass Mission ein Geschmäckle hat, ähnlich wie in der schlechten Pädagogik: ich überstülpe die Schüler mit dem, wovon ich denke, dass es richtig ist. Das möchte ich auf keinen Fall.
Deine poetische Sprache ist geprägt von Worten wie »Das Größte«, »Lebensfeuer« oder »Leuchtsignal«. Du singst von Dankbarkeit, Stille und von »kleinen Rissen«. In einem Song heißt es: »Will Geschichten erleben / die beflügeln und berührn / die wirklich was bewegen / und meine Kinder inspiriern.« Ist das religiöse Sprache?
Für mich ist religiöse Sprache eine Sprache, die explizit im christlichen Kontext verortet ist. Wenn wir vom Lamm Gottes sprechen oder von einem Sündenbekenntnis, dann ist das für mich explizit christliches Vokabular. Religiöse Sprache heißt für mich auch transzendente Sprache, die beschreibt, was außerhalb dessen steht, was ich mir vorstellen kann. Und das ist meine Sprache dann nicht! Es ist eine poetische Sprache. Sie arbeitet viel mit Schlagworten und Bildern.
Ist Deutsch-Pop mit sächsischer Landeskirche kompatibel?
Es kommt auf die Gemeinde vor Ort an. Ist sie offen für diesen Zugang und für diese Stilistik? Ich glaube, es hängt an den einzelnen Leuten, die es zulassen oder nicht.
Welche Assoziationen verknüpfst Du mit dem Begriff Kirchenmusik?
Meine Wahrnehmung von Kirchenmusik war immer: Orgel, Posaunenchor, Chöre, die mehrstimmig singen. Es ist eine Musik, die sehr melodielastig ist und wenig rhythmuslastig. Sie findet im Gemeindekontext statt und findet ihren Höhepunkt im Gottesdienst.
Kann Kirchenmusik in diesem Setting auch außerhalb der Kirche wirksam sein?
Ich glaube, dass die Chancen sehr begrenzt sind. Der einzige Schnittpunkt, den ich sehe, sind Menschen, die ihren Schnittpunkt in der klassischen Musik haben. Ein generelles Problem, das unsere Landeskirche hat, ist das sehr enge Zielgruppen-Milieu. Ich hatte von dem sozialen Brennpunkt-Projekt erzählt. Das ist ein Milieu – damit können wir doch gar nicht umgehen. Wir sind alle gut gebildet und sehr kognitiv unterwegs. Das Milieu funktioniert aber einfach nicht kognitiv. Da sind wir mit unseren Ansprüchen so weit drüber, dass wir völlig anders ansetzen müssten. Und das zieht sich auch in die Kirchenmusik rein: Sehr hoher Anspruch, musikalisch sehr hochwertig und intensiv, selbst für mich als Profimusiker mit der Zeit ermüdend, weil ich nicht alles fassen kann – ähnlich wie der Jazz in der Popularmusik. Es hat eine gewisse Komplexität, die auch herausfordernd ist und damit verliert man viele Menschen.
Ich würde mir wünschen, dass Kirchenmusik aus den Bedarfen innerhalb der Gemeinden erwächst: welche Musik wird dort praktiziert? Welche Musik wird dort gehört? Auf welche Konzerte gehen die Leute in den Gemeinden? Wonach sehnen sie sich? Der inhaltliche Anspruch und die Wahrheiten, die über die Jahrhunderte durch die Kirchenmusik transportiert wurden, ist aus meiner Sicht sehr groß. Das nützt aber nichts, wenn man sich aus der Gesellschaft herausgedacht hat und wenn die Leute nicht mehr andocken können.
Die Konzeption Kirchenmusik der Landeskirche Sachsens beschreibt zwölf Thesen zur Zukunft der Kirchenmusik. Die erste These lautet »Kirchenmusik ermöglicht Teilhabe für Menschen aller Milieus und Altersgruppen« …
Nein. Ich würde mich beschreiben als jemand, der versucht, verschiedene Perspektiven zu sehen, aber diese These deckt sich überhaupt nicht mit meiner Erfahrung. Durch meine Arbeit habe ich in den vergangenen drei Jahren viele Milieus gesehen: Sparkassen-Galas, Stadtfeste, soziale Projekte oder Band-Contests in ostdeutschen Clubs. In vielen Gesprächen wurde mir deutlich, dass die Vorstellung von Kirchenmusik, wie ich sie beschrieben habe, keinerlei Schnittmengen mit den Menschen aus diesen Milieus hat. Kirchenmusik spricht die bürgerliche Mitte an und auch mein Milieu, aber viele Leute finden sich darin nicht wieder mit ihren Fragen, Vorstellungen und Problemen.
Was würdest Du Dir von der Kirchenmusik wünschen?
Ich wünsche mir mehr Ganzheitlichkeit – auch inhaltlich. Damit meine ich eine Transformation in eine heutige Sprache und in heutige Themenstellungen. Mag sein, dass vor vierhundert Jahren genau diese Melodien modern waren und die Menschen sich in dieser Sprache mit dem Inhalt auseinandergesetzt haben. Aber wenn der Inhalt stimmt, dann kann und muss sich das Gewand ändern, um eine Relevanz und Aktualität für die heutigen Menschen zu bekommen.
Also jeder Mode nachlaufen?
Es ist keine Mode, wenn ich auf der anderen Seite die Problemstellung habe, dass Menschen nicht mehr verstehen, um welche Fragestellung es geht. Wenn ich erst immer erklären muss: das bedeutet jenes – das kann man nicht leisten! Das höchste Gut, was wir heutzutage haben, ist Aufmerksamkeit beziehungsweise Relevanz. Es gibt heute so viele Inhalte und die Taktung ist dermaßen schnell geworden, dass keine Zeit bleibt, sich zurückzulehnen und zu sagen: komm vorbei! Ich erkläre dir, wie ich mir das gedacht habe. Sondern wir als Kirche müssen uns auf die Menschen zubewegen.
Was hat Jesus denn gemacht? Er ist den Leuten so begegnet, wie sie es gebraucht haben und nicht so, wie es jüdische Tradition gewesen wäre. Aus dieser Bequemlichkeit herauszukommen und sich selbst so genügsam zu fühlen – aus dieser Haltung müssen wir raus!
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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