Sie kennen manche Patienten nicht!
Heilig oder historisch?
Theologen drehen jeden Satz in der Bibel um auf der Suche nach historischer Wahrheit. In Kirchgemeinden können das viele nicht nachvollziehen – auch ein Grund für die jüngsten innerkirchlichen Debatten.Was haben die Weihnachtsgeschichte, die Schöpfungserzählungen und die Übergabe der Zehn Gebote an Mose gemeinsam? Sie gehören zu den Kerntexten christlichen Glaubens – und sind, glaubt man historisch-kritischen Forschungsergebnissen, in Wirklichkeit wohl nie geschehen.
Seit der Zeit der Aufklärung klopfen Theologen ausgehend von Deutschland die Bibel Satz für Satz ab, fragen historisch-kritisch nach den Umständen ihrer Entstehung, ihrer Echtheit, sogar nach mündlichen Vorläuferquellen. Und entscheiden so mit dem Werkzeug wissenschaftlicher Wahrscheinlichkeiten, was Gotteswort ist – und was nur der jeweiligen Zeit geschuldet.
»Doch die Gemeindepraxis hat sich sehr weit entkoppelt von der akademischen Theologie«, sagt der Plauener Schulpfarrer Falk Klemm. »Die historisch-kritische Theologie schafft Distanz zur Bibel. Gemeindeglieder haben Trost in ihr erfahren und plötzlich sollen sie über sie urteilen.«
Klemm ist einer der Sprecher der Sächsischen Bekenntnisinitiative, die sich gegen die Öffnung von Pfarrhäusern für gleichgeschlechtliche Partnerschaften wendet. Die harte Debatte um die Haltung der Bibel zur Homosexualität hat hier eine ihrer Wurzeln: Viele Theologen sehen sie historisch-kritisch in der Zeit ihrer Entstehung begründet und damit als überholt an – viele konservative Christen in den Gemeinden verstehen das nicht.
Die Bekenntnisinitiative fordert deshalb Alternativen zur historisch-kritischen Theologie in den Ausbildungsstätten der Landeskirche. »Die historisch-kritische Methode geht aus ideologischen Gründen von dem Aberglauben aus, dass Gott in der Geschichte gar nicht direkt eingreifen kann. Das ist methodischer Atheismus«, kritisiert Falk Klemm. Wunder oder echte Prophetie? Die seien unter rationaler Perspektive undenkbar. »Die historisch-kritische Methode muss aus der Bevormundung durch die Vernunft herauskommen. Dann haben wir wieder Gott direkt«, fordert der Pfarrer.
Studierende mit einer konservativen Frömmigkeit haben auch an der Leipziger Universität mit der historisch-kritischen Methode zu kämpfen. »Das ist für sie oft ein schockierendes Moment«, weiß Cornelius Voigt, Studienassistent des konservativen Leipziger Theokreises. »Ich habe selbst auch großen Gewinn aus der historisch-kritischen Methode gezogen«, sagt Voigt. »Aber sie ist fast die einzige Methode in der universitären Theologie – da würde ich mir mehr Alternativen wünschen.«
Die gibt es vor allem außerhalb des historisch-kritischen Mutterlandes Deutschland. Amerikanische Theologen versuchen in der kanonischen Exegese, biblische Texte stärker von ihrer Stellung in der Bibel her zu verstehen. Aus der französischen Literaturwissenschaft kommt die Idee, die Geschichten der Bibel wie Erzählungen zu analysieren. Und dann gibt es noch die fundamentalistische Bibelauslegung.
»Jede Methode braucht Kritik und Ergänzungen«, sagt Sachsens Landesbischof Carsten Rentzing. »Den Mut dazu wünsche ich mir an den Theologischen Fakultäten – aber dafür sind sie in akademischer Freiheit selbst zuständig und diese Debatten sind in ihnen auch schon angekommen.«
Er selbst habe als Theologe immer historisch-kritisch gearbeitet und diese Methode als Segen empfunden, weil sie auch von Irrtümern befreie, betont der Bischof. »Man muss die Vernunft gebrauchen, um die Heilige Schrift zu verstehen – aber eine Verkündigung wird nur möglich sein, wenn man die Schrift selbst zu Wort kommen lässt neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen.« Für den Landesbischof ist das kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander.
Warum sollte ein Theologe das wollen sollen? Warum jemanden etwas erklären, was der doch nicht verstehen kann? Ein Physiker erklärt einem Laien auch nicht, was der nicht verstehen kann. Schon gar nicht mit einfachen Worten. Wer es verstehen will, muß sich selbst bemühen. Da scheint hier aber keine Gefahr zu bestehen.
Lieber Thomas,
vielen Dank!!! Nun haben wir bzw. habe ich als Laie aber schon den Salat. Sie schreiben: "vollumfassende Textanalyse mit dem Ziel, den Inhalt der in der Bibel ... enthaltenen göttlichen Offenbarung besser zu erfassen." Bei Wikipedia dagegen lese ich: "Die historisch-kritische Methode untersucht den biblischen Text unter der Annahme, dass Menschen ihn geschrieben haben, ohne dass Gott sie dabei beeinflusst hat. Diese Grundannahme wird als Axiom der Forschung gesetzt, ohne dass sie bewiesen oder widerlegt werden könnte. Jeder Anhaltspunkt für ein göttliches Eingreifen wird so erklärt, als läge allein menschliches Handeln vor."
Wie Sie betonen, liegt in der Kürze das Risiko von Mißverständnissen. Dennoch meine ich, hier zwei sich gegenseitig ausschließende Ansätze zu finden; 1. den Ihren, der will die "göttlichen Offenbarung besser erfassen" und 2. den bei Wikipedia beschriebenen, der eine göttliche Offenbarung grundsätzlich ausschließt. Der 1. klingt vernünftig, der 2. wie kompletter Blödsinn. Doch welcher ist der richtige?
A.Rau
"Richtig" in dem Sinne: welcher ist der, der an den theologischen Fakultäten angewandt wird.
Lieber Herr Rau,
an der Stelle wird es kompliziert ;-) Was genau im Theologiestudium gelehrt wird (oder besser: was zu welcher Zeit gelehrt wurde!) kenne ich nur aus Einzelgesprächen, und da ist das Bild differenziert.
Da es sich bei den biblischen Texten um Berichte über das Wirken Gottes handelt ist es ohnehin unmöglich, diese "gottlos" zu betrachten. Mittlerweile ist jedem klar, dass ein Text immer durch die Erlebnisse, Gefühle und das Wissen eines Menschen geprägt ist - das kann man auch im Nachgang nicht mehr aus einem Text entfernen.
Allerdings kann man an verschiedenen Stellen auf unterschiedliche Art eingreifen - die HKM geht bei der Textanalyse davon aus, dass Änderung in Wortwahl, Stil usw. auf einen anderen Autor, eine andere Zeit, Ort usw. deuten. Dies könnte natürlich auch göttliches Wirken sein - man kann es nicht so genau wissen, muss sich aber methodisch auf irgend etwas festlegen. Falls es falsch ist hat man dennoch diesen Weg beschrieben, so dass man auch die andere Abzweigung nehmen kann.
In jedem Fall steht am Ende ein Bild vom Wirken Gottes - und egal was man (egal mit welcher Methode) versucht davon wegzustreichen: Einem soliden Gottesglauben wird es gut tun, und für einen Zweifelnden bietet es Angriffsfläche für Diskussionen. Dem Suchenden aber kann es helfen zu wissen, dass vorher menschliche Verzerrungen zumindest bedacht wurden.
Viele Grüße,
Thomas
Lieber (wortkarger) Theologe,
Die HKM bei Wikipedia ist ziemlich sperrig und kommt nicht richtig auf den Punkt. Also würde ich gerne Fragen stellen: Verstehensfragen, "Einordnungsfragen", kritische Fragen ... Nur geht das leider nicht. Von daher wäre es schon hilfreich, wenn wenigstens ein Experte hier mal den Kopf für seine Wissenschaft hinhält. Und was den Arztbesuch betrifft, nun ja, ich kenne einige Leute, die sind zu zig Ärzten gerannt, bis sie zufällig an den richtigen geraten sind, der ihnen dann tatsächlich geholfen hat. Ich verfolge die Krankheiten unserer Kirche nun seit 40 Jahren. In dieser Zeit wurden die praktisch immer mit der HKM behandelt. Ich konnte aber kaum eine Besserung beobachten, eher das Gegenteil. Von daher wird es langsam wohl doch mal Zeit, die Standard-Therapie zu hinterfragen.
Ich versuche das im folgenden an, vermutlich, drei Punkten.
A.Rau
Lieber Andreas,
das klingt interessant; habs aber kaum gelesen, kenne aber den Autor etwas. Ist wohl recht diplomatisch.
http://www.horst-koch.de/ewigkeit/historisch-kritische-arbeit-r-mayer.html
LG, Bastl
Lieber Bastl,
danke! Es ist wirklich kurios: Ich bin zwar ständig über die Ergebnisse der HKM gesolpert, aber was die eigentlich ist bzw. wie sie arbeitet, war mir in der Tat nicht bewußt. Wenn ich jetzt etwas daran schnuppere, wirkt das alles ziemlich nebulös. Es ist ist schwierig, des "Pudels Kern" zu finden. Was aber nichts daran ändert, dass der extrem giftig zu sein scheint.
Andreas
Lieber Thomas, "liebes Käffchen",
haben Sie sehr herzlichen Dank für Ihre Geduld und Ihre Mühe. Ich empfinde es als sehr hilfreich, was Sie da schreiben. Allerdings bin ich im Moment ziemlich überfordert. Jemand hat mich in dieser Runde hier einmal als "Ordnungsfanatiker" bezeichnet. Da ist was dran. Denn ich versuche solche Themen so zu ordnen, dass ich sie überblicken und verstehen kann. Bei der HKM gelingt mir das aber noch nicht. Da wird vieles gesagt, was vernünftig klingt, aber auch einiges, was mir unsinnig erscheint. Und beides zusammenzubringen, braucht noch einige Mühe. Deshalb bitte ich Sie herzlich: Haben Sie noch etwas Geduld mit mir + lassen Sie uns diesen Gesprächsfaden noch etwas weiterspinnen. Wir werden uns sicher nicht auf eine gemeinsame Sicht einigen können, aber zumindest mein Horizont würde erheblich erweitert.
Bitte nutzen Sie NICHT die "Antworten-Funktion", denn dadurch werden die einzelnen Beiträge so verästelt, dass leicht mal einer übersehen werden kann. Und das wäre schade.
Mit herzlichen Grüßen
A.Rau
Liebes Käffchen,
nochmals herzlichen Dank. Das Problem für mich ist: Das AT ist für mich a) in gewisser Weise von untergeordneter Bedeutung und b) unüberschaubar komplex. Darüber kann ich unmöglich mit einem Profi diskutieren oder gar streiten. Mein Interesse gilt mehr dem NT, speziell den Evangelien. Können oder müssen die genannten Werkzeuge dort genau so angewandt werden? Oder handelt es sich dabei (zumindest teilweise) um Augenzeugenberichte, die dann einen literarischen Sonderfall darstellen würden + entsprechend behandelt werden müßten?
A.Rau
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