95 Thesen für ein gutes Leben
Ein Sammelband liefert Ideen für ein anderes und besseres Leben und legt die Finger in 95 Wunden der Gegenwart
Welche Thesen würde Martin Luther wohl heute an die Schlosskirche nageln? Man weiß es nicht. Stellvertretend für ihn haben nun 95 Autoren, Theologen und Politiker kurze Denkanstöße für ein gutes Leben formuliert. Entstanden ist dabei das Buch »95 Anschläge. Thesen für die Zukunft«, dessen Beiträge von Lebenskunst und Leistungsgesellschaft, Kirche oder Internet handeln.
Nicht alle Thesen sind gleich spannend – genau wie beim großen Vorbild. Doch so mancher Beitrag verfehlt nicht seine Wirkung. Etwa das Plädoyer für eine Internet-Verweigerung. Aus Sicht des Filmemachers Edgar Reitz habe sich mit der Machtergreifung der Konzerne das Internet zu einer Quasireligionsgemeinschaft gewandelt. Deren Kontrollsystem übertreffe in seiner teuflischen Perfektion die Seelenkontrolle der mittelalterlichen Kirche bei weitem. Er sieht deshalb eine Internet-Verweigerung kommen. »Internetaskese wird der Ausdruck einer Generation sein, die das Bedürfnis hat, unter dem ›Radarschirm der Gesellschaft‹ hindurchzutauchen.« Nur so könne die Freiheit zurückerobert werden.
Und die Ex-Leistungssportlerin Ines Geipel fordert »Erbarmt Euch Eurer!«. Sie kritisiert die enormen Beschleunigungen in unserer Gesellschaft. Der »Hochdruckkessel ist am Kochen«. Und es sei keiner da, der den Stecker ziehe, der ein bisschen Ruhe reinbringe. Das habe auch mit dem verloren gegangenen Gott zu tun, der in früheren Zeiten Einhalt geboten habe. Geipel erinnert daran, dass uns alles Wichtige im Leben geschenkt wurde. Trotzdem spiele Gnade heute kaum eine Rolle. Sie wirbt für heilsame Unterbrechungen – Umwege zu machen oder erst zu geben statt zu nehmen. »Oder mehr Flecken auf der Bluse ertragen, statt in einem fort perfekt zu sein.«
Gegen die Angstmache von Populisten bringt die Autorin Sibylle Lewitscharoff das Gebot der Nächstenliebe ins Spiel. Zum Umgang mit Flüchtlingen schreibt sie: »Je großzügiger und freundlicher wir ihnen bei der Eingliederung behilflich sind, desto stärker werden wir sie an die demokratischen Errungenschaften unserer Länder binden können.« Doch es gebe auch Grenzen der Toleranz: Frauenunterdrückung und größere kriminelle Delikte.
Und die Kirche? Laut dem Theologen Christian Albrecht ist sie die Hüterin von Geschichten, Bildern und Ritualen, die für viele unbrauchbar geworden seien. Doch indem sie schlicht diese Geschichten bewahrt und die Räume und Rituale beharrlich bereithält, tut sie alles, was sie tun muss: ein hintergründiges Angebot von Weltvertrauen zu bieten – für den Fall der Fälle, dass es jemand benötigt.
Auch das Sterben wird verhandelt. Wolfgang Huber plädiert gegen aktive Sterbehilfe. Denn diese sei ein falscher Machbarkeitsglaube. »Wer einsieht, dass er nicht über den Tod bestimmen kann, lernt vielleicht umso eher, sich im Sterben selbst zu bestimmen.« Huber erhofft sich eine Freiheit im Umgang mit dem Tod. Diese gebe es nur durch eine Hoffnung über den Tod hinaus. So könne der Tod akzeptiert werden, ohne ihm das letzte Wort zu überlassen. Für Huber gelingt dies nur durch das Vertrauen auf Christus.
Dieses Buch ist ein Bündel Lebensklugeit, das etwas hoffnungsfroher in die Zukunft schauen lässt.
Friederike v. Bünau; Hauke Hückstädt (Hg.): 95 Anschläge. Thesen für die Zukunft. S. Fischer Verlag 2017, 288 Seiten, 20 Euro.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
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Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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