Die ALTernative
Plädoyer für eine sonnige Zukunft von Franz Alt
Beim Thema Klimawandel denken die meisten Menschen an die Natur. Doch die steigenden Temperaturen werden auch zum Problem für uns Menschen, sagt Franz Alt. Sein Buch »Die ALTernative« stellen wir derzeit durch einen auszugsweisen Abdruck vor.
Im Fachmagazin The Lancet warnen die UNO und 27 internationale Forschungsinstitute vor den intensiveren Hitzewellen in der Zukunft. Als gefährdet gelten vom allem Menschen über 65 Jahre oder Menschen, die an Krankheiten leiden wie Diabetes, Atemwegs- oder Herz-Kreislauf-Beschwerden. Davon seien in Europa und im östlichen Mittelmeerraum weit mehr Menschen betroffen als in Afrika oder Südostasien. Tropische Krankheiten wie Malaria oder Denguefieber werden sich wieder ausbreiten. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass zwischen 2030 und 2050 jedes Jahr 250 000 Menschen an den Folgen der Klimaerhitzung sterben werden.
Schon heute sterben jedes Jahr weltweit sieben Millionen Menschen durch Luftverschmutzung wegen des Verbrennens von Kohle, Gas, Öl oder Benzin, warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Klimaschutz rettet Leben und spielt die Kosten wieder ein. Die wahren Kosten des Klimawandels fallen in unseren Krankenhäusern an. Der Club of Rome stellt dazu fest: »Klimawandel ist keine zukünftige Gefahr – er betrifft schon heute Milliarden Menschen rund um den Erdball und jede Volkswirtschaft.«
Der Club schlägt deshalb vor: Stopp der Suche nach neuen Erdöl-, Kohle- und Erdgas-Lagerstätten ab 2020, ein Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2030 sowie eine großflächige Aufforstung. Nur so könne eine katastrophale Klimaerhitzung noch verhindert und das 1,5-Grad-Ziel von Paris noch erreicht werden. Sollte der Klimawandel nicht gestoppt werden, wird es schon bis 2050 rund 140 Millionen Klimaflüchtlingen geben.
Wissenschaftler haben errechnet, dass Deutschland noch in diesem Jahrhundert mit Schäden in Höhe von bis zu 800 Milliarden Euro rechnen muss, wenn es uns nicht gelingt, den Klimawandel durch eine Energiewende einzudämmen. In Ostdeutschland haben wir bereits heute um 20 Prozent weniger Niederschläge als im letzten Jahrhundert, was großen Stress für die Landwirtschaft, aber auch für Bäume und Wälder bedeutet. Viele Wälder werden den Klimawandel nicht überleben. Und Wälder sind die wichtigsten und artenreichsten Biotope der Welt. Doch sie werden sterben.
Niemand soll später sagen: »Das alles haben wir nicht gewusst.« Klimaszenarien sagen kalifornische »Ereignisse« auf der ganzen Welt voraus, also auch die Zunahme von Waldbränden. In Europa und Deutschland werden die Waldbrände von Griechenland bis Finnland im Sommer 2018 in der kollektiven Erinnerung bleiben. Wissenschaftler aus der ganzen Welt befürchten eine »Heißzeit«, in der noch in diesem Jahrhundert die globale Temperatur um fünf Grad ansteigen kann, der Meeresspiegel langfristig um bis zu 60 Meter. Die größte Gefahr geht vom Auftauen der Permafrostböden in Sibirien, Westchina, Alaska und Kanada aus. Denn die globale Erhitzung setzt dort riesige Mengen Methangas frei, das etwa 25-mal so klimaschädlich ist wie das bisherige Haupttreibhausgas CO₂.
Schon in den letzten Jahrzehnten hat sich die Arktis doppelt so schnell erwärmt wie die übrige Welt. Ich habe in Grönland Tage erlebt, an denen es dort wärmer war als in Mitteleuropa. Im Sommer 2018 lagen die Temperaturen in der Arktis an vielen Tagen um fünf Grad über dem bisherigen Mittelwert. Polarforscher haben errechnet, dass es noch vor 50 Jahren im Nordpolarmeer doppelt so viel Packeis gab wie 2018. Schon in wenigen Jahren wird das Nordpolarmeer im Sommer total eisfrei sein, befürchten Klimaforscher.
Der renommierte und langjährige Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Professor Hans Joachim Schellnhuber, spricht in seinem aufrüttelnden Buch »Selbstverbrennung« vom »Selbstmordprogramm« der Menschheit. Nach diesem Sommer 2018 stimmen ihm alle unabhängigen Klimaforscher der Welt zu. Ganz wenige Ignoranten, wie Präsident Trump und die deutsche AfD, begreifen die Gefahr noch immer nicht oder wollen sie nicht begreifen. Und der alte Energie-Dinosaurier RWE will noch immer Wälder abholzen, um den Klimakiller Braunkohle fördern zu können.
Wer Augen hat zu sehen, Ohren zu hören und ein halbwegs funktionierendes Gehirn, kann die Klimaerhitzung nicht mehr verdrängen oder leugnen. Was wir im Sommer 2018 erlebt haben, ist exakt das, was die Klimaforschung seit Jahrzehnten vorhergesagt hat. Doch für viele Deutsche und Mitteleuropäer waren die Klimaprognosen bisher eher Theorie. Sie waren ja selbst noch nicht betroffen. Insofern war auch für uns dieser Sommer ein Weckruf. Vielleicht der letzte. Jetzt plötzlich ist Heißzeit auch bei uns mögliche Realität geworden. Solche Sommer werden Normalität. Schon der Hitzesommer 2003 hat in Westeuropa 60 000 Hitzetote gefordert.
Die Politik hat riesigen Nachholbedarf an entsprechenden Entscheidungen wie dem raschen Kohleausstieg oder dem baldigen Ende des Verbrennungsmotors in Autos. Die Zeit, in der jede und jeder Einzelne, die Wirtschaft und die Politik noch handeln können, geht rasch zu Ende. Zugleich aber ist der grüne Wandel keine Utopie mehr. Das macht sich in Deutschland im Jahr 2018 auch in Wahlen bemerkbar. Während ich diese Zeilen schreibe, veröffentlicht die Bild-Zeitung ihre jüngste Sonntagsumfrage: CDU/CSU 25 Prozent, Grüne 21 Prozent, SPD 14 Prozent. Bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen haben die Parteien, die sich im Wahlkampf gegenüber dem Klimawandel blind stellten, also die CDU, die CSU und die SPD, jeweils um die zehn Prozent Stimmen verloren, während die Umweltpartei, die Grünen, ihren Stimmenanteil beinahe verdoppeln konnten. Grün ist das neue Rot oder das neue Schwarz. Grün wird ein humanitärer, christdemokratischer, ökologischer Imperativ.
Dieser Trend wird sich nach diesem Hitzesommer und nach den dramatischen Warnungen des Weltklimarats fortsetzen, wenn die sogenannten Alt-Parteien sich nicht ändern. Was muss eigentlich noch passieren, bis die bisherigen Volksparteien aufwachen? Die Parteien der Großen Koalitionen haben sich beim Überlebensthema Klimawandel in den letzten Jahren sehr klein gemacht. Sie haben ihn schlicht verpennt. Das war einfach dumm und zukunftsblind – und wahltaktisch unverzeihlich.
Im Mittelalter bauten die Menschen Kathedralen, obwohl sie wussten, dass sie deren Richtfest nicht erleben werden. Sie planten für die Ewigkeit. Heute wissen wir, dass sich unser Planet noch vier bis sechs Milliarden Jahre um die Sonne drehen wird, bevor ihn ein schwarzes Loch verschluckt. Aber wir planen nicht einmal über die nächste Legislaturperiode hinaus oder auch nicht über die nächste Jahresbilanz eines Konzerns. Wir sind gegenwartsversessen und zukunftsvergessen geworden. Das ist unser Hauptproblem.
Der Journalist und Theologe Franz Alt, Jahrgang 1938, bekannt geworden als Moderator des Politmagazins Report, engagiert sich seit Jahren für die Ökologie.
Buch: Franz Alt: Die ALTernative. Plädoyer für eine sonnige Zukunft. 128 S. Edition Chrismon. 10 Euro.
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Impressionen vom Elbe-Tauffest
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