Klärung im Blick
Aufarbeitung von Gewalt: Die Landeskirche hat jetzt eine Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Pobershau einberufen. Für die Betroffenen und die Kirchgemeinde im Erzgebirge endlich ein Hoffnungszeichen.Das verzweifelte Warten in der Kirchgemeinde Kühnhaide-Pobershau könnte bald ein Ende haben. Seitdem der frühere Pfarrer Burkhard Wagner im Mai 2019 über Fälle sexualisierter Gewalt in Pobershau informierte, erstickt die Gemeinde in Misstrauen, Spaltung und Sprachlosigkeit. Der beschuldigte Musiker, der die Orgel spielte und früher die Kurrende leitete, war ein angesehenes Gemeindeglied – und wurde vom Ehrenamt suspendiert. Die drei betroffenen Frauen konnten juristisch nichts erwirken, denn die Fälle aus den 1990er Jahren waren verjährt. Als das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« im Sommer 2020 darüber berichtete, erklärte die Landeskirche, dass eine Unabhängige Aufarbeitungskommission »unverzüglich gebildet« werde. Über ein Jahr lang schien dann nichts damit zu passieren – außer Corona und so manche Entfremdung von Kirche und Gemeinde.
Der Vater einer der drei Betroffenen zum Beispiel klingt enttäuscht über die ungenutzte Zeit. Kein offizielles Gespräch der Eltern »mit der anderen Seite« habe es gegeben, antwortet er auf die Fragen des SONNTAG. Von der Kommission erwarte er »nicht viel«, »eher eine Beruhigungspille«. Es würde ihn freuen und überraschen, »wenn sie tatsächlich aufarbeiten würde«, so der Vater. Zumindest familiär habe sich bei ihm manches zum Guten entwickelt, unter anderem weil jetzt »keine Geheimnisse mehr gehütet werden müssen«. Er vermisse Pfarrer Wagner, der »außerordentlich mutig« gewesen sei.
Burkhard Wagner hatte vor einem Jahr die Gemeinde verlassen, nachdem er zusammen mit dem Kirchenvorstand und in Abstimmung mit Beratungsstellen selbst Aufklärungsarbeit geleistet hatte. Das war auch auf Kritik gestoßen und er konnte seiner Aufgabe als Pfarrer für die ganze Gemeinde nicht mehr gerecht werden.
Der beschuldigte Musiker sei mit seiner Frau aus der Kirche ausgetreten, wie er dem SONNTAG auf Anfrage mitteilte. »Es war einfach nicht mehr zum Aushalten, wie hier mit Menschen umgegangen wird.« Auch er vermisse das Gespräch. Er stehe zu seinen Fehlern, den sexuellen Übergriffen. Von »Gewalt« wolle er dabei aber nicht sprechen. Er begrüße die Aufarbeitungskommission und hoffe, dass sie für die Gemeinde »etwas bewegen kann«. Sie komme aber »leider über zwei Jahre zu spät«, denn vor Ort gebe es nur noch »einen riesigen Scherbenhaufen«.
Vergangene Woche nun hat sich die Kommission erstmals getroffen. Ihre vier Personen sollen vorerst unbenannt bleiben, sagt Pfarrer i.R. Thomas Schönfuß, der mit der Kommissionsbildung beauftragt war. Auch über das erste Gespräch mit dem Landesbischof und einem Kommissionsbeirat soll noch nichts öffentlich werden, teilen verschiedene Beteiligte auf Nachfrage mit. Erst wenn sich die Kommission mit dem Kirchenvorstand im Erzgebirge über Ziele, Aufgaben und Vorgehen beraten hat, soll das anders werden. Für November sei ein Termin anberaumt, sagt Kirchvorsteher Lutz Reichel.
Dabei drängt die Zeit, denn die Spaltung und Lähmung der Kirchgemeinde dauert an. Der Gottesdienstbesuch sei geringer als früher, sagt Vakanzvertreter Wolfram Rohloff. Der Pfarrer aus der benachbarten Heilandskirchgemeinde Zöblitz-Lauterbach vertritt die unbesetzte Pfarrstelle und meint, dass die Gemeinde wieder miteinander ins Gespräch kommen müsse.
Parallel zur Aufarbeitung in Pobershau müssen alle Kirchgemeinden der Landeskirche ihren Blick auf die Prävention sexualisierter Gewalt wenden. Denn im Sommer hatte die Landessynode ein Gewaltschutzgesetz verabschiedet. Demnach müssen sich die Gemeinden und Einrichtungen um ein eigenes Schutzkonzept kümmern. »Für Kirchgemeinden gibt es keine Frist, aber mit Inkrafttreten des Kirchengesetzes eine Pflicht ab September 2021, ein solches Schutzkonzept zu erstellen«, heißt es aus dem Landeskirchenamt. Dabei werde die Landeskirche die Gemeinden durch Musterschutzkonzepte unterstützen, die derzeit in Arbeit seien.
Bislang seien solche Schutzkonzepte in Gemeinden »eher die Ausnahme«, sagt Heike Siebert im Landesjugendpfarramt. Sie leitet die Fachstelle zur Prävention und verweist darauf, dass einzelne Bestandteile des Konzeptes bereits in Gemeinden vorhanden seien, etwa der Verhaltenskodex oder ein Notfallplan.
Auf Ebene der Kirchenbezirke gibt es zur Unterstützung der Gemeinden Präventionsbeauftragte. Bezirkskatechet Michael Otto ist das beispielsweise seit einem Jahr für den Kirchenbezirk Marienberg. Die Beauftragung sei aber bislang weder mit einem Zeit- oder Anstellungsbudget noch mit einer Ausbildung verbunden gewesen – obwohl Letzteres geplant sei, fügt er hinzu. Ein Schutzkonzept von einer Gemeinde in seiner Ephorie liege ihm bislang nicht vor, sagt er.
Prävention sexualisierter Gewalt in der Landeskirche
Seit September ist in der Landeskirche Sachsens ein »Kirchengesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt« (Gewaltschutzgesetz) in Kraft. Dieses fordert von allen Mitarbeitenden im Verkündigungsdienst ein erweitertes Führungszeugnis. Für die beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitenden im Umgang mit Kindern und Jugendlichen ist der Verhaltenskodex aus dem Bereich der Evangelischen Jugend Sachsens verpflichtend. Kirchgemeinden und kirchliche Anstellungsträger müssen zudem ein je eigenes Schutzkonzept erstellen. Das sollte unter anderem eine Risikoanalyse, klare Abläufe bei Verdachts- und Notfällen sowie eine Regelung zum Beschwerdemanagement enthalten. Unterstützend für die Präventionsarbeit gibt es in jedem Kirchenbezirk einen Präventionsbeauftragten. Zugleich werden derzeit Musterschutzkonzepte von der Landeskirche erarbeitet. Auf der Ebene der Landeskirche leitet Heike Siebert im Landesjugendpfarramt die Fachstelle Prävention. Sie arbeitet mit den Präventionsbeauftragten der Ephorien zusammen und erarbeitet unter anderem die Konzepte für die Schulung von Mitarbeitenden. Im Internet hält die Landeskirche verschiedene Publikationen und Vordrucke für die Präventionsarbeit bereit: www.bit.ly/2Ym7Ag7 |
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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