Zuhören als Zumutung
Demokratie und Kirche: Der Wahlkampf zur Europa- und Kommunalwahl ist auf dem Höhepunkt. In Kirchgemeinden wird das Zuhören eingeübt – für manche eine Zumutung.Das »zuhörende Herz« ist dieser Tage für Jan-Peter Becker mehr denn je ein besonders wertvolles Organ. Denn der Pfarrer der Kurstadt Bad Lausick hatte zum Zuhör-Gespräch in die Stadtkirche St. Kilian eingeladen – eine von vielen Veranstaltungen von Kirchgemeinden im Rahmen der ökumenischen Wahlinitiative beider christlichen Kirchen im Freistaat unter dem Motto »Für alle. Mit Herz und Verstand«. Die Kirchgemeinde begrüßte dazu die Ministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Petra Köpping (SPD), sowie den Grünen-Politiker Wolfram Günther, Minister für Landwirtschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt und stellvertretenden Ministerpräsidenten.
Zunächst waren die beiden Politiker zum Zuhören aufgefordert. Denn Moderator Pfarrer Stephan Bickhardt von der Evangelischen Akademie richtete das Mikrofon an das Publikum, um Fragen an die beiden Gäste zu adressieren. Dieses Angebot wurde reichlich genutzt. Dabei schlugen die Besucherinnen und Besucher einen weiten Bogen von Corona und der Frage der Pandemie-Aufarbeitung über die fortschreitende Flächenversiegelung bis zum die Menschen offensichtlich sehr stark bewegenden Thema Pflege.
Warum wird für Letztere wie für die Bildung und andere existenzielle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens jeder Euro zweimal umgedreht, wohingegen für die Ukraine gewaltige Geldmengen bereitgestellt werden? Das war nur eine von einer Vielzahl nicht einfach zu beantwortender Fragen. Sie stehe auf dem Standpunkt, so Ministerin Köpping, dass die Ukrainer in ihrem Abwehrkampf alle nur mögliche Hilfe verdient hätten. »Deshalb lehne ich es auch ab, diese Unterstützung mit knappen Geldern für die Pflege und andere soziale Bereiche aufzuwiegen.« Die Diskussion mit der Bevölkerung halten beide Politiker für notwendig. Nur wenn Politik um die Befindlichkeiten der Menschen wisse, könne sie sich entsprechend ausrichten.
Auch Pfarrer Sebastian Kreß in Hohnstein in der Sächsischen Schweiz will »diese Kultur des Zuhörens« wieder häufiger einüben, weil »wir diese dringend brauchen, um als Gesellschaft wieder an einem besseren Miteinander zu arbeiten«. So hat er eine Gesprächsreihe gestartet, die noch eine zweite Anforderung mitbringt: »Ohne Schubladen«, also ohne Vorurteile und vorschnelle Urteile. »Und da darf das Zuhören eben nicht dort aufhören, wo es schmerzhaft wird«, meint er und lädt deshalb auch mal einen AfD-Stadtrat aus Sebnitz auf das Podium ein. Während andere Kirchgemeinden bewusst auf Vertreter der vom sächsischen Verfassungsschutz als »rechtsextremistisch« eingestuften Partei verzichten und Kirchenvertreter deutlich vor ihrer Wahl warnen, sagt Sebastian Kreß: »Ich habe nicht den Eindruck, dass Abgrenzung alleine aktuell zum Umdenken und zur Deeskalation der politischen Entwicklung beiträgt.«
Die Reaktionen auf die Veranstaltung unter dem Titel »Demokratie als Herrschaft des Volkes – Lust oder Frust?« mit drei Disputanten und dem Pfarrer als Moderator seien gemischt gewesen. Befürworter wie Skeptiker hätten sich schon im Vorfeld gemeldet und am 31. Mai »erstaunlich wenig kontrovers« und im »respektvollen Austausch« miteinander diskutiert, resümiert der Pfarrer. Solche Diskussionen gehörten zum demokratischen Miteinander, sagt Sebastian Kreß und ergänzt: »Klar ist: Es gibt Grenzen, worüber diskutiert werden kann. Aber diese Grenzen wurden nicht überschritten.«
An diese Grenze wollten die evangelische Peterskirch- und die katholische Propsteigemeinde im Leipziger Zentrum nicht wieder gehen. Fünf Jahre nach der ersten Auflage ihres »Wahlchecks« ließen sie keine AfD-Vertreter mehr auf die Podien zur Europa- und zur Kommunalwahl. Schließlich gehe es bei dem Format »nicht um Debatte, sondern um eine Plattform für den Wettstreit um die besten Ideen«, sagte Pfarrerin Christiane Dohrn. Trotzdem sei es für die Zuhörer eine »Zumutung, dass man schweigen muss«, so Propst Gregor Giele. Er dankte den Besuchern, dass sie das aushielten, während die Politiker verschiedener Parteien ihre Positionen zu bestimmten Themen kurz und persönlich äußern durften.
Ganz anders geht Elke Seekamp-Weiß in Lößnitz mit dem Wahl- und Demokratie-Thema um. Nach dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und den Correctiv-Recherchen im Januar rief die Pfarrerin das Gebet für Demokratie ins Leben. Seither lädt sie freitags 19 Uhr dazu in die St. Johanniskirche ein, bis zur Landtagswahl im September, außer in den Sommerferien. Nur die Demokratie garantiere, »dass wir unsere Meinung frei äußern dürfen und unseren Glauben so leben können, wie Gott und wir es möchten«, sagt die Pfarrerin unter anderem in ihrer Einleitung. Danach folgen das Glaubensbekenntnis von Dietrich Bonhoeffer, persönliche Gebete der Teilnehmenden und das gemeinsame Vaterunser. Elke Seekamp-Weiß habe den Eindruck, Gott höre nicht nur zu, sondern »antwortet« auf das Gebet.
Teilnehmer: 60
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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