Neues Licht auf den Koran
Islam: In der erhitzten Debatte über den Islam tut ein nüchterner Blick auf diese Religion not. Angelika Neuwirth bietet in ihrem neuen Buch eine erhellende Einführung in den Koran, die auch ein neues Licht auf die Bibel wirft.
Muslime gab es schon lange in Deutschland. Aber erst die Berufung des Terrors auf ihn und die neue Flüchtlingsbewegung haben aktuell eine besondere Aufmerksamkeit auf den Islam gelenkt. Die seinen Namen zu Unrecht im Schilde führen und die den Islam statt den Terror bekämpfen, werden es in Zukunft schwerer haben. Denn jetzt werden auch die Stimmen erkennbar, die Zugang zum Kern dieser Religion gefunden haben und diesen vermitteln können.
Eine der klügsten unter ihnen stammt von Angelika Neuwirth. Die interreligiös forschende Berliner Islamwissenschaftlerin leitet das Potsdamer »Corpus Coranicum«. Dort wird untersucht, was im Koran steht und welche Entwicklungen sich im Koran selbst zeigen. Eine Art Zusammenfassung ihrer jahrelangen Forschungen ist nun in einem Buch erschienen: »Die koranische Verzauberung der Welt und ihre Entzauberung in der Geschichte«.
Darin geht es um die zwei Phasen der Koranentstehung: jene erste Phase der »Verzauberung« von 610–622 n. Chr., die durch Mohammed in Mekka vermittelt wurde. Und die zweite Phase der »Entzauberung« in Medina zwischen 622 und 632. Dem neugierigen Leser erschließt sich hier in einer Interpretation von zentralen Abschnitten des Koran, was auf der arabischen Halbinsel vor 1400 Jahren geschehen sein soll.
Neuwirth schildert auf dem Hintergrund arabischer Poesie und nomadischer Stammesideologie, wie durch die von Mohammed vermittelte und zunächst nur von einer kleinen Gemeinde mitgetragene Offenbarung Gottes (arabisch »Allah«) in Mekka auf die Welt kam. Diese Offenbarung verstand die »Zeit« nicht mehr nur als chronometrisch messbare Zeit, sondern in Anlehnung an jüdische und christliche Überlieferung als erfüllte, auf ein Ziel bezogene Zeit. Auch wurde der »Raum« zwischen Schöpfung und Apokalyse inhaltlich bestimmt. Beide, Zeit und Raum, werden mit Sinn erfüllt und so spiritualisiert und »verzaubert«. Mehr noch: das beduinische Stammesethos wurde zu einem universalen erweitert. Ein umfassendes Verständnis von »Gerechtigkeit« und von deren Korrelat beziehungsweise Korrektur »Barmherzigkeit« veränderte die Welt. Konkret wird das auch in den Korantexten, die den biblischen zehn Geboten entsprechen. Sie spitzen die Gebote für die arabische Kultur des 7. Jahrhunderts zu.
Als Mohammed und die von ihm dort begründete Gemeinde 622 aus Mekka nach Medina fliehen musste, setzte nach Neuwirth schon bald die »Entzauberung« ein: die Erdung des Islam in der Auseinandersetzung vor allem mit den jüdischen Stämmen der Stadt. Das zeigt sie anschaulich an der im Koran selbst vorgenommenen und diskutierten Änderung der Gebetsrichtung und an der im Koran vollzogenen Entwicklung der Bedeutung des Ahnherrn Abraham. Das sei hier abgekürzt skizziert: Die Beduinen Arabiens richteten zuerst ihre Gebete nach Osten – der Sonne entgegen. Mohammed aber lehrte sie in Mekka, wie die Juden gen Jerusalem zu beten, dem mythischen Ort biblischer Heilsgeschichte. In Konflikten mit den Juden Medinas wurde Jerusalem nun nach Neuwirth »entzaubert« zu einem konkreten heiligen Ort einer konkurrierenden Religions- und Nationalgeschichte. Jetzt gewinnt für die islamische Gemeinde die Kaaba in Mekka zentrale Bedeutung. Sie war für die Beduinen Arabiens schon in vorislamischer Zeit kultisches Zentrum ihres Götterglaubens. Ihr wendet sich der muslimische Beter nun zu als dem Ort, an dem in längst vergangener Zeit – auch lange vor dem Tempelbau in Jerusalem – Abraham den einen Gott verehrt habe.
Wie in diesem Beispiel, so lässt sich an hundert Beispielen zeigen, wie der interessierte Leser an koranischen Texten biblische Geschichten neu verstehen lernen kann. Wenn dabei ernst genommen wird, dass beide – zuerst die Bibeltexte, später die Korantexte – historisch entstanden sind und noch in den heiligen Schriften erkennbar ist, welche Entwicklungen sie gemacht haben. Sie fordern so zu eigener Stellungnahme heraus. Diese zu ermöglichen, sei Angelika Neuwirth und ihrem Potsdamer Forscherteam gedankt.
Angelika Neuwirth: Die koranische Verzauberung der Welt und ihre Entzauberung in der Geschichte, Herder-Verlag 2017, 30 Euro.
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Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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