Von Scheitern und Neubeginn
Glaubensserie (16): Das Abendmahl – Markus 14, Verse 17 bis 26
Das Abendmahl wurde von Jesus selbst eingesetzt – daran wird am Gründonnerstag gedacht. Auf den ersten Blick scheint das Abendmahl – einen Tag vor Karfreitag – zunächst auf Jesu Abschied ausgelegt. Dabei ist es bis heute noch ein Symbol für die Nähe Jesu.
Waren Sie schon einmal in Rothenburg ob der Tauber? In der Jakobskirche finden Sie dort auf der Westempore den berühmten Schnitzaltar von Tilmann Riemenschneider. Der Altar zeigt auf dem linken Flügel den Einzug Jesu in Jerusalem. Die berührende Szene im Garten Gethsemane findet sich rechts. Im Mittelschrein ist das Abendmahl dargestellt. Innovativ war dabei nicht nur die grandiose Schnitztechnik des Meisters, sondern auch die monochrome Fassung und die Gestaltung des Altars. Der durchbrochene Schrein und das raffinierte Relief verbinden sich mit einer revolutionären Lichtdramaturgie. Das hatte man bis dahin noch nie gesehen.
Denn die Rückwand ist durchbrochen und lässt so zu einem bestimmten Zeitpunkt Licht in die Szene fallen. Das besondere aber ist die zentrale Figur des Altares. Sie ist Judas, nicht, wie sonst üblich, Jesus. Judas und Jesus haben überdies eine erstaunliche Ähnlichkeit in den Gesichtszügen. Als sollten wir lernen, dass es immer beide Seiten gibt: Scheitern und Erfüllung, Ja und Nein. Die Botschaft dieses Altares ist zutiefst menschlich.
Am Abend nach dem Gottesdienst am Gründonnerstag kommt der Küster mit einem Schlüssel in die Jakobskirche. Mit diesem Schlüssel kann er die Verankerung der zentralen Judasfigur lösen. Jetzt in der Nacht des Verrates wird die Figur des Judas aus dem Bild herausgenommen und der dahinterliegende Jünger Johannes, der auch der Lieblingsjünger genannt wird, wird voll sichtbar. Und was tut der Lieblingsjünger in dieser Nacht, nun, wo er zu sehen ist, wo es auf ihn ankommt, einmal im Jahr? Er schläft. So sind Menschen.
Das ist ein sehr eindrückliches Bild. Der Verräter wird herausgenommen und der Freund schläft. Aber damit nicht genug. In der Osternacht kommt der Küster aufs Neue mit seinem Schlüssel. Jetzt stellt er die Figur des Judas wieder in die Szene hinein, Judas nimmt wieder Platz am Tisch des Herrn und wird wieder aufgenommen in die Gemeinschaft. Als würde der Auferstandene dem Verräter eine neue Chance gewähren, als gäbe es keine Schuld, die Jesus nicht vergeben könnte. Als gäbe es kein Versagen, das für immer aus der Gemeinschaft ausschließen muss. Tilmann Riemenschneider hat den Menschen in Rothenburg ein wunderbares Bild geschenkt.
Viele Texte im Neuen Testament sind um die Taufe und das Abendmahl herum geschrieben. Hier isst und trinkt Jesus mit seinen Jüngern. Die Gemeinde bemerkt: Der Tisch wird nicht zum Gerichtssaal, sondern zum Ort der Wahrheit, der Vergebung und des Neuanfangs. Eigentlich sieht das Abendmahl wie ein Abschiedstreffen aus. Aber es wird der Beginn einer langen Feier am Tisch der Sehnsucht, der bis heute nicht leer geworden ist. Ich denke, Brot und Wein werden zum Sakrament seiner Nähe, seiner Verlässlichkeit und zum Symbol einer Zukunft, auf die sich die Menschheit zubewegt bis zur Vollendung des Reiches Gottes.
Ich glaube, Tilmann Riemenschneider wollte mit seinem außergewöhnlichen Altar zeigen, dass Dinge sich verändern können. Aus dem Symbol des Abschieds wird das Symbol der Nähe, der Gemeinschaft und der Zukunft. Es gibt aus dem Scheitern heraus auch die Möglichkeit des Neubeginns. Vielleicht ist das der Grund für das Ende dieser Geschichte. Sie endet mit einem Lobgesang. Von Ferne höre ich den Lobgesang bis heute, manchmal ganz leise und zögerlich, manchmal festlich und laut. Wenn ich genauer hinhöre, beginnt sich der Gesang weiter zu öffnen und ich verstehe. Dieses Mahl steht in einem anderen, einem hellen Licht – es ist kein Abschied, sondern eine Nachricht von seiner Nähe. Da sehen wir schon dankbare und fröhliche Gesichter.
Es waren deutlich Sünder, die in der Feier Speise und Trank erhielten. Aber sie dürfen nun über die Vergebung froh sein, die ihnen geschenkt wird. Sie dürfen sich wieder einfinden. Sie haben allen Grund, sich zu schämen, wenn sie auf sich selbst blicken. Wenn sie aber auf den blicken, der ihnen Brot und Wein ausgeteilt hat, wächst die Gemeinschaft wieder.
Mit diesem Lobgesang gehen die Jünger und geht Jesus dem Karfreitag entgegen. Sie werden ihn da verlassen. Das passt nicht zum Lobgesang. Aber er wird es jetzt erst recht tun für sie und für uns. Er wird unter dieser Last nicht mehr loben und singen. Er wird seufzen und schreien: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?"
Der Lobgesang und der Dank klingen nach, klingen noch. Er ruft Sie und mich aus dem Schrecken der Gottesferne heraus und in die Gemeinschaft an seinem Tisch hinein.
Bibeltext (Markus 14, Verse 17 bis 26):
17 Und am Abend kam er mit den Zwölfen. 18 Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten. 19 Da wurden sie traurig und sagten zu ihm, einer nach dem andern: Bin ich’s? 20 Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht. 21 Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre. 22 Und als sie aßen, nahm er das Brot, dankte und brach’s und gab’s ihnen und sprach: Nehmet; das ist mein Leib. 23 Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. 24 Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes[1], das für viele vergossen wird. 25 Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinke im Reich Gottes. 26 Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.
Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
Henrich Herbst ist Superintendent
im Ev.-Luth. Kirchenkreis Weimar.
Foto: Guido Werner
Alle Informationen zur Serie:
www.wasglaubstdu.online
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