»Unner Voder im Himmel«
Ein Pfarrer übersetzt Gottesdienste ins Erzgebirgische – mit einer AusnahmeGegenüber der Schönbrunner Kirche erhebt sich in der Frühlingssonne das Pfarrhaus, ein geräumiger, gemütlicher Bau von 1784 mit steilem Dach und dunklen Schindeln. Hier empfängt Dietmar Soltau. Bis 2007 war er Pfarrer der Gemeinde Schönbrunn und des benachbarten Dörfchens Falkenbach.
Soltau ist Erfinder. Denn er hat Gottesdienste in sächsischer Mundart in seiner Heimat etabliert. Dass es dazu kam, hat maßgeblich mit seinem Namen zu tun.
Soltaus Familiengeschichte reicht zurück nach Niedersachsen. Um dem nachzugehen, reiste er Ende der 80er Jahre nach Soltau in Niedersachsen, und erlebte dort einen Mundartgottesdienst auf Plattdeutsch. »Ich habe dort nicht viel verstanden«, gibt Soltau zu. Doch er ist so fasziniert, dass er den Entschluss fasst, die Idee ins Erzgebirge zu exportieren. Im Mai 1994 ist es so weit: In der Dorfkirche Schönbrunn wird der erste Gottesdienst in erzgebirgischer Mundart gefeiert.
Seither findet in Schönbrunn jedes Jahr ein Mundartgottesdienst statt. »Die Kirche ist dann so voll wie sonst nur an Weihnachten«, sagt Pfarrer Michael Ahner, der die Jugendarbeit im Kirchenbezirk betreut. In rund 30 Gemeinden der Region hat Soltau seine Gottesdienste inzwischen gehalten; er hat Kollegen angestachelt, die ihm nacheifern und nun selbst regelmäßig in Mundart predigen, aktiv mitarbeiten und Liedertexte, Gebete und Fürbitten ins Erzgebirgische übertragen. »Dass das so gut ankommt, hätte ich nie gedacht«, sagt Soltau.
Er hat sich alles selbst erarbeitet. Es gibt kaum Materialien, auch keine Bibelübertragung in Mundart, wie zum Beispiel in manchen Regionen Bayerns. Zwar fällt ihm irgendwann eine sächsische Übertragung des Lukasevangeliums in die Hände. »Aber die war auch schon von 1928.« Und so hält er in den ersten Gottesdiensten nur die Predigt in Mundart. »Das war auch mein unbedingter Ehrgeiz«, erzählt Soltau. Alles andere war zunächst noch auf Hochdeutsch, »aber das hat mir zunehmend nicht mehr gefallen«. Das Vater-Unser auf Erzgebirgisch beginnt dann so: »Unner Voder im Himmel«.
Musikalisch orientiert sich Soltau zunächst an erzgebirgischen Komponisten und Textern, die sich auch im Gesangbuch finden: Tobias Clausnitzer, Gottfried Arnold, Andreas Kramer.
Nach und nach beginnt er, ihre Lieder ins Erzgebirgische zu übersetzen. Etwa 20 hat er heute beisammen, und jedes Jahr soll möglichst ein neues dazukommen. Anfangs half ihm sein eigener Wortschatz. »Nach der Wende ist dann ein kleines Wörterbüchlein herausgekommen«, erzählt Soltau. Zur musikalischen Begleitung gewinnt er ein auch kirchlich verwurzeltes Duo. Als die beiden zu alt werden, wendet er sich an eine Musikgruppe aus dem nahegelegenen Drebach.
Diese Zusammenarbeit sei wichtig und funktioniere sehr gut, sagt Soltau. »Ich bin dankbar, dass das so klappt.« Seit 2002 sind alle Elemente der Mundartgottesdienste auf Erzgebirgisch – außer die Liturgie. Die zu überragen, habe er nicht gewagt, sagt Soltau. »Ich hatte den Eindruck, das packe ich nicht, das passt da nicht dazu.« Also bleibt es in der Liturgie bei Hochdeutsch.
Die Predigt jedoch, die Lieder, die Gebete und Lesungen – alles auf Erzgebirgisch. Bei manchen Kollegen stoße das durchaus auf Kritik, berichtet Soltau. Ihre Haltung: Mundart gehöre nicht in die Kirche. Soltau aber fühlt sich bei seinen »Übersetzungen« durchaus frei. »Ich sehe das nicht als biblische Verunstaltung oder so. Wenn wir schon unsere Muttersprache sprechen, dann sollte das auch nicht so festgelegt sein.« Außerdem seien die Gottesdienste ja nur einmal im Jahr.
Insgesamt sei die Mundart durchaus noch weit verbreitet im Erzgebirge – auch in der jüngeren Generation. Aber wie andernorts auch, lasse das natürlich nach, weshalb sich der Pfarrer heute in gewisser Weise auch als Bewahrer eines Kulturguts versteht. Regelmäßige Mundarttage mit speziellem Programm für Kinder und Jugendliche, Wettbewerbe, Brauchtumsgruppen, zum Teil auch Mundartangebote in der Schule – »das, finde ich, sind positive Zeichen«, sagt Soltau.
Hier können Sie reinhören:
»Vater unser« auf Erzgebirgisch
»Die Geschichte vom Verlorenen Sohn« auf Erzgebirgisch
Das »Vater Unser« in Ihrem eigenen Dialekt können Sie übrigens bei der zugehörigen Challenge einsprechen und hochladen. Über 250 Versionen sind bereits online, Tendenz steigend. Ausgefallene Dialekte und gut bewahrte Mundart – reinhören und mitmachen lohnt sich! Über die aktuelle Challenge zum »Vater Unser« in Dialekten, können Sie sich hier informieren: http://www.reformaction2017.de/vaterunser
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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