Bautzener Kassandra-Ruf
Friedenspreis: Der Theologe Eugen Drewermann hat den Bautzener Friedenspreis 2018 erhalten. Eindringlich warnte er vor den Folgen derzeitiger Kriegs-Politik. Und belebte den christlichen Pazifismus neu.
Als Eugen Drewermann seine Friedenspreisrede am vergangenen Dienstag im Bautzener Deutsch-Sorbischen-Theater zu Ende gesprochen hatte, gab es minutenlange stehende Ovationen. Dabei hatte der 77-jährige Theologe aus Paderborn anlässlich des 1000. Jahrestages des Friedens von Bautzen über den christlichen Pazifismus gesprochen – ein für viele Zeitgenossen veraltetes Thema.
Unter der Überschrift »Menschen, weigert euch, Feinde zu sein« (Römer 12) ist es Drewermann gelungen, den Irrsinn heutiger Regierungspolitik und Wirtschaft offenzulegen: dass sie im Dienst einer Idee steht, die im Grunde barbarisch ist. Der globale kapitalistische Konkurrenzkampf ordne alle Werte dem einen Wert unter: den des Sieges auf dem Markt. In der unendlichen Gier nach billigen Rohstoffen und Konkurrenzvorteilen sei die westliche Welt heute zu fast allem bereit. Die Militarisierung der Außenpolitik diene deshalb nicht einer ethischen Verantwortungsübernahme, so Drewermann. Sondern dem Kampf um Vormacht. »Es gehört zu unserem Wirtschaftssystem des Kapitalismus, dass wir uns durchsetzen müssen mit dem Machtzugriff auf die billigsten Rohstoffe. Nur so können wir global konkurrieren, indem wir uns die Rohstoffe gewissermaßen zum Nulltarif aneignen«, erläuterte er und verwies auf den Krieg im Kongo um den Rohstoff Coltan, der für die Herstellung von Handyakkus vonnöten ist.
Das ganze Elend unserer Zeit lässt sich Drewermann zufolge an zwei Zahlen ablesen: 900 Milliarden Dollar gibt die westliche Welt jährlich für Rüstung und Kriegsführung aus. Und um vier Milliarden Dollar bettelt die UNO, um die schlimmsten Auswüchse der Hungerkatastrophe in Nordafrika zu bekämpfen – vergeblich. »Die vier Milliarden für die UNO sind nicht aufzutreiben, aber 900 Milliarden nur für Krieg jederzeit ganz normal«, so Drewermann. Lauter Beifall.
Deutschland verdiene kräftig an dieser Situation, so der Theologe weiter. Immerhin stehe es an weltweit dritter Stelle der Rüstungsexporteure. Statt auszusteigen aus dem Blutgeschäft mit den Waffen und aufzustehen gegen ein westliches Kriegsbündnis, das immer wieder blutige Kriege beginne – wie zuletzt gegen sieben arabische Staaten – verkaufe die Regierung hierzulande ihre Politik noch als Friedenspolitik. Auf die Frage, was Deutschland militärisch in Afghanistan zu suchen hätte, antwortet er: »Absolut gar nichts!« Und das NATO-Bündnis nennt er »die schlimmste und schrecklichste Angriffsarmee, die in der Geschichte der Menschheit je existiert hat.«
Das Gebot der Stunde sei deshalb nicht, mehr Opferbereitschaft an den Tag zu legen, wie es Ex-Bundespräsident Joachim Gauck einmal gefordert habe, betont Drewermann und ruft: »Herr Ex-Pfarrer Gauck: Nein zum Krieg ist die Botschaft Jesu, aber nicht, den Krieg umzupredigen in ein Instrument der Verantwortung!«
Und so formulierte der Bautzener Friedenspreisträger fünf Forderungen an die deutsche Politik, damit Frieden werde: Abrüstung statt Aufrüstung, Austritt aus der NATO, Beseitigung der US-Atomwaffen in Büchel, Ende der Duldung der US-Drohnenangriffe, die von Ramstein aus gesteuert würden sowie Widerstand gegen die Jugendoffiziere der Bundeswehr, die in den Schulen die 16-Jährigen zum Töten als Beruf verführen.
Doch Drewermann ahnt selbst, dass diese Forderungen derzeit wenig Chancen haben. Er fühlt sich an die Seherin Kassandra erinnert, die in der griechischen Mythologie vergeblich gegen die mörderischen Kriege von Troja ansprach. »Die Situation der Friedensbewegung in Deutschland gleicht ganz und gar dem Schicksal der Kassandra im antiken Griechenland«, sagt er und fragt leise: »Hört uns wirklich jemand?«
Doch trotzdem gebe es keine Alternative dazu, das als richtig Erkannte zu verteidigen und umzusetzen. Auch wenn die deutschen Militärausgaben in den nächsten Jahren sogar verdoppelt werden sollen – auf jährlich rund 70 Milliarden – und immer alternativloser auf die Option des Krieges gesetzt werde, müsse am Ausweg Jesu festgehalten werden, er sei der eimzig mögliche: »In dieser Welt nenne ich diejenigen Menschen glücklich, die es wagen, wehrlos zu bleiben, denn nur die werden die Kraft haben, Frieden zu schaffen.« Wieder erhält Drewermann langen Beifall, als er dieses Bergpredigt-Zitat ausgesprochen hatte. Leise fügte er noch hinzu – und es klang stark und ohnmächtig zugleich: »Der Dialog ist die einzige Alternative zur Ersatzsprache der Gewalt.« Der Bautzener Frieden von 1018 sei damals laut Drewermann ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, da er den 15-jährigen deutsch-polnischen Krieg beendete. Doch heute sei ein Frieden zwischen allen Völkern nötig. Und der beginne, wenn wir uns weigern, Feinde zu sein.
Er sprach’s, nahm die gußeiserne Bautzener Friedenstaube entgegen und ging langsam von der Bühne. Ein aufrechter Einzelner. Und es scheint, als müsse er den Job machen, den eine friedensethisch taub gewordene Kirche offenbar nicht mehr zu machen vermag.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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