»Es gibt keinen Tod«
Die nun zugänglichen Briefe der von den Nazis ermordeten Cato Bontjes van Beek (1920–1943) zeugen von einer beinahe vergessenen großen Christin
Bisher war das erschütternde und bewegende Lebenszeugnis der Cato Bontjes van Beek (1920–1943) leider wenig bekannt. Anlässlich ihres 100. Geburtstages am 14. November ist aber nun ein umfassendes Buch mit ihren Briefen erschienen. Aus dem Dorf Fischerhude im Norden Deutschlands stammend, wurde sie in der Zeit des Hitlerfaschismus erwachsen und litt zunehmend unter den ihr bekannt werdenden Gräueln, die die Deutschen im Krieg und im Umgang mit den Juden anrichteten. Van Beek begann, sich in einer Berliner Widerstandsgruppe zu engagieren, wurde verraten, inhaftiert, zum Tode verurteilt und am 5. August 1943 im Alter von nur 22 Jahren hingerichtet.
Nun hat der Autor Hermann Vinke dieses Lebensschicksal, das erstaunliche Parallelen zu Sophie Scholl aufweist, akribisch recherchiert und in dem Buch »Leben will ich, leben, leben« veröffentlicht. Besonders in den darin abgedruckten Briefen van Beeks wird deutlich, wie die begabte und gebildete junge Frau insbesondere in der monatelangen Zeit der Haft in einen geistigen Widerstand gegen die Verrohung und die Macht des Todes hineinwuchs, der in seiner menschlichen und geistig-geistlichen Tiefe anderen christlichen Märtyrerzeugnissen kaum nachsteht. Die in diesem Buch nun zugänglichen Briefe Cato van Beeks sind ein Zeugnis gegen das Vergessen der Barbarei des Dritten Reichs und ein Zeugnis dafür, wie richtig und wahrhaftig zu leben wäre.
Aufgewachsen in einer Künstlerfamilie in Fischerhude – in lebendigen Beziehungen zu ihrer Schwester Mietje und ihrem Bruder Tim, zu Cousins und befreundeten Künstlerinnen und Künstlern – entdeckte Cato früh den Zauber der Natur, der Kunst, des Denkens und Austauschens. Sie liebte die Moor- und Heidelandschaften ihrer Heimat – besonders wenn im Herbst die Wiesen überschwemmt waren und die Krähen umherschwärmten. Sie las viele Bücher, begeisterte sich für die Fliegerei und absolvierte ein Au-pair-Jahr in England, wo sie die neue Sprache und Kultur aufsog. Als junge Frau zog sie danach in die vitale Weltstadt Berlin – zu ihrem Vater Jan, bei dem sie in der Keramikwerkstatt arbeitete.
Doch die Schatten der Zeit beginnen auf ihr Leben zu fallen. In einem Brief schreibt sie von »dieser Zeit, die voller Hass ist«. Und im November 1941 an ihre Mutter: »Ich höre jetzt so furchtbare Dinge über das, was draußen in der Welt geschieht – nicht nur draußen weit fort, dass die Lust am Weiterleben mir manchmal vergeht.« Sie stößt 1941 zur Widerstandsgruppe »Rote Kapelle« und erstellt und verteilt zusammen mit ihrem Freund Heinz Strelow Flugblätter, die den Krieg und den NS-Terror anprangern. Am 20. September 1942 wird sie verhaftet.
In der ersten Zeit im Gefängnis leidet sie vor allem unter dem Entzug von Büchern. An ihre Mutter schreibt sie: »Ich gehe meistens auf und ab und bin froh, dass ich 16 lange Gedichte auswendig weiß, die ich jeden Tag einmal spreche.« Das Reichskriegsgericht verurteilt sie im Januar 1943 wegen »Beihilfe zur Vorbereitung des Hochverrats« zum Tode.
Danach hofft sie noch auf ein Wunder – zahlreiche Gnadengesuche und eine weitere Vernehmung folgen. Kurz nach dem Urteilsspruch schreibt sie, jede andere Strafe akzeptieren und tragen zu wollen – »Nur leben will ich, leben, leben!« Doch das sollte ihr nicht vergönnt sein. Am 5. August 1943 wird sie in Berlin-Plötzensee enthauptet.
Bis dahin hat sie – meist auf illegalem Weg – zahlreiche Briefe, insbesondere an ihre Mutter geschrieben. Diese zeugen davon, wie sie in ein nahezu unglaubliches Einverständnis mit allem, was ist, hineinwuchs und in ein Verbundensein mit einer Leid und Tod übersteigenden Kraft gelangt ist. Diese Briefe zeugen von einer großen Gefasstheit und umfassenden Liebe.
An ihre Mutter schreibt sie: »Meine liebe Mama, wie kann ich Dir nur sagen, dass ich so ruhig bin wie selten zuvor? In mir ist nur Liebe zu Euch und zu allen übrigen Menschen. Ich bin völlig frei von Groll oder gar Hass – es ist so, als hätte alles ein mildes Gesicht.« Und an einen Freund schreibt sie: »Es ist ein starker Glaube in mir, und hier habe ich erfahren, dass ich schon immer religiös war, und dies hat mich nun sehr gefestigt.«
Sogar diesen Gedanken kann sie ihrer Mutter mitteilen: »Es gibt keinen Tod, das weiß ich ganz genau. Ich werde mit Euch sein, in und um Euch, sollten meine Hoffnungen vergebens sein und ich müsste doch sterben.« Später schreibt sie noch: »Es gibt keine räumliche Trennung und was ist Zeit? Wir werden einmal alle wieder zusammensein, bei Großvater und Großmutter.«
Auch über die Quellen ihrer tiefen Zuversicht gibt sie Auskunft. Es ist vor allem das »systematische Lesen« der vier Evangelien (»Ich bin sehr froh, dass ich das Neue Testament hier habe.«) und das Hören der Bach-Passionen. Einem Freund erteilt sie diesen Ratschlag: »Suche das Schöne in der Kunst und in jedem Menschen und lerne, mit dem Herzen zu denken.«
Dieses erschütternde Buch lenkt den Blick auf das Wesentliche des Lebens – und sichert das Zeugnis einer der großen Frauen des 20. Jahrhunderts.
Cato Bontjes van Beek; Hermann Vinke: »Leben will ich, leben, leben«. Die junge Frau, die gegen die Nazis kämpfte und ihr Leben ließ. Elisabeth Sandmann Verlag 2020, 240 S., 24 Euro.
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