Die Würde des Menschen ist unantastbar.« So betont es gleich der erste Artikel des Grundgesetzes. Es wurde vor 75 Jahren, am 23. Mai 1949, verabschiedet. Können wir heute einem Gegenüber mit anderen Ansichten noch respektvoll begegnen? Oder lieber sie oder ihn abwerten – und gleich niederschlagen?
Psychologisch ist kaum so etwas ungeklärt wie das Konzept der Würde. Kein Wunder, dass sich beispielsweise sowohl Befürwortende als auch Gegner des assistierten Suizids in der Begründung ihrer Haltungen letztlich auf die Würde des Todkranken berufen: Manchen ist es wichtig, ein Gefühl für Selbstwirksamkeit bis zum Ende behalten zu können; anderen, keine Angst vor dem fremdbestimmten Sterben haben zu müssen.
Das Grundgesetz entstand ausdrücklich »In Verantwortung vor Gott und den Menschen …«. Biblisch leitet sich die Würde eines jeden Menschen durch die Gottesebenbildlichkeit ab. Denjenigen Menschen, die bei der konkreten Ausgestaltung anderer Ansicht sind, muss ich allerdings respektvoll begegnen und annehmen, dass sie genauso ernsthaft um Abwägung ringen wie ich. Die Würde ist »kein Konjunktiv« – so Zwischenrufe, die diese gleichlautende Form des Verbs »sein« im Blick haben. Sie wendet sich gegen Sonderrechte würdevoller oder wertvoller Menschen. Arme Kinder haben dieselbe Würde wie reiche Erblasser. Die alte Dame »Würde« scheint nun zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes bedrohter denn je. Respektvolle Dispute um ihre konkrete Abwägung zeigen aber, wie wenig sie zum alten Eisen gehört. Doch gilt genauso: Erst mit 75 Jahren hörte Abraham den Ruf Gottes und machte sich auf ins Gelobte Land! Keine Zeit für Stillstand!
Die Autorin ist kommissarische Chefredakteurin beim Ev. Sonntagsblatt für Bayern
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