»Mehr Beiträge, die gut für die Seele sind«
Auf ein Stück Geburtstagstorte: Seit Jahrzehnten halten Diethild und Gottfried Eichler dem Sonntag die Treue – doch leicht ist es nicht. Da gibt es einiges, was sie vermissen. Und manches, was ärgert.
Medien gibt es heute wie Sand am Meer. Aber treue Leser, dazu noch mit Leidenschaft? Wie Schmetterlinge fliegen Konsumenten im Internet von einer Informationsblüte zur nächsten und bleiben nicht lang. Der Sonntag muss sich darüber keine Sorgen machen. Er hat Leser wie Gottfried und Diethild Eichler im erzgebirgischen Thalheim. Noch hat er sie.
Leser, die mit ihrer Zeitung Zwiesprache halten. Schonungslos wie unter Vertrauten. Erst in der letzten Ausgabe Mitte Mai wieder. Am Beginn eines Berichts über die EKD-Synode auf Seite 2 geht es um den Mut der Kirche. Gottfried Eichler (66) notiert darüber in winziger Schrift am Zeitungsrand: »Was wird von Außenstehenden als mutig bezeichnet? Segnung homosexueller Paare, Ausspionieren eines Bischofs (Rentzing), Jungfrauengeburt wird geleugnet, Bibel ist nicht Gottes Wort sondern enthält nur Gottes Wort.« Er hat noch einiges mehr geschrieben.
Seine Frau Diethild (65) neben ihm nickt. »Es ist uns schon eine Sorge: Wo geht die Kirche hin?« Mit dem angewärmten Kuchenmesser schneidet sie die Sonntag-Geburtstagstorte an. Ganz sorgsam, dass der Schriftzug nicht beschädigt wird. Die Zahnärztin ist heute eigens früher aus ihrer Praxis gekommen.
Den Sonntag haben schon ihre Eltern gelesen. Als Diethild und Gottfried Eichler 1977 heirateten, bestellten sie ein eigenes Abo. »Traditionsgemäß«, sagt Gottfried Eichler. Damals gab es gleich drei Abonnements der Kirchenzeitung in dem mit Schiefer verkleideten Strumpfwirkerhäusel gleich an der Zwönitz in Thalheim: Großeltern, Eltern und das junge Paar.
Gottfried Eichler holt den schon vergilbten Sonntag vom 7. April 1985. Er hat ihn säuberlich aufbewahrt. »Das war ein gewisser Höhepunkt für mich«, er zeigt auf die letzte der nur vier Seiten starken Ausgabe. Da druckte die Kirchenzeitung seinen Bericht über die Renovierung des Thalheimer Kirchturms. Ein Dreivierteljahr einrüsten, Putz abhacken, neu verputzen – das meiste nach Feierabend und mit Mangelwirtschaft. Das Foto steuerte sein Schwiegervater bei. Schrieb er in der DDR auch schon Leserbriefe an die Kirchenzeitung? Gottfried Eichler lacht: »Damals hatte ich noch keinen Grund, mich aufzuregen.«
Damals lasen Gottfried und Diethild Eichler ihren drei Kindern oft am Sonntagmorgen zum Frühstück den Kinder-Sonntag vor. »Wir haben von Woche zu Woche darauf gewartet«, sagt Diethild Eichler und zeigt in einer alten Ausgabe auf eine jener christlichen Kurzgeschichten mit einem geistlichen Gedankenanstoß für Kinder. »Das fehlt uns heute.«
Als ihre 90-jährige Mutter in einer der letzten Sonntag-Ausgaben einen Artikel über die Zuversicht fand, hat sie ihn sorgsam ausgeschnitten und an Bekannte in einem Pflegeheim weitergegeben, als wäre er etwas sehr Kostbares. Diethild Eichler hat noch Bilder von Sonnenaufgängen dazu geklebt. Jetzt sieht er aus wie ein Schatz. Sie wird ihn für ihre Morgenandachten aufbewahren.
Wenn ihr Mann Gottfried Leserbriefe schreibt, dann sitzt er in der Küche. Auf der Wachstuchdecke des Tischs die elektrische Schreibmaschine, sie rattert wie ein Maschinengewehr. Hier formuliert der bärtige Mann – 28 Jahre war er Kirchvorsteher und genau so lange Kirchner und Hausmeister der Thalheimer Gemeinde – als Prädikant seine Predigten. Und hier hämmert er seine Leserbriefe wie in Stein.
Im letzten Herbst etwa ließ ihm ein Interview mit der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt über Wege aus der Kirchenkrise keine Ruhe. »Ich muss leider feststellen, dass in diesem Interview weder Gott, Jesus Christus noch der Heilige Geist jedwede Erwähnung finden«, schrieb er. »Das macht mir Angst.« Der Brief wurde nicht gedruckt. Damals hat Gottfried Eichler – gelernter Maschinenkonstrukteur – einmal in einer Sonntag-Ausgabe die Quadratzentimeter für Politisches und die für Geistliches ausgerechnet.
»Das Ergebnis war nicht gut«, sagt er. »Ich vermisse im Sonntag Stärkung im Glauben«. Seine Frau wünscht sich mehr Beiträge über christliche Einrichtungen wie die Radeberger Begegnungsstätte »Storchennest« für taubblinde Menschen, dem sie seit langem verbunden ist. »Diese Institutionen leiden alle darunter, dass die Verbindlichkeit, sie regelmäßig zu unterstützen, abnimmt.« Sie wünscht sich den Blick auf das Gute, um es zu stärken. »Und nicht immer nur Hinterfragen und Meinungsfreiheit«, meint auch ihr Mann. »Mehr Beiträge, die gut für die Seele sind und nicht so aufregen!« Leserbriefe wie jener letztens, der die Bedeutung von Jesu Blut für die Rettung der Menschen in Frage stellte, bringen ihn auf die Palme. Und oft genug auch die Berichte über Israel.
In Eichlers Wohnzimmer steht auf dem Klavier eine Rose aus Metall, geschmiedet in der israelischen Stadt Sderot aus den Resten einer Kassam-Rakete der palästinensischen Hamas. Israel, das Volk Gottes, ist ihnen wichtig. Gerade jetzt, wo wieder Raketen im Nahen Osten fliegen.
Eben hat Gottfried Eichler den neuen Sonntag aus dem Briefkasten geholt. Die Karikatur auf der vorletzten Seite! Ein Palästinenser sagt dort zu einem Juden: »Hau ab!« – der Jude zum Palästinenser: »Verschwinde!«, und neben beiden klafft der Abgrund. »Israel wird einseitig immer als der Schuldige dargestellt in vielen Medien«, sagt Gottfried Eichler. »Auch im Sonntag.« Doch der Beitrag über den Konflikt auf der letzten Seite, den er gleich als Erstes gelesen hat, das muss er zugeben, »der ist okay«.
Eichlers fünfjährige Enkelin Elise kommt ins Wohnzimmer. Sie staunt über die Sonntag-Geburtstagstorte. Manchmal, sagt Diethild Eichler, treibe der Sonntag ihrem Mann schon am Donnerstagmorgen am Frühstückstisch den Blutdruck: »Was steht da schon wieder drin!« Bestell das Blatt doch ab, schlug ihre Tochter vor. Doch Treue ist für Leute wie Eichlers ein hoher Wert. In guten wie in schlechten Tagen.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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