Verwitternde Erinnerung
Fotoausstellung in Leipzig zeigt »Spuren des Kalten Krieges«Zierlich und karg ragt das Betongerippe in die Luft. Hoch wie ein zweistöckiges Haus, wird der Wachtturm dennoch scheinbar spielend von drei Bäumen überragt, zwei davon so nah, als stützten sie die Ruine. Idyllisch an Kanal und grüner Wiese gelegen, wirkt die Szenerie wie eine Kunstinstallation – und steht damit sinnbildlich für zwei Kernaussagen der Fotoausstellung: für die Ästhetik des Verfalls und den Surrealismus einer verflossenen Epoche.
Fotografiert wurden die Überreste des Armee-Wachtturms im niederländischen Schoonebeek. Die Aufnahme ist eine von rund 60 des Künstlers Martin Roemers, die von Freitag an bis Ende Juni in der Ausstellung »Streng geheim – Spuren des Kalten Krieges« im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zu sehen sind. 1998 machte sich der 57 Jahre alte, für seine Langzeitprojekte bekannte Niederländer auf den Weg; in den folgenden elf Jahren dokumentierte er in zehn Ländern die Relikte der 1990 überwundenen Blockkonfrontation.
Seine Spurensuche führte Roemers in die vier ehemaligen Sowjetrepubliken Russland, Ukraine, Lettland und Litauen sowie nach Polen, in die frühere Tschechoslowakei und die ehemalige DDR. Jenseits des einstigen »eisernen Vorhangs« fasste er Bunkeranlagen und rostende Panzer, verlassene Kasernen, Tunnelsysteme und verwitternde Kampfflugzeuge in Belgien, Großbritannien, den Niederlanden und der alten Bundesrepublik ins Bild.
Thematisch setzt die Schau zwei Schwerpunkte: Da sind zunächst die Aufnahmen aus den einstigen Kasernen der Roten Armee auf ehemaligem DDR-Gebiet. Die Fotos aus Jüterbog, Grimma oder Wünsdorf führen den Betrachter ganz nah an die Lebensrealität der sowjetischen Soldaten: die Metallbetten noch bezogen, auf dem Beistelltisch schmutzige Tassen; ein blau gekacheltes Krankenzimmer, von der Decke bröckelt Putz; dazu riesige, knallbunte Wandgemälde, die von Gigantismus und Heldenepos der Sowjetunion erzählen. Viele Räume wirken, als wären sie erst gestern verlassen und dem Verfall überlassen worden.
Der zweite Schwerpunkt widmet sich den in Ost wie West errichteten, monumentalen Tunnelsystemen und Bunkeranlagen. Roemers habe vor allem fasziniert, dass die Akteure des Kalten Krieges meinten, man könne einen atomaren Erstschlag überleben, sagt der Ausstellungsdirektor des Hauses der Geschichte in Bonn, Thorsten Smidt. Dort war die Ausstellung 2018 zuerst zu sehen gewesen. Zugleich habe der Künstler Schönheit und Ästhetik des Verfalls gesucht und »in den verborgenen Festungen des 20. Jahrhunderts etwas gefunden, was den meisten von uns vorher nicht sichtbar war«, erklärt Smidt.
Neben einigen bekannteren, bis zu rund zwei mal zwei Metern großen Motiven wie der US-amerikanischen Abhörstation auf dem Berliner Teufelsberg oder dem westdeutschen Regierungsbunker Marienthal bei Bonn zeigen die Fotos auch die unterirdischen Schaltzentralen der Macht: kaltes Licht, kahle Räume, Funktionsmobiliar, an den Wänden meterhohe Schalttafeln.
Wie Filmkulissen wirken sie heute – doch Roemers ästhetische Inszenierung vermittelt dennoch den tödlichen Ernst. So sollten die Bunkeranlagen nicht etwa das Überleben im Fall eines Atomangriffs des Gegners sichern, »sondern den Gegenschlag«, sagt Forums-Direktor Jürgen Reiche: »Das ist perfide.«
Sind Roemers düstere Zeugnisse der monumentalen Hinterlassenschaften des Kalten Krieges aus Stahl und Beton bereits für sich beklemmend, bedrückend genug, wird dieser Eindruck durch die Inszenierung noch verstärkt. Wie in einem unterirdischen Tunnelsystem bewegt sich der Besucher durch schmale Gänge; die karg-kahlen Wände aus Doppelstegplatten, die die beiden Schwerpunkt-Kuben umfassen, erinnern an die Rohheit des Bunkerbaus.
Zudem, sagt Smidt, habe man sich »den Witz erlaubt«, einen im früheren Regierungsbunker beschäftigten Elektriker damit zu beauftragen, die dortige Beleuchtung für die Kuben der Schau zu kopieren. So sorgen nun verschiedene Kaltlichter für die originale Neonröhren-Atmosphäre.
Neben ihrer Erzählung von der damaligen Bedrohung sind Roemers Fotos für Direktor Reiche indes auch Mahnungen im Heute. Er habe den Eindruck, sagt er, »dass wir schon wieder dabei sind, Machtblöcke zu bilden«. Die Ausstellung sei daher in der »problematischen Zeit, in der wir leben«, besonders auch dazu gut, sich an die Ängste aus der Zeit des Kalten Krieges zu erinnern.
Information:
Die Ausstellung ist vom 1. Februar bis zum 30. Juni jeweils dienstags bis freitags von 9 bis 18 Uhr sowie samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei.
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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