Justitia vor Jesus
Sachsens Landeskirche hat wie viele Kirchen eigene Gerichte. Doch in einer immer säkularer werdenden Gesellschaft schwindet das Verständnis dafür.
Genau genommen hat es mit Paulus angefangen. »Wie kann jemand von euch wagen, wenn er einen Streit hat mit einem andern, sein Recht zu suchen vor den Ungerechten und nicht vor den Heiligen?«, kritisierte der Apostel die Gemeinde von Korinth. Wenn es schon Zwist gibt unter Christen, meinte Paulus, dann doch bitte nicht vor staatlichen Gerichten – sondern vor eigenen. Auch die sächsische Landeskirche hat ihre eigenen Gerichte. Stellt sie sich damit über staatliches Recht?
Diese Kritik gibt es immer wieder an einer eigenen kirchlichen Gerichtsbarkeit. Das Bundesverfassungsgericht indes urteilt eindeutig mit Verweis auf Artikel 140 des Grundgesetzes: Der Staat dürfe in die inneren Verhältnisse der Kirchen nicht eingreifen – und gewähre ihnen eine »Sonderstellung innerhalb der staatlichen Rechtsordnung«, heißt es in einem Urteil vom Dezember 2008.
In der Praxis ist das alles weit weniger aufregend. 15 Fälle bearbeiteten die insgesamt 40 ehrenamtlichen Kirchenrichter der Landeskirche – darunter zehn Berufsrichter sowie Pfarrer und Mitarbeitervertreter – zuletzt innerhalb von zwölf Monaten. Es geht um die Beteiligung von Mitarbeitervertretungen etwa bei Kündigungen, Disziplinarfragen oder um Dienstwohnungen.
Liegt das kirchliche Recht im Streit mit dem kirchlichen Anspruch der Geschwisterlichkeit? »Beide schließen sich nicht aus«, erwidert der Dezernent für juristische Grundsatzfragen im Landeskirchenamt, Oberlandeskirchenrat Klaus Schurig. Denn in den Kirchengesetzen spiegle sich der geschwisterlich abgewogene Wille der Synode. »Es gibt eher eine Spannung zwischen generellen Maßstäben und einer Einzelfall-Gerechtigkeit«, meint der Jurist Schurig.
Ob es um den umstrittenen Zwang zum Anschluss aller sächsischen Kirchgemeinden an Kassenstellen geht oder um die Pflicht der Pfarrer zum Wohnen in einem Pfarrhaus: »Es gibt gute Gründe, wenn davon Ausnahmen gewünscht werden – doch es entsteht eine Ungerechtigkeit für alle anderen, wenn man von der Rechtsnorm abweicht und gleiche Fälle unterschiedlich bewertet«, so Klaus Schurig. Diese Spannungen ziehen sich selbst durch das Landeskirchenamt in Kontroversen zwischen Juristen und Theologen.
In einer immer säkularer werdenden Gesellschaft aber schmilzt das Verständnis für eine separate kirchliche Rechtssprechung. So änderte das Bundesverwaltungsgericht im Februar 2014 seine bisherige Meinung und urteilte mit Verweis auf das Grundgesetz: Auch Kirchenbeamte und Geistliche dürfen in dienstrechtlichen Streitigkeiten die Entscheidungen von Kirchengerichten vor staatlichen Gerichten anfechten, wenn »elementare Grundprinzipien des staatlichen Rechts« als verletzt angesehen werden. Der Kernbereich kirchlicher Lehre wie etwa das katholische Verbot von Frauen im Priesteramt ist aber auch mit diesem Urteil weiter geschützt.
An anderer Stelle jedoch weichen Gerichte selbst theologisch begründete Rechtsentscheidungen auf. Die Kündigung eines geschiedenen und wiederverheirateten Chefarztes in einem katholischen Krankenhaus verhinderte das Bundesarbeitsgericht – obwohl es hier um die katholische Moral und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ging.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinen Urteilen den Rechten der Kirche immer stärker die sozialen Rechte von Beschäftigen gegenübergestellt. Justitias Waage scheint sich neu zu neigen.
»Man muss nicht nervös sein«, sagt der Chef-Jurist der Landeskirche Klaus Schurig, »aber die Kirchen können sich nicht mehr darauf verlassen, dass die klassischen Auffassungen uns auf alle Zeiten hin tragen werden.«
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Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna