Die Kirche und die Stasi
Wie ein Pfarrer mehr als 30 Jahre um die Anerkennung seines erlittenen Unrechts kämpfte
Dies ist keine Stasi-Opfer-Geschichte, es ist eine Geschichte schweren Unrechts der Kirche an einem der Ihren. Nicht anno dunnemals. Nicht unter den Nazis. Vielmehr im Heute, in 33 Jahren seit 1992. Das ist die Geschichte von Jürgen Hauskeller (87).
Ob er noch mal darüber spricht?! Nur ein paar Worte, nachdem ihm Jahr um Jahr niemand zuhörte, er persona non grata für die Thüringer Landeskirche und ihren Nachfolger EKM war, er sogar Hausverbot in seiner Kirche erhielt, gemobbt wurde.
Anruf in Leipzig. „Natürlich möchte ich reden. Ich bin doch fast irre geworden an meiner Kirche.“ Kaum vier Wochen ist es nun her, dass sich die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, EKM, öffentlich und offiziell entschuldigte: „Angesichts der Verletzungen, die Pfarrer Hauskeller in seiner Kirche und durch seine Kirche erfahren hat, bitten wir Gott und bitten wir Pfarrer Hauskeller um Vergebung.“ Worte, verlesen von Landesbischof Friedrich Kramer und Regionalbischof Tobias Schüfer, bei einem Bußgottesdienst in Zella-Mehlis.
Erst an diesem Tag endete, was seinen Ursprung in den Jahren 1968 bis 1975 hat, als er in Sondershausen-Stockhausen gut besuchte Jugendgottesdienste abhielt, teils mit Musik, teils ohne Talar, und natürlich ins Visier der Staatssicherheit geriet, aber so richtig 1992 einsetzte. Ab diesem Jahr nämlich sah er sich nach eigenem Bekunden dem Misstrauen und der Zurückweisung seiner Kirchenleitung ausgesetzt, nachdem er Einblick in seine Stasiunterlagen genommen hatte und damit zu den Vorgesetzten ging. Doch: „Niemand wollte meine Akten einsehen. Ich bin als Lügner dargestellt worden.“ Statt ihm glaubte man dem Superintendenten, der weiterhin sein Vorgesetzter war und leugnete. „Ich aber rutsche hinten runter. Auf einmal war ich der Nestbeschmutzer“, so Hauskeller. Er wurde in den Wartestand versetzt, wurde zum Wechsel der Pfarrstelle angehalten; er, nicht der frühere Spitzel. Trotz Ablehnung durch einen Konvent in Bad Frankenhausen tat sich dann doch eine neue Stelle auf. Im Jahr 2000 die fröhliche Verabschiedung dort durch die Gemeinde in den Ruhestand, und doch weiter Ablehnung von oben, wie er schildert.
Psychologische Probleme sind da unvermeidlich. Er und seine Frau, ebenfalls Pfarrerin, gehen für „Mission Eine Welt“ in den Kongo, engagieren sich dort sozial. Nach der Rückkehr 2006 ein Hoffnungsschimmer: In der thüringischen Landeskirche wird ein Ausschuss für (die) Vergangenheitsbewältigung eingesetzt. Wieder wird er vorstellig. „Doch die Sichtweise der Landeskirche hatte sich nicht geändert“, erinnert er sich. An die Presse will er sich nicht wenden. „Kirche war doch Heimat für mich, ich wollte kein Theater, wollte mich nicht wichtig machen.“ Jedoch: „Dass die Stasi mich so behandelt, damit habe ich gerechnet. Nicht aber, dass die Kirche mir den Stuhl vor die Tür setzt.“ Denn inzwischen hatte er in seiner letzten Gemeinde in Sondershausen Hausverbot. Nicht einmal seine Adoptivkinder aus dem Kongo durften nach seiner Aussage dort getauft werden, für seine Geburtstage, die er ebenfalls gern dort gefeiert hätte, darf er ebenfalls nicht rein, erklärt er. Erst 2017, als die Uni Halle und dort bei einem Seminar Landesbischöfin Ilse Junkermann auf ihn zukommt, und letztlich August 2024, als der nunmehrige Landesbischof Friedrich Kramer auf ihn zugeht, keimt Hoffnung. Das Ende vom Lied: ein Lied. Am Schluss der Bußandacht in St. Blasii in Zella tritt der Rehabilitierte ans Mikrofon und singt „Da berühren sich Himmel und Erde, dass Frieden werde unter uns“. Dann nimmt er die Hände von Kramer und Schüfer. Am Telefon drei Wochen später sagt er: „Es hätte schöner nicht sein können.“
Ein ausführliches Interview mit Pfarrer Hauskeller lesen Sie hier:
www.sonntag-sachsen.de/der-lange-weg-zur-entschuldigung
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna