Oh man, kein ernsthafter Psychologe spekuliert wild über Tote, mit denen er nicht reden kann, um seine Vermutungen zumindest zu überprüfen, herum. Das ist doch eher Scharlatanerie. Zudem scheint der Autor zu vergessen, dass Luther und ihn 500 Jahre und damit ein eklatanter Wandel der Weltbilder trennen. Außerdem wäre mir kein ernstzunehmender Forscher aufgefallen, der Luthers problematische Seiten glorifiziert, das ist also lächerlich banales Allgemeingut. Scheint also kein lohnendes Buch zu ein.
Luther auf der Couch
Der Leipziger Philosoph Christoph Türcke erklärt die dunklen Seiten Luthers und würdigt dessen eigentliche LeistungEs fällt mittlerweile schwer, einen Überblick über die Lutherbücher zu behalten. Doch ein schmaler Band sticht dennoch heraus: »Luther – Steckbrief eines Überzeugungstäters« von dem Leipziger Philosophen Christoph Türcke. Auf brillante Weise bietet er auf 117 Seiten sowohl eine fundierte Einführung in Leben und Werk des Reformators als auch eine überraschende Deutung seiner Höhenflüge und Tiefpunkte. Dabei stellt er sich einer »neoprotestantischen Heiligsprechung« Luthers entgegen und analysiert seine Schattenseiten.
Luthers Krise angesichts der Unerfüllbarkeit des Gesetzes deutet Türcke als Abnabelungskampf von seinen übergriffigen Eltern. Er konnte ihr »Gesetz«, das heißt ihren Wunsch, er möge doch Jurist werden, nicht erfüllen – und erkannte am Tiefpunkt: der Mensch lebt von der Gnade Gottes allein.
Doch Luther sei dieser irdische Eltern-Konflikt unbewusst geblieben – und so verstand er sich als vom Höchsten erwählt und handelte fortan aus einem religiösen Hochgefühl. Dies erkläre seine »manische Produktivität« und rastlose Wirksamkeit.
Allerdings wiederholte er das erlittene Übel später bei seinem eigenen Sohn Hans. Er forderte von ihm, Theologe zu werden. Doch dieser mochte nicht. Er machte vielmehr als Jurist Karriere – und sorgte damit für große Enttäuschung und Zorn bei Luther über den »ungezogenen Sohn«.
Dieser Konflikt sei die »Blaupause« für Luthers Verhältnis zu den Juden, so Türcke. Anfänglich stand er ihnen nämlich positiv gegenüber und hoffte, sie durch freundliche Pädagogik auf den Weg Christi zu führen. Luther wähnte sich in der Endzeit und sah die von Paulus angekündigte jüdische Übertrittswelle kommen.
Doch die Juden wollten nicht konvertieren – Luthers Buhlen blieb fruchtlos. Da schlug sein Sinn um in blanken Zorn und es floss der verheerende »Sieben-Punkte-Plan gegen die Juden« aus seiner Feder, der vorsah, ihre Synagogen zu verbrennen und sich ihres Vermögens zu bemächtigen. »Hier war im Großen zu verfahren wie mit dem ungezogenen Hans im Kleinen. Lässt sich die Verstocktheit nicht austreiben, so müssen die Verstockten selbst ausgetrieben werden – solange, bis sie anderen Sinnes werden.«
Luther werde laut Türcke am treffendsten verstanden als »Überzeugungstäter« – sowohl bei der Durchsetzung seiner Rechtfertigungslehre als auch bei seinem Verhältnis zu den Juden, Bauern und Hexen. Diese Abseite des »Überzeugunshandelns« Luthers müsse kritisch offengelegt werden und dürfe nicht verklärt oder glorifiziert werden.
Was allerdings größte Würdigung erfahren sollte, ist Luthers Bibelübersetzung – für Türcke die eigentliche und epochale Tat des Reformators, die ästhetische Grundlage einer ganzen Kultur. Die Rückkehr der Lutherbibel 2017 zu vielen originalen Lutherübersetzungen kann eine Chance sein, diese Bedeutung neu zu sehen.
Christoph Türcke: Luther. Steckbrief eines Überzeugungstäters. Zu Klampen Verlag 2016, 117 Seiten, 9,50 Euro.
Ich denke auch, jeder Cent zu schade! Brauchen wir solche Bücher wirklich? "Dei Wissenschaft hat festgestellt, daß...!"
Lieber Herr Gerber,
haben Sie mal einen Blick in das Büchlein geworfen, oder urteilen Sie nur nach der subjektiven Äußerung des Herrn Seidel? Mag ja sein, dass der Rezensent ein paar Punkte erwischt hat, die Ihnen nicht gefallen. Aber reicht das für ein abwertendes Urteil, dass das Buch zu lesen sich nicht lohnt?
Johannes Lehnert
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