Der Unvollendete
Der vor 70 Jahren gestorbene Wolfgang Borchert forderte ein »Nein« zum Krieg – und mahnt damit bis heute auch die KircheWolfgang Borchert (1921–1947) ist nicht nur ein unvollendet gebliebener Dichter von Weltrang, er ist auch ein heute beinahe vergessener. Denn das Nachbeben des fürchterlichen Weltkriegs, dessen eindrücklicher Zeuge Borchert war, hat nachgelassen und rückt immer weiter weg.
Doch Borchert bleibt. Sein schmales literarisches Werk – etwa 50 Erzählungen, ein Gedichtband und ein Theaterstück – ist von derartiger Intensität und Größe, dass es aus sich selbst heraus zeitenüberdauernd wirkt. Ich selbst bin auf Borchert gestoßen in der Abiturprüfung. Seine Kurzgeschichte »Die Kirschen« galt es zu interpretieren. Die Wucht dieser Geschichte ergreift mich noch heute – wie auf schmalstem Raum eine ganze Welt ausgespannt wird und der Leser zu einem tiefen Mitgefühl geführt wird: das ist nicht nur hohe Kunst, das ist existenziell bedeutsam. Borchert vermag eine Sicht auf den Menschen zu werfen, die ihn in seiner ganzen Bedürftigkeit und Not aufscheinen lässt.
Borchert schrieb aus einem eigenen Bedrohtsein heraus. 1941 als Soldat an die Ostfront einberufen, zog er sich schwere Verwundungen und Infektionen zu. Gerade genesen, musste er sich zwei Gerichtsprozessen unterziehen – wegen Selbstverstümmelung und Heimtücke. Er wird zum Tod verurteilt, wartet in Haft wochenlang auf die Vollstreckung, wird dann zur »Frontbewährung« abkommandiert. Und landet wieder im Seuchenlazarett. Auf einem Heimaturlaub 1943 erlebt er die verheerenden Bombenangriffe auf seine Heimatstadt Hamburg. Als er unter Kameraden eine Goebbels-Parodie aufführt, wird er denunziert und wegen »Wehrkraftzersetzung« verurteilt. Er sitzt unter elenden Bedingungen neun Monate in Moabiter Haft und wird wieder zur erneuten »Frontbewährung« entlassen, gerät in Kriegsgefangenschaft, flieht und läuft 600 Kilometer bis nach Hamburg, wo er schwer krank im Mai 1945 ankommt.
Trotz Gelbsucht und Schwäche tut er fortan nur noch eines: schreiben. Zwischen Fieberanfällen und Bettlägrigkeit entsteht eine »Story«, wie er es selbst nannte, nach der nächsten – gipfelnd im Heimkehrerdrama »Draußen vor der Tür«, das die zynische Gelassenheit der Nachkriegsgesellschaft entlarvt und endlich eine Austreibung des Kriegsgeistes fordert. »Keiner hat uns gesagt, ihr geht in die Hölle«, klagt da der Kriegsheimkehrer Beckmann. Über Gott heißt es: »Auch Gott steht draußen, und keiner macht ihm mehr eine Tür auf.« Doch zu diesem Gott fleht Beckmann: »Sei lebendig, sei mit uns lebendig, nachts, wenn es kalt ist ...«
Der Erfolg war enorm. Doch der schwer lungenkranke Borchert ist todgeweiht. Die Anreise zu einer Kur muss er abbrechen – sie endet im September 1947 in einem Basler Spital. Er schreibt weiter – wie in einem Wettlauf gegen den Tod. Kurz vor seinem Tod entsteht sein Vermächtnis: Der Text »Dann gibt es nur eins«. Da heißt es: »Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!«
Borchert, der Gezeichnete des Krieges, klingt 70 Jahre nach seinem Tod wie ein naiver Idealist. Der Krieg ist wieder salonfähig geworden und wird - oft »draußen vor der Tür« – so mörderisch geführt wie je. Deutschland wurde remilitarisiert – und die Kirche sagte nicht »Nein«. Und wenn heute Kriegsanlässe herbeigelogen und Kriegsbeteiligungen als alternativlos verkauft werden, geht die Kirche nicht an der Seite der Ostermarschierer, sondern an der des Militärs – mit staatlich bestallten Truppenseelsorgern. Kann Borchert noch herausreißen aus der Gelassenheit des Mitschweigens? Seine Hoffnung setzte er auf die Einzelnen, nicht auf Institutionen. Er wusste, dass sich etwas ändern kann, auch wenn nur ein Einzelner »Nein« sagt.
Am 20. November 1947 verstirbt Wolfgang Borchert 26-jährig. Ein Tag später wird »Draußen vor der Tür« in Hamburg uraufgeführt.
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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