Haltet fest an der Liebe
Anerkennung: In Zeiten von Angst und Hass ist die Liebe rar. Doch nicht Abschottung und Abwertung, sondern Anerkennung und Teilhabe sind der Ausweg. Das muss in Gottes Namen verteidigt werden gegen eine ausgrenzende Wirtschaft und populistische Hetze.
Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine Hetzparole durch die Medien geistert. Der Wind hat sich gedreht, sagen viele. Er ist kälter und schärfer geworden. Angst liegt in der Luft. Angst vor einer aus der Fugen geratenen Welt. Angst vor Verlust von Sicherheit und Wohlstand. Angst vor dem Fremden. Der Trend geht in Richtung Abgrenzung und Abschottung. So jedenfalls die lautstark artikulierte Meinung eines Teils der Bevölkerung, die sich vor der neuen Vielfalt fürchtet.
Keine Frage: Vielfalt verunsichert. Doch es könnte sein, dass die rechtspopulistische Abschottungsrhetorik schlicht eine falsche Antwort gibt auf die Problemlage, ja sogar als eine psychopathologische Antwort angesehen werden muss. Die propagierte Abwehr eines vermeintlich äußeren Feindes – der Fremden – hilft nicht dabei, die wahren Probleme zu bekämpfen.
Wenn ein Grund für die gegenwärtige Krise die Angst ist – die Angst, hinten runterzufallen, abgewertet oder abgedrängt zu werden –, dann sollte nach Wegen gesucht werden, dass alle ausreichend Anerkennung erfahren. Das heißt, Teilhabe, Würde und Sicherheit haben. Das hieße, ein starkes Sozialsystem zu etablieren und zu verteidigen und das Wirtschaftssystem so zu regulieren, dass es im Dienst der Menschen steht und nicht zerstörerisch wirkt. Dieser Weg ist vielversprechender, als auf phantasierte Feindbilder loszugehen.
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Ist in unserer Gesellschaft die Anerkennung eines jeden gesichert? Dürfen Kinder die lebensnotwendige Elternliebe, die sie selbst liebesfähig macht, ausreichend erfahren? Haben also Eltern genug Möglichkeiten, sich intensiv um ihre Kinder zu kümmern? Existiert ein sicheres soziales Netz, das jeden und jede vor Absturz bewahrt? Herrscht ein Klima der Wertschätzung und des Respekts? In Ansätzen ist das noch gegeben. Der Sozialstaat, das Elterngeld, der Schutz von Minderheiten ist theoretisch gewährleistet – aber nicht mehr selbstverständlich. Der Sozialabbau, die totale Ökonomisierung vieler Lebensbereiche und die Abwertung und Stigmatisierung von Menschen – beispielsweise von Arbeitslosen – führt zu »Kämpfen um Anerkennung«. Davor hatte bereits Anfang der 90-er Jahre der Frankfurter Sozialphilosoph Axel Honneth gewarnt. Doch er blieb ungehört.
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Der Siegeszug des Neoliberalismus, also unseres Wirtschaftssystems, das auf Sozialabbau und das Recht des Stärkeren setzt, zerstört systematisch die Grundlagen, von denen die Menschen leben: gesicherte Anerkennungverhältnisse. Wenn diese erodieren, brechen Anerkennungskämpfe aus – oftmals mit falschen Gegnern, wenn auf die Schwächeren im System losgegangen wird. Doch nicht die Mitbedürftigen sind verantwortlich für die prekäre Verteilung von Lebensmöglichkeiten und Anerkennung. Sondern jene, die in Wirtschaft und Politik an einer Ökonomie mitwirken, die wenige Reiche übermäßgig begünstigt und viele Nicht-Reiche ausschließt.
Doch statt die echte Wurzel des Übels zu erkennen und zu beseitigen – die Überwindung der neoliberalen Spaltung der Gesellschaft in wenige Gewinner und viele Verlierer – wird sich in Ersatzkämpfen aufgerieben. Beispielsweise gegen den Islam. Dieses Feindbild stabilisiert kurzfristig den Selbstwert. Doch es ist keine Lösung. Es ist ein Ersatzkampf, womöglich sogar ein Verfolgungswahn. Die Lösung – oder Heilung – kann nur in der Gewährleistung eines solidarischen Lebens für alle liegen.
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Auch für die Kirche ergeben sich aus dieser Analyse Folgen. Der verführerischen Diskriminierung des Islam gilt es zu widerstehen. Die höchst absichtsvolle Züchtung dieses Feindbildes durch bestimmte politische Kräfte sollte durchschaut werden als das, was es ist: ein manipulatives Instrument im Kampf um politisches Kapital und Ausbau politischer Machtpositionen.
Die Schwierigkeiten im Umgang mit der neuen Vielfalt an Lebensstilen sollte dabei nicht kleingeredet werden. Doch Lösungen können nur im Miteinander, im sachlichen Dialog und mit politischer Besonnenheit gefunden werden. Verteidigen sollte die Kirche ihre Werte: dass jeder Mensch das Antlitz Gottes trägt, ja das Antlitz Christi und deshalb anerkannt und geliebt werden soll. Das heißt: Solidarität erfahren muss.
Innerhalb unserer Erregungsdemokratie, in der mittlerweile derjenige am meisten Stimmungen erzeugt – und Stimmen fängt –, der am lautesten und unverfrorensten schreit, sollte die Kirche die Liebe verteidigen. Denn ihr Gott ist die Liebe. Und das heißt: die Anerkennung des Eigenen und des Anderen fördern. Es ist das Arbeiten an einer Kultur der Anerkennung, an einem sozialen Netz, das alle hält und gegen eine ausgrenzende Wirtschaft verteidigt wird. Und es ist ein Festhalten an der Empathie gegen die immer unverhohlener vorgetragenen und salonfähig gemachten Raster, mit denen Minderheiten zu hassenswerten Gruppen gemacht werden. Es ist keine Kleinigkeit, wenn zunehmend unwidersprochen Muslime in die Totalverdächtigung geraten, gewaltbereite Zerstörer zu sein. Die polnischen Rechtskonservativen beschimpfen sie schon als »Bakterien und Parasiten«. Das ist Wahn. Und das ist Hass in Reinform. Dagegen muss das Recht des Anderen – im Namen Christi, der das Antlitz des Ausgestoßensten angenommen hat – verteidigt werden.
Nicht das Kopftuch bedroht das christliche Abendland. Es ist die absichtsvolle Entmenschlichung von Menschen, ihr Ausschluss aus dem Bereich des Menschlichen. Der große Soziologe Zygmunt Bauman hat recht: »Die Menschheit befindet sich in der Krise – und es gibt keinen anderen Ausweg aus dieser Krise als die Solidarität zwischen den Menschen.«
Buchtipp: Stefan Seidel: Für eine Kultur der Anerkennung. Beiträge und Hemmnisse der Religion. Echter Verlag Würzburg 2018, 226 Seiten, 16,90 Euro.
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