Der lange Weg zur Entschuldigung
Wie ein Pfarrer mehr als 30 Jahre um die Anerkennung seines erlittenen Unrechts kämpfte – Interview mit Pfarrer Jürgen Hauskeller
Der Thüringer Pfarrer Jürgen Hauskeller wurde zu DDR-Zeiten von seinem eigenen Superintendenten bespitzelt. Das erfuhr er 1992, nachdem die Stasi-Unterlagen einsehbar waren. Doch es sollte noch weitere 33 Jahre dauern, bis ihm seine Kirchenleitung Glauben schenkte und um Verzeihung bat. Heute wohnt Hauskeller (88) in Leipzig. Der SONNTAG konnte hier mit ihm sprechen.
DER SONNTAG: Herr Pfarrer Hauskeller, erst jetzt, Sommer 2025, hat sich die zuständige Kirche in Thüringen, die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, bei Ihnen entschuldigt und Sie vollumfänglich rehabilitiert. Warum so spät?
Pfarrer Hauskeller: Das liegt auch bei mir. Ich habe es nicht auf die Spitze getrieben, ich bin damit nicht an die Presse gegangen.
Warum?
Weil ich es drauf angelegt habe, weil es ein innerkirchliches Problem ist, dass es eine innerkirchliche Lösung gibt, wo wir als Kirche unter den uns zur Verfügung stehenden geistlichen Mitteln das Problem bewältigen. Nachdem ja die juristischen Mittel versagt haben bzw. ich keinerlei Chancen hatte, weiterzukommen.
Aber Sie hatten es juristisch versucht?
Natürlich. Aber ich glaube, ich muss chronologisch erzählen.
Sehr gern.
Ich habe im Januar 1992 meine Stasi-Akte eingesehen, zunächst die für meine Gemeinde Sondershausen, also Bezirk Erfurt. Die für Zella-Mehlis, also Bezirk Suhl, kam erst Monate später. Als erster Thüringer überhaupt. Denn ich war gleich nach dem entsprechenden Beschluss der Volkskammer im August 1990 nach Erfurt in die Andreasstraße gefahren und hatte einen Antrag gestellt. Eben weil ich schon jahrelang geahnt hatte, dass es da eine Zusammenarbeit meines Superintendenten, um den es hauptsächlich geht, mit der Stasi gegeben hat. Das konnte ich ihm natürlich nicht nachweisen. Jetzt wollte ich die Beweise haben.
Was passierte dann?
Gleich nach meiner ersten Einsichtnahme bin ich zum Bischof nach Eisenach gefahren, damals Bischof (Werner, Bischof von 1978 bis 1992; Anm. d. Red.) Leich. Der sagte mir: „Bruder Hauskeller, das Thema rühre ich nicht mehr an. Ich bin in einem halben Jahr kein Bischof mehr, ich gehe in den Ruhestand, gehen Sie zu meinem Nachfolger.“
Man hat Sie abblitzen lassen?
Ja natürlich. Allerdings nicht offiziell. Das Gespräch mit Leich war ein Vier-Augen-Gespräch. Ich habe also geduldig gewartet. Es kam als Nachfolger Roland Hoffmann (Landesbischof in Thüringen 1992–2001). Dort meldete ich mich nach seiner Wahl an, dass ich meine Akten vorlegen möchte. Das ist dann auch geschehen. Und da ist es zu einer grundlegenden, für mich supernegativen Entscheidung des Landeskirchenrats gekommen. Also nicht nur des Bischofs; er war in Begleitung von drei Oberkirchenräten, als er mir das eröffnete. Er sagte wörtlich zu mir: „Lieber Bruder Hauskeller, wir haben Ihre Stasi-Akten zur Kenntnis genommen, wir haben aber unseren Bruder, nämlich den (betreffenden) Superintendenten Adebahr befragt, ob er für die Stasi gearbeitet habe, und er hat uns versichert, er habe nie in seinem Leben für die Stasi gearbeitet. Und wenn wir jetzt abschätzen und abwägen, wem wir mehr glauben, dann hat der Landeskirchenrat entschieden, dass wir dem Bruder Adebahr mehr glauben als Ihren Stasi-Akten.“
Das klingt unglaublich.
Das hatte natürlich schwerwiegende Folgen für mich. Weil natürlich der von mir angegriffene Superintendent, den ich ja auch besucht habe und der mir gegenüber genauso ins Gesicht log … Damit war über mich das Grundsatzurteil gesprochen. Das war 1993.
Was haben Sie getan?
Ich bin als Lügner dargestellt worden. Immer, wenn Adebahr drauf angesprochen wurde, bezeichnete er mich als Lügner und verwies auf die Entscheidung des Landeskirchenrates. Da war ich am Ende. Ich musste aus meinem Konvent (in Sondershausen), weil ich gesagt habe: 15 Jahre lang werde ich von einem Superintendenten bearbeitet – und der soll (nun) weiter mein Vorgesetzter bleiben, das geht doch wohl nicht. Da sagte der Landeskirchenrat: „Dann wechseln Sie doch die Pfarrstelle.“ Da sagte ich: „Wieso ich, ich habe mir doch nichts zuschulden kommen lassen.“ Zugleich sagte ich, ich verlange ja gar nicht, dass Adebahr von der Kirche die Ordinatiosnberechtigung abgesprochen bekommt, meinetwegen soll er Pfarrer bleiben. Das habe ich nicht zu entscheiden. Aber er kann nicht mein Vorgesetzter bleiben.
Was hatte er zu DDR-Zeiten unter anderem für die Stasi unternommen?
Er hat Briefe, die mich betrafen, die den Dienstweg über den Superintendenten gegangen sind, der Stasi zur Kenntnis gegeben. Das sind nachweisbare Arbeitspflichtverletzungen. – Das spielte alles keine Rolle.
Was passierte dann mit Ihnen?
Ich rutsche hinten runter. Ich unternahm trotzdem einen Versuch und wandte mich an einen befreundeten Superintendenten im benachbarten Bad Frankenhausen, ob ich dorthin könne. Sondershausen und Bad Frankenhausen waren noch getrennte Superindenturen. Er fragte nach. Doch der Konvent hat beschlossen, dass ich nicht kommen darf. So war mein Ruf inzwischen schon beschädigt, dass ein benachbarter Konvent – also alles liebe Kollegen, die mich bis dahin sehr geschätzt hatten – … auf einmal war ich der Nestbeschmutzer. So ging das, bis ich 2000 mit 63 in den Ruhestand gegangen bin. Dabei hatte ich meine Akte im Konvent zur Lektüre angeboten. Nicht ein einziger meiner Kollegen hat es gewagt, mal zu mir zu kommen und sich die Akte zeigen zu lassen.
Wie verzweifelt man da nicht?
(Pause) Ich muss schon sagen, dass ich psychologisch damals große Probleme hatte. Das hat mich nicht kaltgelassen. (Auch) wenn ich das erzähle, wird das alles wieder lebendig. Mich hat damals nur gehalten: Ich habe eine gute Gemeinde gehabt, eine Stadtteilgemeinde von Sondershausen mit zwei Außendörfern. Und dort hatte ich einen unwahrscheinlichen Rückhalt. Eine lebendige Geimende, wo ich alle Register meines pfarramtlichen Könnens ziehen konnte.
Wie ging nach dem Ruhestand weiter?
Ich musste binnen kürzester Zeit das Pfarrhaus leeren und verlassen. Binnen vier Wochen. Da meine Frau auch Pastorin ist und ich zugleich weiterarbeiten wollte, haben wir nach Orten gesucht, wo auch ich mit meinen 63 Jahren noch ein bisschen was mittun kann. Gern auch hätten wir uns eine Stelle geteilt. Es war aber nichts zu finden. Doch durch Zufall, oder wenn man es so sagen darf, durch Gottes Fügung, stießen wir auf eine Ausschreibung des Lutherischen Weltbundes in Kinshasa im Kongo. Dort wurde ein Pfarrer/eine Pfarrerin für Fortbildung, Ausbildung, Weiterbildung kirchlicher Mitarbeiter gesucht. Dann gingen wir 2002 für vier Jahre in den Kongo. Damit war für mich diese ganze belastende Vergangenheit erledigt …
… dachten Sie.
Ja, wir kamen 2006 wieder. Da wurde gerade in der thüingischen Landeskirche vorgestellt, was der Ausschuss für Vergangenheitsbewältigung an Ergebnissen erreicht hatte. Ich fuhr hin und hörte mir das an und war maßlos erschrocken. Einerseits, was da (noch) zutage gefördert wurde. Und andererseits, was die Juristen auf Nachfrage zu meinem Fall sagten: Der zuständige Oberkirchenrat habe erklärt, dass meine Akten nicht juristikabel seien. Schließlich würde bei Herrn Adebahr die schriftliche Erklärung zum Dienst, zur Mitarbeiterschaft für die Stasi fehlen. Damit wären meine Behauptungen nicht belegbar und belastbar. Ich fragte nochmals nach, ob sich nicht jemand mal die Mühe machen würde/könnte, meine Akte zu untersuchen. Es war inzwischen durch die Gauckbehörde bekannt, dass zwei Decknamen, darunter „Storch“, Superintendent Adebahr zuordenbar waren.
Ihr Fazit?
Die Sichtweise des Landeskirchenrats hatte sich nicht geändert. Sie wollten meine Akten nicht einsehen. Niemand hat mich eingeladen. Dann hab ich’s sein lassen.
Auch dann kein Gang an die Presse ...
Nein, ich wollte kein Theater machen, mich wichtig machen. Ich bin in der Kirche groß geworden. Mein Vater war Pfarrer. Die Kirche war Heimat für mich. … Dass die Stasi so mit mir umgegangen ist wie sie mit mir umgegangen ist, da habe ich nichts anderes erwartet. Aber dann ist da die Wende, dann komme ich mit meinen Akten - und dann stellen die mir einen Stuhl vor die Tür … und behandeln mich in einer Weise, als wöllte ich der Kirche schaden. (Verzweifelt) Im Gegenteil: Ich wollte eigentlich zu einem geläuterten Umgang der Kirche mit ihrer Vergangenheit pfeifen. Zumal in Thüringen die Kirche schon die 30iger-Jahre-Vergangenheit nicht aufgearbeitet hat. Und jetzt ging das so weiter. Alles wurde vertuscht, alles wurde weggebügelt, unter den Teppich gekehrt. Leute, die sich lautstark meldeten, wie ich eben, wurden regelrecht mundtot gemacht. Es hatte ja sogar noch ein Nachspiel gegeben: Nachdem ich mit meiner Frau in den Kongo gegangen war, wollten wir in Thüringen unsere drei Kinder taufen, die wir im Kongo adoptiert hatten.
Was ist passiert?
Ich hatte an meine Kirchgemeinde, die mich ja mit Glanz und Gloria 2000 verabschiedet hatte, die Bitte und Anfrage gerichtet, ob ich beim ersten Heimaturlaub im Juni 2004 diese drei Kinder dort taufen lassen könnte. Was kam, war der Gemeindekirchenratsbeschluss, dass mir diese Taufe versagt wird.
Was hat man denn da als Begründung angeführt?
Es sei der Gemeindewillen. Also: Meine Nachfolger im Amte haben mich zu einem Schreckgespenst hochstilisiert, einen, der weder das Evangelium, noch die reine Lehre verkündet hätte, sondern nur sich selbst. Es ist ein Rufmord in unglaublichem Maße erfolgt. Jetzt wurde mir Störung des Friedens in der Gemeinde vorgeworfen. Und ein viertel Jahr später folgte ein Gemeindekirchenratsbeschluss, mir zehn Jahre lang die Präsenz in der Gemeinde zu untersagen. Der wurde übrigens vom Landeskirchenrat bestätigt, wie ich in meiner Personalakte fand, die ja eigentlich mit meinem Eintritt in den Ruhestand seit 2000 zu war …
Konnten Sie im Gemeindekirchenrat dazu einmal nachfragen?
Ja, denn da hatten auch einige unterschrieben, die bereits in meiner Zeit dabei waren, zu 90 Prozent sogar. Ich habe sie Jahre später besucht und gefragt: „Wie konntest du das unterschrieben? Was habe ich dir getan? Ich war im Kongo, 7500 Kilometer entfernt, und du unterschreibst, dass meine Kinder hier nicht getauft werden dürfen.“ Zwei Kirchenälteste sagten mir: „Wir sind sowas von manipuliert worden, Jürgen, das glaubst du nicht.“
Noch immer kein Ende der Sache.
Ich habe dann alles zehn Jahre lang ruhen lassen. Habe mich dafür weiter um den Kongo gekümmert, in den wir jedes Jahr drei Mal fahren. Wir haben dort vier Projekte – zwei Waisenhäuser, ein Krankenhaus und ein Schulzentrum mit 1100 Kindern - gegründet. Das betreiben wir nun schon 20 Jahre lang. Und das forderte meine ganze Kraft.
Ab wann änderte sich die Haltung der Landeskirche?
2017 meldete sich der Professor (Friedemann) Stengel, Kirchengeschichtler, von der Uni Halle mit Spezialgebiet Neuere Kirchengeschichte zur DDR-Zeit. Er sagte: „Herr Hauskeller, Ihre Geschichte ist ja immer noch offen.“ Dann sprachen wir miteinander und er veranstaltete ein Seminar in Halle, ein Forum (Anmerkung d. Redaktion: Es war überschrieben „Erstes Forum zum Bußwort des Landeskirchenrats der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland zum Buß- und Bettag 2017“; dieses Bußwort von 2017 zu den Vorgängen in der Kirche während der DDR-Zeit allgemein findet sich am Ende des Interviews. Dabei handelt es sich um eine Dokumantation des Evangelischen Pressedienstes vom 28.8.2018). Hauskeller weiter: Dort stellte er (Stengel) Betroffene vor. Dort habe ich meinen Fall nochmal geschildert. Und dort war Bischöfin (Ilse) Junkermann mit dabei (Anmerkung der Redaktion: Die thüringische Landeskirche war am 1. Januar 2009 mit der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen zur Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, EKM, vereinigt worden.) Sie rief mich Tage später aus Magdeburg an und sagte, sie habe das so beschäftigt, dass sie gern Genaueres wüsste, sie würde nach Leipzig kommen. Hier hat sie mir drei Stunden lang zugehört und sich die Papiere zeigen lassen. Hinterher war sie sichtlich erschüttert und betroffen. Sie entschuldigte sich.
Wie fühlten Sie sich?
Nun, ich sagte zu ihr, das sie ja gar nichts dafür kann. Sie kam ja aus dem Westen. Aber ich hatte endlich mal jemanden, der mir zuhört! Es war die erste aus kirchenleitender Funktion. Bis dahin hatte die Akte Hauskeller geschmort. Später fand noch ein Forum statt, wo ich wieder zugegen war.
Jetzt ging es los.
(Erst) 2023 hat der EKM-Landeskirchenrat beschlossen, im Vollzug dieses Bußwortes die Aufarbeitung konkret werden zu lassen. Er hat einen Ausschuss gegründet und 500.000 Euro Entschädigungsgeld für Opfer zur Verfügung gestellt. Ich meldete mich auch. 2024. Letzter Versuch.
Wie ging das aus?
Ich bekomme vier Wochen später den Bescheid dieses ja abschließenden Komitees zur Vergangenheitsbewältigung der Kirche, dass der Ausschuss mir vorschlägt, ich solle doch mal all die Dinge, die ich nicht in Ordnung finde, zu Papier bringen, und diese würden dann in meiner Personalakte hinzugefügt … Da habe ich mich veräppelt gefühlt. Das war nicht mehr steigerungsfähig. Diese Art, mir sowas überhaupt anzubieten, fand ich unglaublich.
Sie haben abgelehnt.
Ich lehnte ab. Im Jahr 2024 im August fand in Mageburg eine Abschlussveranstaltung zur Kommission statt. Dort wurde mir gesagt, dass der Ausschuss keine Möglichkeit gefunden hätte, dass mir Gerechtigkeit widerfährt. Punkt. Aber Bischof (Friedrich) Kramer kam dort auf mich zu. Vier Woichen später lud er mich nach Magdeburg ein. Dort redeten wir lange miteinander. Im Anschluss fragte er mich, was ich mir denn vorstellen könne.
Was sagten Sie?
„Ich verlange ja kein Geld. Und wie ich psychsisch gelitten habe, das kann man alles gar nicht in Worte und Taten fassen. Ich wäre aber dankbar, dass wir das Problem geistlich lösen!“ Ist doch die Kirche, so habe ich damals, noch in Eisenach, lange geglaubt, die einzige Institution der Welt, die das Alleinstellungsmermal im Umgang von Schuld und Sünde hat. Das ist es, was uns von allen unterscheidet. Wir können mit Schuld umgehen, wir können Vergebung erteilen. Im Namen und im Glauben an Jesus Christus. Doch dann, sagte ich Bischof Kramer, erlebte ich dort in Eisenach eine Kirche, die dazu weder fähig noch willens ist. Nur darüber zu reden. „Da bin ich irre geworden an meiner Kirche“, sagte ich zu Kramer.
Was wurde daraus?
Ich fragte Kramer, ob wir nicht den Kreis vergrößern können. Ich schlug Bischof Schüfer (Anm.: Regionalbischof Tobias Schüfer, Erfurt) und einen Freund aus Jugendtagen, Mikosch (Hans Mikosch, Probst i.R.), vor. Das fand er gut.
Wie kam es nun zum großen öffentlichen Bußgebet Anfang Juni 2025 in Zella-Mehlis?
Im März 2025 erhielt ich eine Einladung nach Erfurt. Dort saßen wir bei Bischof Kramer zu viert zusammen, ich hatte die wichtigsten Akten mitgebracht. Letztlich schlug Bischof Kramer einen Bußgottesdienst vor. In dem die Landeskirche Buße dafür tut, was mir widerfahren ist. Ich wurde gebeten, die Akten dazulassen und wichtige Stichpunkte aufzuschreiben. Dort wurde dann auch gleich der Termin 7. Juni 2025 festgelegt.
Letztlich entscheid man sich für Zella-Mehlis.
Ja, eigentlich wäre natürlich Sondershausen als Ort in Frage gekommen. Weil ich dort 25 Jahre lang Pfarrer war und dort ja das Problem mit dem Superintendenten (Adebahr) war. Aber wie mit mir dort innerkirchlich umgegangen worde ist … da habe ich gesagt: „Bitte Sondershausen nicht. Das gibt nur Ärger. Da mobilisiern sich nur wieder alle. Das ist kontraproduktiv.“ Ich muss hinzufügen: Das betrifft wirklich nur die Kirche. Ich genieße in Sondershausen (sonst) ein hohes Ansehen. Ich habe für mein Engagement als Pfarrer während der Wende – mit Friedensgebeten und Demonstrationen – das Bundesvierdienstkreuz bekommen. Ich habe die höchste Auszeichnung der Stadt erhalten, wo ich Stadtrat nach der Wende war. Es ist verrückt: Sondershausen ist mit Blick auf meine Person gespalten. Aber natürlich habe ich meine Gemeindemitglieder, die mir nahstanden, die man immer abfällig „die Hauskellerfans“ genannt hatte, eingeladen. Und so kam es zu dem, was ich mir von Anfang an gewünscht habe – und wozu die Vorgänger nicht in der Lage waren. Ausnahme: Frau Junkermann. Sie wäre gern zum Bußgottesdienst gekommen, war aber verhindert. In ihrem Schreiben dazu informierte sie mich übrigens, dass sie nach dem Gespräch mit mir 2018 den damals für Sondershausen zuständigen Superintendeten angewiesen hat, dafür Sorge zu tragen, dass dort nicht mehr gegen mich gehetzt wird. Denn ich hatte in der Kirche ja immer noch Zutrittsverbot. Nicht einmal eine Andacht bei meinen Geburtstagen durfte ich dort feiern. Inzwischen, 2025, ärgert sich Frau Junkermann, dass sie damals nicht selbst nach Sondershausen gefahren ist. Denn der Gemeindekirchenrat hatte letztlich 2018 überhaupt eine Befassung mit meinem Fall abgelehnt.
Was macht das mit Ihnen?
Diese Behandlung durch die Kirche ab 1992, damit kann ich viel schlechter umgehen als mit dem, was die Stasi in den Jahren vorher mit mir gemacht hat.
Schildern Sie uns bitte, wie der Bußgottesdienst verlief?
Die Vorbereitung verlief in einer guten Zusammenarbeit. Wir arbeiteten bis zuletzt gemeinsam an der Erklärung. Man hat mich einbezogen in die Formulierung. Ich durfte korrigieren und ergänzen. Wir haben dann gemeinsam am 7. Juni einen Bußgottesdienst erlebt, wie ich ihn mir schöner nicht habe vorstellen können. Er hat alle meine Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern übertroffen! Die Erklärung … auch das Auftreten der Bischöfe war authentisch. Es war ihnen abzunehmen, dass sie dahinter standen, dass das keine leeren Worte waren, keine Pflichtveranstaltung. Es waren über hundert Leute da. Viele aus alten Zeiten. Es war wirklich bewegend.
Was fühlten Sie?
Es hat mir emotional fast die Füße weggerissen. Es war wirklich unglaublich. Denn erst, vorher, war nur ein Brief des Landesbischofs zur Sache an mich angedacht gewesen. Da aber hatte ich gesagt: „Das genügt mir nicht. Ich möchte eine öffentliche Form.“ Was dann stattfand, war mutig, finde ich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es im Landeskirchenrat keine Debatten gab. Das ist nach meinem Dafürhalten eine ziemlich einsame Entscheidung dieser beiden Bischöfe gewesen.
Wie kam es zu dem Foto: Sie Hand in Hand mit den beiden Bischöfen; Sie in der Mitte, Landesbischof Kramer links und Regionalbischof Tobias Schüfer rechts?
Ich hatte überlegt, wie mache ich sichtbar, dass ich vergebe. Nur so ein Satz wäre albern gewesen. Zumal die beiden Bischöfe ja damit damals nichts zu tun gehabt haben. Und so kam es spontan, dass ich das Lied „Da berühren sich Himmel und Erde, dass Frieden werde unter uns.“ gesungen habe. Ich habe wirklich in dem Moment gespürt, dass der Geist Gottes unter uns ist. Und beim Schlussrefrain bin ich spontan zu ihnen, habe sie beide an die Hand gefasst und die Arme hochgehakten zum Zeichen: „Heh, hier ist Versöhnung. Jetzt ist Frieden und Neuanfang.“ Das Foto halte ich für ein ganz starkes Bild, für das, was da eigentlich passiert ist.
Das Gespräch führte Torsten Hilscher
ergänzende Informationen: |
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Bußwort der EKM zum Fall Hauskeller 2025: https://www.meine-kirchenzeitung.de/sprengel-erfurt/c-aktuell/bussandach...
epd-Dokumentation 8/2018 zum Bußwort der EKM 2017 Versöhnung und Aufarbeitung: https://www.ekmd.de/kirche/geschichte-der-ekm/geschichte-der-kirchen-in-... |
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