Die Kunst der Fuge
Ann-Helena Schlüter kann die Fugen von Johann Sebastian Bach nicht nur meisterhaft spielen, sie erforscht sie auch wissenschaftlich und entdeckt darin einen tiefen Glauben.
Liest man den Lebenslauf von Ann-Helena Schlüter, so kann man nur anerkennend staunen angesichts all ihrer Aktivitäten und Auszeichnungen. Die deutsch-schwedische Konzertpianistin gab nicht nur bereits auf allen Kontinenten Konzerte, sie ist auch Dozentin an der Hochschule für Musik in Würzburg, Komponistin eigener Lieder und Lyrikerin. Seit 2009 hat sie acht CDs aufgenommen. 2011 kam ein weiterer Arbeitsschwerpunkt dazu: Ann-Helena Schlüter promoviert an der Leipziger Universität über die Rezeptionsgeschichte der Kunst der Fuge von Johann Sebastian Bach.
Angesichts der vielfältigen Talente von Schlüter fragt man sich, wie kommt eine junge Frau ausgerechnet dazu, über die Kunst der Fuge zu promovieren?
»Ich mag die intellektuell abstrakten Fugen«, erklärt die Künstlerin. »Gerade weil Bachs Musik so tiefgründig ist, ist sie so lebendig. Es ist sehr moderne Musik.«
Bachs Kunst der Fuge ist eine Sammlung von vierzehn Fugen und vier Kanons, an der er bis zu seinem Tode arbeitete. Die Fuge selbst besteht aus einem einfachen Thema, das in allen Stimmen wiederkehrt und sich in einem Höhepunkt trifft. »Um diese Fugen zu komponieren, muss man mathematisch sehr begabt sein«, so Schlüter. »Bachs Musik kann nie langweilig werden, sie kann höchstens überfordern.«
Doch Schlüter schätzt die Fugen nicht nur wegen ihrer musikalischen Komplexität. Sie liebt sie vor allem, weil sie ihrer Ansicht nach tiefe geistliche Musik darstellen. Wie unter alle seine Werke, so setzte Johann Sebastian Bach auch unter die Kunst der Fuge die Worte: soli deo gloria (Gott allein gebührt Ehre).
Für die Pianistin und Musikwissenschaftlerin ist dies ein Zeichen dafür, dass Bachs Musik und sein Glaube aufs Engste miteinander verbunden sind: »Bachs Kunst der Fuge ist ein geistliches Werk. Auch wenn es keinen Text hat, könnte man sagen, dass er damit die Bibel vertonte. Bei der Kunst der Fuge hat er das ›soli deo gloria‹ sogar mit seinem Namen, dem B-A-C-H Thema, unterschrieben. Als wollte er sagen: Ich glaube das auch.«
Bach komponierte also nicht, um sich selbst und sein Können in den Mittelpunkt zu stellen, sondern weil er Gott verherrlichen wollte. Schließlich hätte er sein Talent auch dazu nutzen können, pompöse Opern zu schreiben. Schlüter ist davon überzeugt, dass Bach bewusst auf Anerkennung verzichtete. »Indem er Fugen schreibt, lässt er sich eingrenzen. Er arbeitet bei einer Fuge mit einem unheimlich strengen Gesetz. Darin ist er sehr lebendig und leidenschaftlich.«
Als Musikwissenschaftlerin dürfte Ann-Helena Schlüter eigentlich nicht sagen, dass die Kunst der Fuge geistliche Musik ist, schließlich ist sie nicht textiert, es steht nirgendwo, dass es um Gott geht. »Aber man hört es«, ist Schlüter überzeugt. »Es ist sehr reine, ehrliche Musik. Sie hat etwas Heiliges, Malendes.«
Schlüter ist mit Musik groß geworden. Ihre Eltern sind Pianisten, auch die Schwestern sind Musikerinnen. Doch nicht nur die Musik entdeckte Ann-Helena Schlüter bereits in ihrer Kindheit. Auch zu Gott entwickelte sie schon von klein auf ein inniges Verhältnis. »Irgendwann kam der Punkt, an dem ich mich selbst für Gott entschieden habe. Als ich ein Kind war, fragte ich: ›Ist da jemand?‹ und Gott antwortete mir: ›Ja, ich bin.‹ So bin ich zum Glauben gekommen«, erzählt die Künstlerin, die nicht nur mit ihrem brillanten Klavierspiel überzeugt, sondern auch durch ihre Persönlichkeit beeindruckt.
Trotz ihrer zahlreichen Auszeichnungen wirkt Schlüter keinesfalls abgehoben, sondern geerdet. Ann-Helena Schlüter ist eine Künstlerin, die weiß, was sie kann, aber auch, wem sie diese Begabung verdankt. »Gott ist für mich der größte Künstler von allen«, sagt sie. »Ich kann nur jeden ermutigen, nach Gott zu suchen, weil er sich wirklich finden lässt.«
Musik ist für Schlüter ein Geschenk Gottes und eine Brücke zu ihm. Das eint sie mit Bach und das macht ihr eigenes Spiel so tiefgründig und leidenschaftlich.
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