Wachsen kostet was
Zukunft: Mission finden alle gut – doch in der Strukturreform der Landeskirche halten die meisten lieber am Vertrauten fest. Aber wer neue Menschen erreichen will, braucht neue Ideen. Und Geld.
Als hunderte Christen aus ganz Sachsen Anfang April vor der Landessynode in Dresden gegen die Strukturreform-Pläne der Kirchenleitung demonstrierten, war auch ein Unternehmensberater unter ihnen. »Wenn ich als Unternehmer merke, dass mein Produkt nicht mehr ankommt, frage ich doch nicht: Wie komme ich mit weniger Umsatz klar?«, sagte Wolfgang Bönsch und man spürte seine Ungeduld. »Sondern was kann ich an meinem Produkt besser machen?«
Ans Schrumpfen zu denken statt an Innovation – für den 66-jährigen Wirtschaftsfachmann aus Regis-Breitingen, der große Firmen beraten hat und erst mit 41 Jahren Christ wurde, einfach undenkbar (siehe Seite 3). »Warum ist Jesus auf die Welt gekommen?«, fragt er. »Um zu suchen und zu retten, was verloren ist.« Bönsch brachte ein vierseitiges Konzept mit zur Demonstration vor der Synode. Er schlägt eine Entwicklungsabteilung für die Landeskirche vor: Eine Denkfabrik für Mission und Marketing, um neue Formen von Kirche auszuprobieren und Gemeindeglieder wie Mitarbeiter für die Weitergabe des Glaubens fit zu machen. Bei Rekord-Kirchensteuern müsste Geld da sein. »Wir können doch nicht nur das Schrumpfen verwalten.«
Das aber dominiert das Zukunftskonzept der Kirchenleitung ebenso wie die turbulente Debatte der Synode darüber: Möglichst viel soll so bleiben, wie es ist. Nur kleiner. Dabei hatte die Landessynode schon im vergangenen Herbst Kirchenleitung und Landeskirchenamt um die Unterstützung »innovativer missionarischer Initiativen« mit Personalstellen in neuen Strukturen gebeten. Ergebnisse gibt es bisher nicht. Das Thema droht im einjährigen »Entscheidungsfindungsprozess« zur Strukturreform der Landeskirche unterzugehen.
Was möglich wäre, zeigt die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland. Fünf Millionen Euro hat deren Synode für Experimente in so genannten »Erprobungsräumen« bewilligt. In Gotha hat der Kirchenkreis einen Pfarrer als »Stadtteilmissionar« an einen sozialen Brennpunkt entsandt, in Haldensleben haben Kirche und eine Firma eine »Offene Industriestadtgemeinde« für Mitarbeiter und deren Kinder gebildet, und im Südharz entsteht eine übergemeindliche Kirche von Jugendlichen für Jugendliche.
Ein viel kleineres Förderprogramm für missionarische Gemeindeaufbauprojekte hat auch Sachsens Landeskirche. Über 90 Vorhaben wie die »Bunte Kirche Neustadt« in Dresden oder Kirchenläden in Oederan und Borna wurden damit bisher unterstützt. 200 000 Euro hat der Fonds zur Verfügung – aber nicht einmal die wurden bisher von Kirchgemeinden ausgeschöpft. »Es braucht Ideen aus den Gemeinden, das ist das Schwierige«, sagt Manja Erler, Gemeindeaufbau-Referentin im Landeskirchenamt.
Mission finden alle gut – aber oft nur, wenn man dafür nichts vom Gewohnten abgeben muss. Das zeigt sich an einer mutigen Idee von Synodalen um den Burgstädter Pfarrer Sandro Göpfert: Sie schlugen schon im vergangenen Herbst einen Zukunftsfonds mit Personalstellen für neue Gemeindeformen und Mission vor – doch dafür müssten die Kirchgemeinden den Gürtel schon bald viel enger schnallen als ohnehin von der Kirchenleitung geplant. Die Synode gab den Vorschlag zur Prüfung an das Landeskirchenamt. Seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört. Und in der heißen Debatte um Kürzungen ist eine Mehrheit für noch größere Einschnitte kaum vorstellbar.
Die Angst vor Verlusten ist stärker. »Aber wir lassen doch schon heute in der Gemeindearbeit oft vieles weg – sei es den Blick nach außen oder den diakonischen Blick«, sagt Manja Erler. »Was wäre, wenn wir ein Drittel unserer Ressourcen dafür verwenden würden, zu den Menschen zu gehen, die nicht zu uns kommen?«
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna