Sexualität: Die Bibelwoche widmet sich dem Hohelied – und stellt sich dem Lobpreis des Leibes und der körperlichen Liebe. Passen Glaube und Sex zusammen?
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Die Vorstellung, man sitzt beisammen im altehrwürdigen Gemeinderaum und spricht über Leibeslust und Liebesspiel, ist mindestens ungewöhnlich. Doch genau dazu fordert die diesjährige Ökumenische Bibelwoche heraus. Denn sie thematisiert das alttestamentliche Hohelied Salomos. »Deine Brüste sind wie zwei Kitzen, Zwillinge einer Gazelle, die unter Lotusblumen weiden«, heißt es da in einem Lobpreis auf die schöne Freundin (Kapitel 4). Freilich kann man die Debatte abbiegen, indem man betont: hier wird eigentlich die Liebe zwischen Gott und seinem auserwählten Volk symbolisch besungen. Doch dürfte das dem Text nicht ganz gerecht werden – und wäre auch etwas langweilig.
Keine Frage: Das Christentum tut sich schwer mit der körperlichen Liebe, vielleicht mit dem Körper überhaupt. Es hat eine lange Geschichte der Lust- und Leibfeindlichkeit. Dennoch hütet die Bibel auch eine Weisheit über das körperliche Dasein des Menschen – und über die Liebe.
Wenn heute das Hohelied wieder gelesen wird, trifft es nicht auf eine sexualfeindliche Welt, sondern auf eine übersexualisierte. Die Nacktheit ist beinahe zur Norm geworden im Medien- und Reklamebetrieb – und die Pornographie zu einem regelrechten Massenphänomen.
Möglicherweise ist die dem Christentum eingewobene Hemmung im Umgang mit Sexualität auch eine Chance: sie könnte eine verlorengegangene Scham und einen Respekt der Körper wieder entdecken helfen. Doch dazu müssten die Christen zunächst einmal selbst einen positiven Bezug zu ihrem Körper gewinnen. Der ersten Schritt dazu wäre das Ernstnehmen neuer Erkenntnisse über den Menschen – die sich mit biblischem Wissen treffen: dass der Mensch Kreatur und Natur ist. Das heißt: Wir haben nicht die Natur um uns herum, sondern sind sie selbst. »Ein gleicher Atem ist in allen«, heißt es in Kohelet 3. Das Kreatürliche, Tierliche, Naturhafte, Triebhafte in uns ist nichts Abzuspaltendes und Niederzuringendes, sondern eine Schöpfungswirklichkeit und Leibdimension, die unter dem göttlichen Schöpfungssegen steht. Das Neue Testament hat diesen Gedanken gekrönt, indem es von der Fleischwerdung Gottes berichtet: dass Gott die Leiblichkeit wählte, um zu erscheinen.
Diese Heiligung der Körper widerspricht jener Tradition, die das Göttliche vergeistigt hat – und die Sexualität problematisiert hat. Demgegenüber könnte der Gedanke des Paulus stark gemacht werden, dass unser Körper ein Tempel des Heiligen Geistes ist (1. Korinther 6). Gott ist gegenwärtig – in unserer Leiblichkeit. Jeder Körper hat somit eine unantastbare Würde. »Jeder Teil unseres Körpers ist unserem Gott heilig und wir verherrlichen nach Paulus Gott, indem wir den Leib in allen seinen Dimensionen heilig halten«, schreiben die Theologen Silvia Schroer und Thomas Staubli.
Heilig halten – das bedeutet, den Körper hoch zu achten, seiner Verdinglichung und Verwertung ebenso zu widerstehen wie seiner Beschädigung. Heilig halten kann dann aber auch heißen, ihn heil zu halten, also ganz: dass er in all seinen Regungen und Bedürfnissen auch gelebt, ausgedrückt und gefeiert wird. Das ist ein großes Ja auch zur Sexualität als Verwirklichung einer Schöpfungswahrheit. Und das ist ein klares Nein zu jeder Reduzierung auf einen respektlosen Umgang mit dem eigenen Körper und dem Körper anderer. In der körperlichen Resonanz kann etwas von Gott erfahren werden. Und in der liebenden Beziehung der Körper kann sich etwas von Gott ereignen. So wie es der Theologe Peter Schellenbaum einmal ausgedrückt hat: »In jeder wirklichen Hingabe ist ein Wittern des Grenzüberschreitenden, Zauberhaften, Ekstatischen, Rätselhaften und Wunderbaren: ein Wittern ›Gottes‹«.
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