Die ostdeutsche Kränkung
Ost-West: Petra Köpping geht der Seele der Ostdeutschen auf den Grund – und entdeckt tiefe Kränkungen. Es ist Zeit, die Wunden nicht zu tabuisieren, sondern zu behandeln. Sind Ostdeutsche nun auch ein Integrationsfall?
Es braucht nur ein Ereignis wie die Proteste in Chemnitz, schon wird den Sachsen wie den Ostdeutschen insgesamt unterstellt, sie wären auch 28 Jahre nach der Deutschen Einheit nicht in der Demokratie angekommen. Nahezu reflexartig würden sie mit Spott, Schulmeisterei und Häme überzogen, konstatiert Petra Köpping. Doch solche Pauschalisierungen mehren nur den Frust, glaubt die sächsische Ministerin für Integration und Gleichstellung.
Gleichwohl fragt auch sie sich besorgt, warum Misstrauen und Distanz gegenüber Demokratie und Politik im Osten besonders groß sind. Sie hat mit vielen Unzufriedenen gesprochen, auch am Rande von Pegida-Demonstrationen. Rasch wurde ihr klar, dass es um etwas Tieferliegendes und Grundlegenderes geht: »Die Flüchtlinge waren der Anlass, doch der Grund der Erregung war bei vielen offensichtlich älter.« Zu finden sei er in der Nachwendezeit. »Obwohl seitdem fast 30 Jahre vergangen sind, offenbarten sich unbewältigte Demütigungen, Kränkungen und Ungerechtigkeiten, die die Menschen bis heute noch bewegen, unabhängig, ob sie sich nach 1990 erfolgreich durchgekämpft haben oder nicht.«
Einmal raunte ihr ein Demonstrant zu, sie solle aufhören mit den Flüchtlingen und fügte hinzu: »Integriert doch erst mal uns!« Das hat sie zum bewusst provozierenden Titel ihrer soeben erschienenen »Streitschrift für den Osten« gemacht.
Unlängst hatte schon die Migrationsforscherin Naika Foroutan in einem Interview mit der »tageszeitung« (taz) die steile These aufgestellt, die Ostdeutschen seien in gewisser Weise auch Migranten: »Migranten haben ihr Land verlassen, Ostdeutsche wurden von ihrem Land verlassen.« Bei beiden sei die Verklärung der Vergangenheit zu beobachten, oft gekoppelt mit Scham über die eigene Herkunft. Beiden werfen Westdeutsche vor, nicht demokratiekompatibel zu sein.
Freilich, auch die schlechteste Erfahrung rechtfertige weder Fremdenhass noch faschistische Positionen, stellt Petra Köpping klar. Aber um weiterzukommen, müsse man zumindest versuchen, die Ostdeutschen besser zu verstehen. Zugleich verlangt sie von westdeutschen Politikern das Geständnis: »Die schnelle Währungsunion, die Ausrichtung der Treuhand und viele andere Instrumente der Nachwendezeit wurden – natürlich, muss man sagen – nicht ›zum Wohle‹ Ostdeutschlands gemacht, sondern gehörten zu einer Politik, um westdeutsche Bürger vor den Konsequenzen der Wiedervereinigung zu schützen.«
Deshalb fordert sie unter anderem, die Akten über die Arbeit der Treuhand von einer Kommission wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen. Man müsse unterscheiden können, was nötig war und wo es Fehler, Missbrauch oder Korruption gab.
Mehr Aufmerksamkeit wünscht sie sich für die Erfahrungen der Menschen. Davon sollten sie öffentlich erzählen dürfen, auf Podien etwa. Und man müsse ihnen zuhören. Nötig sei eine neue Debatte, »kritisch, aber nicht nachtragend, ehrlich, aber nicht vorwurfsvoll«. Wo Ostdeutsche benachteiligt wurden, bei Renten etwa, hält Petra Köpping Reparaturen für erforderlich. Um dauerhafte Altersarmut zu verhindern, brauche es eine Grundrente.
Den Osten gegen den Westen auszuspielen, wäre jedoch grundfalsch. Ostdeutsche müssten ebenso den Strukturwandel in Gelsenkirchen oder Mannheim begreifen, betont sie. Statt einer Neiddebatte wünscht sie sich ein Ost-West-Bündnis mit gemeinsamen Forderungen. Und die zielen im wesentlichen darauf ab, den Sozialstaat zu erneuern, mehr Chancengleichheit zu schaffen, den Mindestlohn zu erhöhen, Reiche und Kapitalbesitzer hingegen höher zu besteuern.
Doch schon von der Aufarbeitung der Nachwendezeit, die alle beteiligt, erhofft sie sich neues Vertrauen der Ostdeutschen in die Demokratie – eben jene notwendige Integration. »Zurückblicken ist zutiefst partizipatorisch und bringt Politik, Verwaltung, Verwaltung und Bürger zusammen.«
Petra Köpping: Integriert doch erst mal uns! Eine Streitschrift für den Osten. Ch. Links Verlag 2018, 204 S., 18 Euro.
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