Wir dürfen nicht wegsehen
Tiere sind nach Gottes Willen Mitgeschöpfe des Menschen – doch wir haben sie zu nahrungsliefernden Maschinen gemacht. Es ist ein Zeichen der gefallenen Schöpfung. Dabei gibt es einen anderen Weg: Mitleid.Erbaulich sprechen wir öfter davon, was das Tier für den Menschen bedeutet. Dann denken wir zum Beispiel an Blindenhunde oder an liebe, die Einsamkeit alter Menschen aufhellende Haustiere. Weitaus ernster ist die Frage, was der Mensch für das Tier bedeutet. Da wird es bei einigem Nachdenken unheimlich.
Im Fernsehen halten die Menschen oft die brutalsten Krimis aus. Bei seltenen Berichten über Tiertransporte oder Schlachthöfe schalten sie schnell ab, weil sie diese Bilder nicht aushalten.
Aber die von Menschen so geschundenen Tiere können nicht wegsehen. Sie müssen es aushalten. Abschalten heißt wegsehen.
Es ist leider auch selten, dass sich unsere Kirche mit der Not und dem Elend der Kreatur befasst, geschweige denn, dass sie sich öffentlich dazu zu Wort meldet.
Aber sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was der Mensch für das Tier bedeutet, ist kein Spleen überempfindsamer alter, zunehmend auch junger Leute. Es geht dabei auch, jedenfalls mir, nicht um die Proklamation eines vegetarischen Lebensstiles. Vor ihm habe ich, wo sich in freier Entscheidung für ihn entschlossen wird, größte Hochachtung. Aber ein Gesetz darf man daraus nicht machen.
Dass Tiere auch die Nahrung der Menschen sind, ist eines der Geheimnisse der gefallenen, sich jedenfalls nicht selbst erlösenden Schöpfung. Aber dass der Mensch vor diesem Geheimnis inne hält und nicht wegsieht, ist eine Bedingung der Humanität.
Vor Urzeiten waren Mensch und Tier im Kampf um das Leben ein gleichwertiges Gegenüber. Aber der Mensch lernte, Haus- und Nutztiere zu züchten, Kühe und Schafe vor allem. Er machte sich die Tiere untertan.
In der Regel versorgte er sie auf diese Weise durch mehrere Jahrtausende hindurch relativ gut. In den letzten mindestens 50 Jahren hat der Mensch das Tier zur nahrungsliefernden Maschine degradiert.
In auf Effektivität durchorganisierten Mastanlagen und dazugehörigen Schlachthöfen wird ohne jegliche Hemmungen kurzerhand von »Tierproduktion« gesprochen. Das Tier, nach Gottes Willen Mitgeschöpf des Menschen, ist zum Produktionsfaktor geworden.
Wer die Nerven und den Willen hat, bei erwähnten Fernsehberichten nicht abzuschalten, kommt nicht umhin, tief betroffen zum Beispiel an den heute weithin vergessenen Albert Schweitzer zu denken, der den Begriff der »Ehrfurcht vor dem Leben« geprägt hat.
Den ethischen Grund für diese uns Menschen gebotene Ehrfurcht hat Albert Schweitzer zusammengefasst in dem einprägsamen Satz: »Ich bin Leben inmitten von Leben, das Leben will«. Dabei hat er nie verschwiegen, dass es zum Geheimnis der Schöpfung gehört, dass es in dieser Welt letztlich immer nur Leben auf Kosten von anderem Leben gibt.
Aber im Blick auf Christus hat Schweitzer dazu gesagt: »In die furchtbaren Rätsel des Seins ragt das Mitleidig-sein-können hinein.«
Nüchterner, aber sachlich verwandt hat der bedeutende evangelische Theologe Jürgen Moltmann dazu gesagt: »Es geht um die Abkehr von der Beherrschung der Natur durch den Menschen und um die Hinkehr zur Einwohnung der Menschen in das Lebenssystem der Erde«.
Wohl uns, wenn uns solche Gedanken inmitten der geschundenen Schöpfung umtreiben.
Volker Kreß war von 1994 bis 2004 Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens.
Am Welttierschutztag, 16. Oktober, findet in der Dresdner Frauenkirche, 18 Uhr, dazu ein Friedensgebet statt.
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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