Die Welt in schwarz und weiß
Fundamentalismus ist ein Kind der Angst: Die einen fürchten um ihre Freiheit, die anderen um Gottes Wort. Auch in Sachsens Landeskirche ist das zu spüren.Religion rüttelt die Menschen wieder. Auf die gesamte Menschheitsgeschichte gesehen ist das nichts sonderlich Neues – im weitgehend atheistischen Ostdeutschland allerdings schon. Zehntausende gehen auf sächsische Straßen gegen die Islamisierung des Abendlandes, Islamisten wiederum drohen mit Terroranschlägen in Dresden, und Fernsehsender recherchieren alarmierend so wie gerade der MDR über christlichen Fundamentalismus.
Hat das eine mit dem anderen zu tun? Nein – und irgendwie doch. Der Begriff des Fundamentalisten ist eine christliche Erfindung, konservative Protestanten in den USA gaben sich vor gut 100 Jahren selbst diese Bezeichnung. Sie wollten mitten im Strudel der Moderne zurück zum Fundament, zur irrtumslosen Bibel – gegen eine liberale Theologie, die historisch-kritisch jeden Stein in ihr umdrehte.
Heute ist der Begriff zum Angstbild geworden. Und zur rhetorischen Keule. Je fremder einer Gesellschaft die Religion wird, desto furchterregender erscheint sie ihr, wenn sie mehr beansprucht als nur Wellness für die Seele. Eine linksliberale Öffentlichkeit hat Angst vor einem konservativen Christentum, die Konservativen von Pegida haben Angst vor einem konservativen Islam. Auch Salafisten wollen schließlich zurück zur reinen Lehre. Das Urteil: Fundamentalismus.
Was die Kritiker am stärksten beunruhigt: Dass Gläubige aus heiligen Schriften Forderungen ableiten für die ganze, im Osten mehrheitlich nicht-gläubige Gesellschaft. Das muss als Bedrohung gesehen werden. Scharia statt Grundgesetz? In Deutschland bislang undenkbar. Doch auch der jährliche »Schweigemarsch für das Leben« in Annaberg-Buchholz, bei dem hunderte Christen gegen straffreie Abtreibungen protestieren, wird in einer Studie der grünen Böll-Stiftung als Beleg für Fundamentalismus – diesmal christlicher Art – angeführt.
Oder die Debatte über gleichgeschlechtliche Paare in Pfarrhäusern, die seit Jahren in Sachsen schwelt. Eliten in Politik, Medien und Kirchen mutet das archaisch an, oder gar rechtsextrem: Haben Grundgesetz, Wissenschaft und aufgeklärte Menschenfreundlichkeit da nicht längst das letzte Wort gesprochen? Dass Gläubige sich in ihrer Ablehnung von Homosexualität durch die Heilige Schrift gebunden fühlen, können sie nicht verstehen. Beide Seiten begegnen einander nicht selten mit einem Gefühl von moralischer Überlegenheit. Den Unmut der Unverstandenen schürt das nur noch weiter. Siehe Pegida.
Neu ist dieser Konflikt nicht. Stellt man sich die Propheten des Alten Testaments lebendig vor Augen, man würde sie heute Fundamentalisten nennen. Radikale, Feuerköpfe, göttliche Rechthaber. Ihnen ging es freilich mehr um Gerechtigkeit als um Homosexualität, um die Treue zu Gott und eine gepfefferte Watsche an eine blasse Amtstheologie ging es ihnen aber auch.
Was heute aber wirklich neu ist: Mit Gott lässt sich in einer Gesellschaft, in der viele an keinen Gott mehr glauben, nicht länger Politik machen. Die Menschen sind so frei von Bevormundung wie noch nie, und sie wollen es bleiben. Auch die Gläubigen leben – gebunden nur an Gott und ihr Gewissen, wie es Luther und die Pietisten vordachten – ihren Glauben so individuell wie noch nie. Doch zugleich suchen nicht wenige Gläubige im Meer dieser Freiheiten nach sicheren Fundamenten. Sie suchen im Überfluss all der Zweideutigkeiten das Eindeutige, das Wahre. Das Schwarz und das Weiß.
Das kann hart machen. Oder weich, wo sich das Eindeutige in der Liebe Gottes zu den Menschen finden lässt. Dies könnte ein Fundament sein, auf dem sich auch Nicht- und Andersgläubige treffen könnten. Ein Fundamentalismus ohne Bedrohung und Angst.
Weder bei Pegida noch beim Schweigemarsch für das Leben geht es nur rein um Glauben, Meinungen und Ängste.
Es geht vor allem auch um die konsequente Umsetzung von Recht und Gesetz.
Bei Pegida geht es darum, dass die dafür verantwortlichen Landesregierungen der Bearbeitung von Asylanträgen und auch konsequenten Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern (die deutlich überwiegende Mehrheit der Anträge wird bekanntlich abgelehnt) nicht nachkommen und Staatsverträge mit Religionsgemeinschaften geschlossen werden die diese bevorteilen.
Beim Schweigemarsch für das Leben geht es um eine eindeutige Entscheidung des Verfassungsgerichts, die Abtreibung zweifelsfrei als rechtswidrig eingestuft hat, die aber durch einen juristischen Trick umgangen wurde, der Abtreibung bis zur 12. Woche straffrei bleiben lässt.
Wenn Rechts- und Gesetzestreue und die Einforderung selbiger vor allem von unseren staatlichen Exekutiven als Fundamentalismus betrachtet und hingestellt wird, ist bereits jetzt jeder Staatsbürger, der sich an Gesetze hält, ein Fundamentalist, völlig unabhängig von seinem Glauben.
Leider wird diese Diskussion weitgehend ohne Fakten, dafür aber mit hochemotionalen Meinungen geführt. Dabei werden Begriffe umgedeutet, so dass die eigentliche Sachlage verkehrt wird. Aus dem Asylsuchenden wird pauschal ein Flüchtling, obwohl dieser Status erst nach Anerkennung des Asylantrages eintritt und die Abtreibung verstößt angeblich gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frauen, obwohl rechtlich eindeutig ist, dass dieses Selbstbestimmungsrecht dann endet, wenn einem anderen Menschen (in diesem Fall der ungeborene) geschadet wird.
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