Seit 25 Jahren ist die DDR Geschichte. Doch die Aufarbeitung des Unrechts aus der Diktatur ist schwierig, langwierig und teils ungerecht – auch im kirchlichen Bereich.
Vor 26 Jahren stand sie mit Zehntausenden Menschen vor der berüchtigten »Runden Ecke« in Leipzig. Sie freute sich, dass das Haus von Demonstranten besetzt worden war. Doch zugleich ärgerte sich Regina Schild, dass sie selbst nicht mit drin war in der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit. Denn die engagierte Christin wollte sicher sein, dass wirklich Schluss ist mit Einschüchterung und Bespitzelung. So meldete sich die dreifache Mutter freiwillig, um die Stasi aufzulösen und die Akten zu sichern. 8600 laufende Meter sind es bislang geworden. Und 25 Jahre, seitdem Regina Schild die Leipziger Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde leitet.
Ein Ende ihrer Arbeit – sowohl mit den Akten als auch mit den Menschen, die in ihrem Haus Beratung und die historische Wahrheit suchen – ist nicht in Sicht. Denn noch immer werden allein in Leipzig monatlich etwa 450 Anträge auf Akteneinsicht gestellt. In Sachsen waren es vergangenes Jahr über 17000 Anträge, auch beflügelt durch den 2012 eingerichteten Fonds für DDR-Heimkinder, einem Meilenstein in der Rehabilitierung von Unrechts-Opfern.
»Wir haben eine Wartezeit von drei Jahren«, sagt Regina Schild über die Frist, ehe Betroffene einen Blick in ihre Akte werfen können. In dringenden Fällen könnte die Behörde mit ihren 75 Mitarbeitern die Dokumente aber auch schneller bereitstellen. Ihre eigenen Stasi-Akten habe sie frühzeitig eingesehen. »Mir war die Klarheit wichtig«, sagt die 58-Jährige, die die Jugendweihe verweigerte und Probleme bekam, als Freunde in den Westen gingen. In den Akten fand sie die Erklärung. Doch diese Klarheit finden bei weitem nicht alle von der Stasi Verfolgten und vom SED-Unrecht Betroffenen.
Das weiß Norbert Mai aus seiner Arbeit in der Familienberatungsstelle der Stadtmission Zwickau. »Eine Benachteiligung ist gar nicht immer nachweisbar«, so der Theologe, der einer der wenigen Berater in Sachsen für die Diktatur-Folgen ist. Menschen beispielsweise, die aufgrund ihres Glaubens kein Abitur machen durften, könnten das nur selten nachweisen.
»Diese Leute leben heute oft am Existenzminimum und erfahren keine Würdigung«, sagt Norbert Mai und beobachtet, dass Diktaturopfer wieder benachteiligt sind.
Gerade im Fall der wegen ihres Glaubens verfolgten Schüler sieht die Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt, Birgit Neumann-Becker, die evangelische Kirche in der Pflicht. Diese müsse nach Ansicht der früheren Merseburger Pfarrerin für eine Erinnerung und Würdigung dieser Menschen sorgen, sagte sie auf einer Tagung zum Stand der Aufarbeitung des SED-Unrechts nach 25 Jahren.
»Ich stoße auf tiefe Erschöpfung und Verbitterung«, berichtet auch der bundesweit beratende Theologe Curt Stauss, Beauftragter des Rates der EKD für Seelsorge und Beratung von Opfern der SED-Kirchenpolitik. Die gesellschaftliche Anerkennung sei nicht ausreichend, auch im kirchlichen Bereich, meint der in Halle lebende Pfarrer im Ruhestand.
Gerade an der Basis, »in den Gemeinden als Orte des Gebets und des Gesprächs zwischen damals Verantwortlichen und Betroffenen«, sei nach seiner Wahrnehmung wenig Aufarbeitung passiert. Curt Stauss aber fordert: »Keine Untat soll vergessen sein und kein Mensch soll verloren gehen.« Der Pfarrer, der in seinen Stasi-Akten die Kopien seiner Tagebücher fand, möchte die Aufarbeitung unbedingt fortgesetzt wissen, die Suche nach Wahrheit, aber auch das Bemühen um Versöhnung. So würden Nordkirche und Evangelische Kirche Mitteldeutschland gerade aufarbeiten, wann sie Kirchenmitarbeiter gegenüber dem Staat »im Regen stehen ließen«, wie es Stauss formuliert, und Schuld auf sich nahmen. Denn vor der Versöhnung steht die Schuld.
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