Was ist uns noch heilig?
Werteverfall: Polizisten werden unflätig beschimpft, Kirchen mit Graffiti besprüht, in sozialen Netzwerken wird gehetzt, der Ton im öffentlichen Gespräch verroht. Kann man Ehrfurcht wieder lernen?
Ist uns die Ehrfurcht verlorengegangen? »Ja und Nein«, sagt Professor Anton Bucher von der Universität Salzburg. Der Religionspädagoge und Praktische Theologe beschäftigt sich seit etlichen Jahren mit dem Thema Ehrfurcht. Er verweist auf eine Umfrage, bei der Menschen auf einer Skala von null (gar keine Ehrfurcht) bis fünf (starke Ehrfurcht) ihr persönliches Empfinden angeben sollten. Immerhin erreichten Menschen mit Zivilcourage einen »Ehrfurchtswert« von 3,5, gefolgt von Ehrfurcht vor den Naturgewalten mit einem Durchschnittswert von 3,4 und den Ruhestätten der Toten mit einem Wert von 3,3. Deutlich abgeschlagen freilich die Ehrfurcht vor Kirchlichem und Religiösem (2,8), vor Nationalsymbolen (2,0) und vor Prominenz, Reichtum und Macht (1,6), berichtet »Die Welt« am 18. Juli.
Doch was ist eigentlich Ehrfurcht? Der Begriff selbst stammt aus dem 18. Jahrhundert und meint vor allem Ehrerbietung und Respekt. Ehrfurcht meint die Reaktion, wenn jemand etwas Großem begegnet, etwas, das ihn überwältigt und ebenso anzieht wie erschauern lässt. Auch wenn der Begriff Furcht darin steckt, hat Ehrfurcht nichts mit Angst zu tun, so sagen es Psychologen. Angst kommt von »innen«, Furcht kommt von »außen«.
Ehrfurcht bezieht sich deshalb immer auf etwas Reales: auf Personen oder auf Vorgänge, auf konkrete Dinge. Ehrfurcht, so gibt Anton Bucher zu bedenken, hat es nicht leicht. Zu oft wurde und wird sie missbraucht. Etwa in totalitären Systemen. Doch sie muss deswegen nichts Falsches oder Negatives sein. Bucher ist überzeugt, dass jedem Kind die Fähigkeit zur Ehrfurcht angeboren ist. Doch die Fähigkeit kann nachdrücklich beeinträchtigt werden. »Wenn Kinder etwa respektlosen Umgang mit anderen Menschen, mit der Natur oder auch mit Lebensmitteln erleben, dann führt das zur Abstumpfung«, so Bucher. Liegen die Wurzeln mangelnder Ehrfurcht aber nicht noch tiefer?
Schon Anfang des 20. Jahrhunderts warnte etwa der Soziologe Max Weber vor dem Verlust der Ehrfurcht durch die Entzauberung der Welt infolge des technischen Fortschritts. Und hat nicht letztlich selbst die Reformation durch ihre »Entzauberung« der Institution Kirche einen Anteil am Verlust der Ehrfurcht? Auch hier antwortet Bucher mit einem »Ja« und einem »Nein«. Zweifellos habe »die Zerstörung alles Magischen und Mythischen und ihr Ersatz durch Zweckrationalismen« einen negativen Einfluss. Auf der anderen Seite führe Rationalität nicht zwangsläufig zum Verlust von Ehrfurcht, wie dies etwa auch Selbstzeugnisse von Naturwissenschaftlern zeigen. »Der erste Schluck aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grunde des Bechers wartet Gott!«, sagte einst der Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg (1901–1976). Er beschreibt eine Erfahrung, die Menschen immer wieder machen, sobald sie sich einer Realität gegenüber sehen, die größer ist als sie selbst. Astronauten berichten etwa von dem unglaublichen Eindruck, den der Blick aus dem Weltall auf die Erde auf sie ausübt.
Doch es müssen nicht die großen Wunder des Kosmos sein. Der Blick auf die »kleinen Wunder« dieser Welt, auf die Berge der Alpen, auf die Schönheit und auch die »Rationalität« eines Spinnennetzes, oder der Anblick eines neugeborenen Kindes können uns ehrfürchtig erschauern lassen. Und uns zugleich eine Ahnung von der Größe des Schöpfers vermitteln. Kann man Ehrfurcht erlernen? Immerhin geben fünf Bundesländer in ihren Verfassungen die »Ehrfurcht vor Gott« als höchstes staatliches Erziehungsziel vor. »Ehrfurcht kann man nicht verordnen«, ist Bucher überzeugt. Doch die Erziehung zur Ehrfurcht beginnt für den Pädagogen mit einer »ehrfürchtigen Behandlung von Kindern«.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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