Weihnachten wird der Heiland geboren. Doch die Welt bleibt die alte, so scheint es. Kriege und Krankheiten hören nicht auf. Ändert sich etwas durch das Kind in der Krippe?
Das Leben der Maria mit Szenen der Christgeburt auf Bildtafeln, die um 1500 gemalt wurden und sich am Altar der Kirche Erlau (Kirchenbezirk Glauchau-Rochlitz) befinden. ©
Foto: Rainer Oettel
Schon vor Tagen hat Christine* die Wohnung festlich geschmückt. Heute, am ersten Advent, ist alles perfekt. Aus den Fenstern leuchten Schwibbögen, auf der Kommode im Wohnzimmer musizieren propere Englein in knappen weißen Kleidchen. Christine und Peter* freuen sich auf Weihnachten, das Zusammensein mit Eltern und Geschwistern. Dann soll es endlich einmal ruhig sein, besinnlich. Es war ein anstrengendes Jahr.
Der Advent vergeht, die Zeit rennt. Christine kommt kaum zur Ruhe. Geschenke müssen ausgesucht und besorgt werden, Freunde laden immer wieder zum Glühweintrinken auf dem Weihnachtsmarkt ein. Auch das Festessen am ersten Feiertag will geplant sein, denn dann kommen alle Verwandten zu Christine und Peter zum Gansessen. Ob es auch nicht zu eng werden wird, in der kleinen Wohnung? Ob die Gans gelingt? Christine ist aufgeregt.
Mit den Vorbereitungen ist Christine so beschäftigt, dass sie fast den Termin beim Radiologen vergisst. Seit ein paar Monaten hat sie immer wieder starke Kopfschmerzen. Kein Wunder, hat sie sich gedacht, bei dem Stress auf Arbeit! Ein wenig genervt lässt sie die lästige Untersuchung in der Röhre über sich ergehen, denkt beim Stilleliegen noch: »Die Zeit hätte ich wahrlich besser nutzen können.«
Im Gespräch nach der Untersuchung ist der Arzt sehr still. Er schaut Christine nicht an. »Sie haben einen Hirntumor«, hört Christine und kann es nicht glauben. Die Worte: Nichtoperabel und sechs Monate dringen an ihr Ohr.
Als Christine von ihren Beinen aus der Praxis getragen wird, ruft ihr die Sprechstundenhilfe heiter hinterher: »Fröhliche Weihnachten!« Christine stoppt kurz. Wie soll ich jetzt noch Weihnachten feiern, denkt sie.
Zu Hause wird ihr übel beim Anblick der Englein und dem Lichterglanz in ihrer Wohnung. Wütend räumt sie alle Weihnachtssachen weg.
Und doch wird es Weihnachten werden. Christine kann es nicht verhindern. Auch ohne Schwibbögen, Englein, Kerzenschein und Gänsebraten wird Gott Mensch. Er kommt.
Hilflos und klein liegt er in der Krippe. Andächtig, besinnlich, war seine Geburt nicht. Die junge Maria war von der Schwangerschaft überrumpelt worden. Ohne jegliche medizinische Versorgung und unter schwierigen politischen Bedingungen musste sie ihr Kind entbinden.
Gott schickt sein Kind mitten hinein in eine unvollkommene Welt, erspart ihm nichts. Nicht die Flucht nach Ägypten, nicht den schmachvollen Tod am Kreuz. Sieht so der Heiland aus? Heiligabend. Christine will nicht zum Gottesdienst gehen. »Was soll ich da?«, hatte sie ihrer Familie geantwortet.
Jetzt klingelt es an der Tür. Draußen steht die Mutter, um Christine zur Christvesper abzuholen. Gleichgültig zieht sich Christine den Mantel an.
Im Gottesdienst wird ihr erneut übel. Die beseelten Gesichter der anderen, die feierliche Stimmung sind für Christine nur schwer zu ertragen.
Dann singt der Chor: »Es kommt ein Schiff geladen.« Es ist Christines Lieblingslied, schon seit Kindertagen. Sie kann ihren Mund nicht zum Singen öffnen, doch in ihr bewegt sich etwas.
»Und wer dies Kind mit Freuden umfangen, küssen will, muss vorher mit ihm leiden, groß Pein und Marter viel. Danach mit ihm auch sterben und geistlich auferstehn. Ewigs Leben zu erben, wie an ihm ist geschehen«, heißt es in den letzten Strophen des Liedes.
Endlich laufen Christine die Tränen, das erste Mal seit der Diagnose. Endlich kann sie sich fallen lassen, kann ihre Ängste aussprechen, sich in den Arm nehmen lassen. Frieden kehrt bei ihr ein. Nicht weil plötzlich alles gut ist, sondern weil sie spürt: Gott ist da.
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