Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Erinnerung an die Novemberpogrome vor 80 Jahren als eine beständige Aufgabe eingeordnet. Die richtigen Schlüsse aus der Ausgrenzung von Menschen, aus Rassismus und Antisemitismus zu ziehen, sei nicht nur Aufgabe an einem solchen Gedenktag wie dem 9. November. »Wir sollten jeden Tag darüber nachdenken«, sagte die Bundeskanzlerin am Freitag in einer zentralen Gedenkveranstaltung an die jüdischen Opfer des 9. November 1938 in der Berliner Synagoge Rykestraße.
»Lassen Sie uns alle jeden Tag mit dem Verständnis von heute daran arbeiten, dass so etwas wie vor 80 Jahren nie wieder passiert«, sagte Merkel. Sie schlug in ihrer Rede den Bogen von den damaligen Ereignissen zu heute: Auch jetzt wieder lebten die Menschen in einer Zeit tiefgreifender Veränderungen mit rasanten technologischen Umbrüchen. In solchen Zeiten sei die Gefahr besonders groß, dass diejenigen Zulauf erhielten, die mit einfachen Antworten auf die Herausforderungen reagierten. Die demokratische Mehrheit sei gefordert, wachsam zu bleiben.
»Unbedingte Richtschnur unseres Handelns« müsse Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes sein, mahnte Merkel: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« Konkret bedeute dies, dass Menschen niemals pauschalisiert und die Gesellschaft in Gruppen unterteilt werde. Jeder habe Anspruch darauf, als Individuum wahrgenommen zu werden.
Die Bundeskanzlerin ordnete die Novemberpogrome von 1938 in ihrer Rede auch historisch ein: Die Ereignisse seien eine Wegmarke »zum Zivilisationsbruch der Schoah« mit sechs Millionen getöteten Juden gewesen; sie hätten aber auch eine Vorgeschichte gehabt. »Ich bin davon überzeugt, dass wir nur dann die richtigen Lehren ziehen können, wenn wir die Novemberpogrome von 1938 als Teil eines Prozesses verstehen«, unterstrich Merkel.
80 Jahre danach zeige sich heute ein zwiespältiges Bild: Als »unerwartetes Geschenk nach der Schoah« gebe es heute wieder blühendes jüdisches Leben in Deutschland. Zugleich sei ein besorgniserregender Antisemitismus festzustellen, der sich zunehmend offen entlade: »Leider haben wir uns beinahe schon daran gewöhnt, dass jede jüdische Einrichtung von der Polizei besonders geschützt werden muss.« Fassungslos mache der Angriff auf ein jüdisches Restaurant in Chemnitz Ende August: »Solche Vorfälle müssen nicht nur die Überlebenden der Schoah alarmieren, sie sind furchtbar für uns alle«, betonte Merkel.
An der Gedenkveranstaltung nahmen Vertreter des Judentums, von Bundesregierung, Bundestag, Kirchen und Gesellschaft teil, darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Ausdrücklich nicht eingeladen hatte der Zentralrat der Juden als Hausherr Vertreter der AfD.
Zentralrats-Präsident Josef Schuster kritisierte in seiner Rede »geistige Brandstifter« im Bundestag, ohne die AfD namentlich zu nennen. Er sagte: »Vor nichts haben sie Respekt. Sie instrumentalisieren die mutigen Widerstandkämpfer der Weißen Rose für ihre Zwecke. Sie verhöhnen die Opfer und Überlebenden der Schoah, indem sie die NS-Verbrechen relativieren. Sie betreiben Geschichtsklitterung und wollen unsere Gedenkkultur zerstören.«
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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