Donezker Hoffnung
Mitten im ukrainischen Strudel beten evangelische Christen in Donezk, Odessa oder auf der Krim um Frieden. Sie wollen Versöhnung – doch spüren auch sie den Zwist. Und manchmal ein elendes Gefühl.Sechs Besucher sind gekommen zum Gottesdienst in der lutherischen Gemeinde von Donezk. Weniger als sonst. Draußen bereiten Separatisten mit einem Referendum die Abspaltung von der Ukraine vor, auf den Straßen laufen Bewaffnete, drinnen betet das kleine Häuflein der Lutheraner zu Gott um Frieden.
»Russland ist besser als die nationalistische Regierung in Kiew«, sagt eine Frau. »Haben Sie mit Ihrer russischen Muttersprache hier einmal gelitten?«, fragt Ludmila Pelich zurück, die Vorsitzende der lutherischen Gemeinde. »Nein«, antwortet die Frau. Ludmila Pelich hat ein Sparschwein auf den Tisch in dem Gemeinderaum gestellt: Wer Streit anfängt, muss Strafe zahlen. Es gibt dieser Tage viel Grund für Streit. Die Menschen in ihrer nur 30 Köpfe zählenden Gemeinde sind zerstritten, das weiß die Vorsitzende: Die meisten seien für eine demokratische Ukraine und sähen in dem Separatismus eine Provokation Russlands – einige Alte dagegen glaubten noch an den sowjetischen Mythos.
Auf dem Weg zum Gottesdienst hat Ludmila Pelich die Menschen vor einer Schule stehen sehen, einem Wahllokal der Separatisten. Die neue Kiewer Regierung habe viele Fehler gemacht und die russischsprachigen Donezker gegen sich aufgebracht, sagt sie. Doch von Europa wünscht sie sich mehr Druck auf Putin. Als sie kurz vor dem Sonntagsgottesdienst von einer Reise zu den Schwestergemeinden auf der Krim zurückkam, sah sie vor Donezk an der Straße bewaffnete Soldaten in unbekannten schwarzen Uniformen. »Ich hatte ein elendes Gefühl.«
In den lutherischen Gemeinden auf der Krim haben die Christen an diesem Sonntag auch für den Frieden in Donezk und Odessa gebetet. Sie sprechen von den ukrainischen Städten schon wie von einem fernen Ausland. Acht Wochen nach dem erzwungenen Anschluss an Russland findet Pfarrer Markus Göring fast keine kritischen Stimmen mehr. »Ich habe den Eindruck, dass die allermeisten froh sind, dass uns eine Eskalation der Gewalt wie in Donezk und Odessa erspart geblieben ist«, sagt der Seelsorger der lutherischen Gemeinden auf der Halbinsel. Nun diskutieren sie, ob sie bei ihrer ukrainischen Mutterkirche bleiben – oder auch nach Russland wechseln.
In der Hafenstadt Odessa im Süden der Ukraine schwirren nach den Zusammenstößen zwischen Separatisten und ihren Gegnern mit über 40 Toten Gerüchte, Angst und Panik. Doch in die drei Zentren des christlichen Vereins »Lebendige Hoffnung« kommen wie immer Kinder und Jugendliche aus armen und zerrütteten Familien. »Gerade in dieser für die Ukraine schweren Zeit ist es wichtig, Orte des Friedens zu erhalten, wo die Kinder Sicherheit und Stabilität spüren«, sagt die aus dem Erzgebirge stammende Gründerin Nicole Borisuk. Vor dem Mittagessen betet sie mit ihren kleinen Gästen für den Frieden in Odessa und der Ukraine. »Wir als Christen haben die Chance, Samen der Versöhnung und Hoffnung zu säen gerade in schweren Zeiten.«
Ludmila Pelich in Donezk glaubt auch an die große Kraft des gemeinsamen Gebets. Am Nachmittag geht sie wieder an die Brücke über den Fluss Kalmius, an der sich seit Wochen jeden Nachmittag orthodoxe und katholische Priester zusammen mit evangelischen Christen zum Gebet für den Frieden treffen. Ein Häuflein Menschen kniet auf dem Fußweg, die Hände gefaltet, manche Passanten bleiben stehen, andere beschimpfen die Beter. In den letzten Wochen sollen einige auch verfolgt und verprügelt worden sein.
Der Frau in ihrer Gemeinde, die für Russland Partei ergriff, hat Ludmila Pelich duftende Kräuter geschenkt. Die Frau war ganz erstaunt, dann haben sie sich die Hände gereicht. Die duftenden Kräuter hat Ludmila Pelich von der Krim mitgebracht.
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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