Begleitet auf dem letzten Weg
Todkranke Kinder dürfen sich in Belgien töten lassen – die Kirche protestiert laut. Sie ist für die Schmerzen lindernde Palliativmedizin. Doch die gibt es für Kinder auch in Sachsen noch zu wenig.Das Thema Sterbehilfe schwelt im Bauch der Gesellschaft. Gerade erst hat die schwer an Krebs erkrankte Frau des EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider in einem Zeitungsgespräch ihren Mann darum gebeten, im allerschlimmsten Fall ihr die Hand zu halten, wenn sie das Gift trinkt – und der Kirchenmann ringt mit seiner Glaubensposition: Soll nicht Gott allein das Lebensende in seiner Hand halten?
Noch zugespitzter stellt sich die Frage, wenn es um Kinder geht. Um ihr Leiden. Und um ihr Sterben. Belgien hat vor fünf Monaten die Tötung auf Verlangen auch für die Jüngsten erlaubt, wenn sie todkrank und ihre Schmerzen unerträglich sind.
»Ich habe mit unserem gesamten Team noch nie erlebt, dass ein Kind fragt: Meine Schmerzen sind so grausam, kannst du mein Leben beenden?«, sagt der Dresdner Krankenpfleger Andreas Müller. 50 schwerkranke Kinder im Jahr begleiten Müller und seine Kollegen vom Brückenprojekt des Dresdner Universitätsklinikums – die Hälfte von ihnen begleiten sie auch in ihren letzten Tagen. Wenn es an etwas mangelte, dann nicht an Mitteln zum Sterben, sondern zum Leben.
Als Pfleger hat Andreas Müller erfahren, dass todkranke Kinder ins Krankenhaus mussten, anstatt in ihrem geliebten Zuhause zu sterben. Das wollte der evangelische Christ ändern und rief zusammen mit einer Gruppe verwaister Eltern, dem Dresdner Verein Sonnenstrahl e. V. und dem Universitätsklinikum 2001 ein ambulantes Palliativangebot für die jüngsten Patienten ins Leben – deutschlandweit eines der ersten. Die 17 Mitarbeiter des Brückenprojektes – Kinderärzte, Spezialisten für Lungen- und Krebserkrankungen, Pfleger, Sozialarbeiter und Psychologen – sind heute rund um die Uhr für die Eltern und ihre Kinder erreichbar.
Sie fahren zu Hausbesuchen zwischen Zittau und Plauen, versuchen Schmerzen so gut wie möglich zu bekämpfen, unterstützen die Kinderärzte der kleinen Patienten, stärken Familien und beraten die ambulanten Pflege- und Kinderhospizdienste vor Ort.
Seit 2007 hat jeder Patient mit einer unaufhaltsam tödlichen Krankheit Anspruch auf eine palliativmedizinische Behandlung. Sie will nicht mehr heilen, sondern Leid lindern. Bei Kindern aber ist einiges anders: Viele der kleinen Patienten mit einer lebensverkürzenden Erkrankung haben genetische Defekte, die für Ärzte schwer einzuordnen sind. Oder sie haben sehr komplexe Schmerzen und ihre Versorgung ist aufwändig und dauert lang.
30 Teams zur ambulanten Palliativversorgung für Kinder seien für ganz Deutschland nötig, fordern die zwischen Krankenkassen und der Gesellschaft für Palliativmedizin und dem Hospiz- und Palliativverband im vergangenen Jahr ausgehandelten Empfehlungen – derzeit aber gibt es erst 17. »Und fast alle haben finanzielle Probleme«, sagt Andreas Müller, der als Verhandlungsführer an dem Papier beteiligt war. Manche mit einem sechsstelligen Defizit im Jahr, heißt es in den Verbänden.
Die Gründe sind vielschichtig: Es mangele in einigen Regionen akut an speziell ausgebildeten Palliativ-Fachpersonal, sagt Marcel Globisch vom Deutschen Kinderhospizverein. In ländlichen Regionen mit wenig Kindern sind die Kosten im Vergleich zu Ballungsräumen zudem höher. Und natürlich geht es in den Verhandlungen mit den Kassen am Ende auch um viel Geld.
Auch in Sachsen gibt es zwischen Leipzig sowie den Landkreisen um Torgau und Borna für schwer kranke Kinder derzeit keine Palliativversorgung zuhause. Doch ein solches ambulantes Angebot ist im Leipziger Universitätsklinikum im Aufbau. Wann es startet, ist offen. Die Verhandlungen mit den Krankenkassen beginnen im September, teilt die AOK plus mit.
Friedrich ist sieben Jahre alt und ein Kämpfer: Er kämpfte mit dem Krebs, wollte noch so viel leben vor seinem Tod. Dann konnte er nicht mehr – und bleibt trotzdem ganz nah bei seinen Lieben. Denn Ärzte und Pfleger der Dresdner Universitätsklinik unterstützen sie - wie, das lesen Sie hier im SONNTAG-Digital-Abo.