Plötzlich ohne Zuhause
Den Bettler auf der Straße sieht man – die Familie vor der Zwangsräumung nicht. Doch Wohnungslosigkeit in Sachsen hat viele Ursachen. Etwa den fehlenden sozialen Wohnungsbau.
Rein theoretisch müsste hierzulande niemand auf der Straße leben. Und doch gibt es Menschen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind, oder gar keine Wohnung mehr haben. »Das grundsätzliche Problem ist, dass die Ursachen der Wohnungslosigkeit wenig angegangen werden«, beklagt Rotraud Kießling, Referentin für Offene Sozialarbeit bei der Diakonie Sachsen.
Menschen ohne Arbeit und Einkommen verlieren häufiger ihre Wohnung. Schulden führen zur Räumungsklage. Für Hartz-IV-Empfänger ist es oft noch schwieriger, weil die Regelsätze für Wohnraum mitunter zu niedrig angesetzt werden und die Stromkosten nicht enthalten sind. Dann sind die Beratungsstellen der Diakonie oder anderer Träger gefragt. Rund 3400 Menschen kamen im Jahr 2013 allein zur diakonischen Wohnungslosenhilfe. »Denn die Sozialgesetze sind so kompliziert, dass der Einzelne oft gar nicht weiß, was ihm zusteht«, sagt Rotraud Kießling.
Doch die gesetzlich möglichen Hilfen sind nur eine Seite. Der politische Wille ist eine andere. Das beginnt schon damit, dass in Sachsen gar keine Statistik geführt wird über die betroffenen Menschen. Nur die Träger der Beratungsstellen erfassen ihre Klienten. Und ohne vorliegende Statistik gibt es das Problem nicht, so scheint es. »Sachsen hat ja keinerlei sozialen Wohnungsbau mehr«, so Kießling. Deshalb fehlten den Kommunen oft Belegungsrechte für Menschen mit geringem Einkommen. »Prekäre Beschäftigungen nehmen zu und die Abhängigkeiten von staatlichen Leistungen wachsen, weil das Einkommen nicht mehr aus eigener Kraft bestritten werden kann.« Ein Kreislauf, der oft mit einer Räumungsklage endet.
Kein Dorf, keine Stadt ist frei von dem Problem. Und so bietet die Diakonie auch in Regionen wie dem Erzgebirgskreis Wohnungslosenhilfe an. »Dabei geht es nicht um Bettler, die auf der Straße sitzen«, sagt André Stephan, der Leiter der Wohnungslosenhilfe der Diakonie in Annaberg. Oft gebe es Verwandte oder Freunde, bei denen Betroffene ein Unterkommen finden. Beim Großteil der von Wohnungslosigkeit Bedrohten konnte mit Hilfe der Beratungsstellen die Räumungsklage abgewendet werden. Und: Es seien immer mehr junge Leute zwischen 22 und 27 Jahren, sagt André Stephan. Drogenabhängigkeit spiele eine große Rolle. »Aber auch der Rechtsanwalt und der Facharzt können betroffen sein.« Hausbau, Schulden, Scheidung seien oft Auslöser.
Zur Vorbeugung von Wohnungslosigkeit hat sich das Ambulant Betreute Wohnen bewährt. Die Diakonie hält es im Erzgebirge ebenso vor wie in den Großstädten. »Wir suchen von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen Zuhause auf«, beschreibt Matthias Müller-Findling die Arbeit des Ökumenischen Wohnprojektes Quelle e. V. in Leipzig. »Hinweise bekommen wir vom Sozialamt, aber auch von den Großvermietern der Stadt.« Die Mitarbeiter leisten dann Hilfe, »die dazu beitragen soll, die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu sichern«. Auch Krankenhäuser oder Gefängnisse melden sich, wenn jemand nach seiner Entlassung ohne Wohnung ist. Insgesamt 152 Klienten – alleinstehende Männer und Frauen, Alleinerziehende, Paare und Familien, Menschen mit Schulden oder Suchtproblemen – wurden im Wohnprojekt des Leipziger Vereins 2014 betreut.
Da ist aus Sicht der Diakonie der Koalitionsvertrag der sächsischen CDU-SPD-Regierung nur zu begrüßen. »Es gibt die Absichtserklärung, den sozialen Wohnungsbau, die Sozialberichterstattung und die Statistik in dem Bereich wieder einzuführen«, so Diakonie-Referentin Rotraud Kießling. »Ob es umgesetzt wird, weiß kein Mensch – wir beobachten das.«
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