Paul schreibt:
21. Januar 2016, 18:23
Lieber Paul,
ich habe mal ein wenig Ihre Diskussion mit einem Atheisten im Nachbarforum verfolgt.
Er hat Sie schnell durchschaut. Und mir gefiel die Laodizea-Stelle. Manchmal sind die Kinder dieser Weltzeit schlauer als die Kinder des Lichtes.
Interessant an dieser Diskussion ist die Frage, ob ein bibelkritisches Christsein missionarischer und überzeugender ist, als ein bibeltreues.
Gute Nacht, Bastl
Heilig oder historisch?
Theologen drehen jeden Satz in der Bibel um auf der Suche nach historischer Wahrheit. In Kirchgemeinden können das viele nicht nachvollziehen – auch ein Grund für die jüngsten innerkirchlichen Debatten.Was haben die Weihnachtsgeschichte, die Schöpfungserzählungen und die Übergabe der Zehn Gebote an Mose gemeinsam? Sie gehören zu den Kerntexten christlichen Glaubens – und sind, glaubt man historisch-kritischen Forschungsergebnissen, in Wirklichkeit wohl nie geschehen.
Seit der Zeit der Aufklärung klopfen Theologen ausgehend von Deutschland die Bibel Satz für Satz ab, fragen historisch-kritisch nach den Umständen ihrer Entstehung, ihrer Echtheit, sogar nach mündlichen Vorläuferquellen. Und entscheiden so mit dem Werkzeug wissenschaftlicher Wahrscheinlichkeiten, was Gotteswort ist – und was nur der jeweiligen Zeit geschuldet.
»Doch die Gemeindepraxis hat sich sehr weit entkoppelt von der akademischen Theologie«, sagt der Plauener Schulpfarrer Falk Klemm. »Die historisch-kritische Theologie schafft Distanz zur Bibel. Gemeindeglieder haben Trost in ihr erfahren und plötzlich sollen sie über sie urteilen.«
Klemm ist einer der Sprecher der Sächsischen Bekenntnisinitiative, die sich gegen die Öffnung von Pfarrhäusern für gleichgeschlechtliche Partnerschaften wendet. Die harte Debatte um die Haltung der Bibel zur Homosexualität hat hier eine ihrer Wurzeln: Viele Theologen sehen sie historisch-kritisch in der Zeit ihrer Entstehung begründet und damit als überholt an – viele konservative Christen in den Gemeinden verstehen das nicht.
Die Bekenntnisinitiative fordert deshalb Alternativen zur historisch-kritischen Theologie in den Ausbildungsstätten der Landeskirche. »Die historisch-kritische Methode geht aus ideologischen Gründen von dem Aberglauben aus, dass Gott in der Geschichte gar nicht direkt eingreifen kann. Das ist methodischer Atheismus«, kritisiert Falk Klemm. Wunder oder echte Prophetie? Die seien unter rationaler Perspektive undenkbar. »Die historisch-kritische Methode muss aus der Bevormundung durch die Vernunft herauskommen. Dann haben wir wieder Gott direkt«, fordert der Pfarrer.
Studierende mit einer konservativen Frömmigkeit haben auch an der Leipziger Universität mit der historisch-kritischen Methode zu kämpfen. »Das ist für sie oft ein schockierendes Moment«, weiß Cornelius Voigt, Studienassistent des konservativen Leipziger Theokreises. »Ich habe selbst auch großen Gewinn aus der historisch-kritischen Methode gezogen«, sagt Voigt. »Aber sie ist fast die einzige Methode in der universitären Theologie – da würde ich mir mehr Alternativen wünschen.«
Die gibt es vor allem außerhalb des historisch-kritischen Mutterlandes Deutschland. Amerikanische Theologen versuchen in der kanonischen Exegese, biblische Texte stärker von ihrer Stellung in der Bibel her zu verstehen. Aus der französischen Literaturwissenschaft kommt die Idee, die Geschichten der Bibel wie Erzählungen zu analysieren. Und dann gibt es noch die fundamentalistische Bibelauslegung.
»Jede Methode braucht Kritik und Ergänzungen«, sagt Sachsens Landesbischof Carsten Rentzing. »Den Mut dazu wünsche ich mir an den Theologischen Fakultäten – aber dafür sind sie in akademischer Freiheit selbst zuständig und diese Debatten sind in ihnen auch schon angekommen.«
Er selbst habe als Theologe immer historisch-kritisch gearbeitet und diese Methode als Segen empfunden, weil sie auch von Irrtümern befreie, betont der Bischof. »Man muss die Vernunft gebrauchen, um die Heilige Schrift zu verstehen – aber eine Verkündigung wird nur möglich sein, wenn man die Schrift selbst zu Wort kommen lässt neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen.« Für den Landesbischof ist das kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander.
Bastl schreibt:
21. Januar 2016, 23:05
Lieber Bastl,
das freut mich für Sie. Sie waren ja oft ähnlich frustriert - aus selbem Grund.
Vielleicht versuchen Sie es ja mal? Das wird bestimmt lustig.
Wissen Sie, ich will ihn ja nicht bekehren. Mich ärgert nur intellektuelle Dürftigkeit.
Daran können Sie sich sicher noch erinnern?
Herzlich
Paul
Lieber Bastl,
Das wird jetzt vielleicht etwas lang. Deshalb zwei Teile:
Danke zunächst für deine Antwort. Ja, das kann man so sehen. Die andere Möglichkeit, dass der eine Chronist Josia in oder bei Megiddo und der andere in Jerusalem sterben sahen, ist auch nicht unmöglich. Denn es steht ja geschrieben: sie brachten ihn nach Jerusalem und er starb. Jetzt frag´ mal nach dem einfachen Verständnis dieses Satzes. Nun gut, der Original-Urtext liegt uns nicht vor und die deutschen Übersetzungen übersetzen auch geringfügig verschieden.
Aber vielleicht wird an diesem Beispiel etwas deutlich, das ich damit eigentlich aussagen wollte: Welch abgehobene und skurille Diskussion entsteht dadurch. Über eine Stelle, deren eigentlicher Sinngehalt darin liegt, dass Josia letztlich dadurch zu Tode kam, weil er sich gegen Gottes Gebot überhob und in den Krieg gegen den Pharao zog. Und genau deshalb verwende ich das Wort irrtumslos in Bezug auf die Bibel nur ungern. Weil wir das Wort „irrtumslos“ oft in unserem Sinne füllen. Also: ein Irrtum ist das, was mir nicht logisch erscheint usw. So kann ich manche Plattheit in den bibl. Text hineinlesen. Aber dafür ist mir Gottes Wort ehrlich gesagt zu groß.
Dieses Füllen in unserem Sinne muss nicht immer der Fall sein, aber es ist mir das ein oder andere mal schon passiert: Wenn z.B. im Bezug auf die Hiobstelle „Er spannt den Norden aus über dem Leeren und hängt die Erde über das Nichts.“ von einem Beweis für die Gestalt der Schöpfung gesprochen wird und andererseits die Stelle aus dem gleichen Buch „Er bewegt die Erde von ihrem Ort, dass ihre Pfeiler zittern.“ der poetischen Redeweise zugeschrieben wird (hätte man da mal vor 500 Jahren nachgefragt). Und schnell ist man dann gegenüber anderen Erkenntnissen mit dem Schlagwort „Bibelkritiker“ zur Stelle.
Eherlich gesagt, tut es mir fast ein bißchen Leid, dieses Thema hier angestoßen zu haben, einmal gegenüber A. Rau, der sich dann sehr schnell zurückzieht – dabei war er ja der hier eigentlich Sprechende; und andererseits, weil damit der Anschein erweckt werden könnte, ich teile Pauls Sicht in dieser Angelegenheit. Das tue ich ausdrücklich nicht. Ich weiß aber von Menschen, denen ich im Glauben einiges verdanke (z.B. Helmut Thielicke), die selbst Überzeugungen vertraten, die bei den heutigen Bibeltreuen sofort zur Verwerfung führen würde. Und deshalb bin ich wie gesagt, etwas vorsichtiger im abschließenden Urteil.
Christoph
2. Teil:
Und nun zu deiner Frage nach meiner Herangehensweise: ich habe dazu bereits gestern vormittag etwas geschrieben. Deshalb jetzt nur kurz: die Bibel wurde von Menschen in einer bestimmten Zeit geschrieben. Die meisten Verfasser waren Juden. Und sie hatten oft mit dem, was sie niederschrieben, bestimmte Absichten. Deshalb sind es oft weit weniger bloße unbeteiligte Geschichtsbeschreibungen in unserem Sinne, sondern Verkündigungen. Das kann man beim Lesen der 4 Evangelien (oder den AT-Geschichtsbüchern) sehr gut beobachten. Damit sage ich nicht (wie Paul das so oft tut), dass sie deshalb im logischen Sinne nicht von reellen Geschehnisse berichteten. Aber all das müssen wir (besonders bei der Auslegung) beachten, um uns nicht im Klein-Klein zu verlieren.
Kennst du das Büchlein von John Stott „Christus, die Bibel und wir“? Da wird meine Herangehensweise an die Bibel recht gut beschrieben. Trotz der Tatsache, dass ich dem Autor, den ich als bibeltreu bezeichnen würde, nicht in allem folgen kann bzw. mir nicht schlüssig darüber bin. Er kommt z.B. zum Schluss, dass die Schlange und der Baum des Lebens in der Schöpfungsgeschichte Bilder sind- oder dass nicht die gesamte Erde von der Sintflut bedeckt gewesen sein muss. Aber was soll ein Streit darüber?
Meine Stellung der Bibel gegenüber drücke ich lieber mit Worten der Bibel selbst aus: Ich glaube allem, was geschrieben ist. In der Bibel haben Menschen geredet, getrieben durch den Geist Gottes. Dies Wort ist gewisslich wahr.
Unter dieses Wort stelle ich mich – im Wissen, nicht auf alles eine Antwort zu haben. Und in der Gewissheit: „Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.“
Viele Grüße und mit den besten Wünschen für den Tag
Christoph
Christoph schreibt:
22. Januar 2016, 8:13
Lieber Christoph,
ungern mische ich mich in Ihren spannenden Diskurs mit Bastl. Aber eine Korrektur: Ich meine nicht, dass es keinen Bezug zu einem reellen Geschehen gibt. Erst mal geht es um die Klärung, was wir für einen Text vor uns haben. Dann um die Frage, wie er sich - wenn er sich - auf ein reelles Geschehen bezieht. Hiob ist kein reelles Geschehen, Jona auch nicht. Das sind Lehrerzählungen. Das macht sie natürlich nicht weniger wichtig. Die Evangelien beziehen sich auf etwas reell geschehenes. Deshalb muss aber nicht alles so geschehen sein. Und auch da geht es erst mal um Textverständnis und um Texte.
Herzlich
Ihr Paul
Lieber Paul,
und gerade hier eindeutiger Widerspruch. Hiob und Jona sind historische Personen. Da Jesus und die Apostel sich auf sie beziehen, habe ich daran keinen Zweifel. Dass deren Geschichte zu Lehrerzählungen verarbeitet worden sind, tut dem keinen Abbruch. Insbesondere Hiob ist ein Paradebeispiel für das Ineinanderverwobensein von reellem Geschehen und literarischer Verarbeitung. Natürlich hat Hiob nicht so gesprochen, wie wir es heute lesen können (in Reimen und solcher Schönheit der Sprache), aber am Inhalt des uns auf lyrische Weise Übermittelten habe ich keine Zweifel.
Herzliche Grüße
Ihr Christoph
Hallo Christoph,
viele Aussagen Deines Textes erinnern mich an die Argumentation von Prof. Berthold, mit dem ich eine Diskussion zum selben Thema führte. Da ging es ursprünglich um die Historizität von Jona und Hiob. Er sah im Festhalten an der Irrtumslosigkeit eine Begrenzung der Schrift und sagte „Die Bibel ist doch mehr als nur irrtumslos.“. Ich hatte dies aber nie bestritten und entgegnete, dass die Bibel auch für mich mehr ist als „nur irrtumslos“. Vielleicht wird denen, die so denken und glauben wie ich, auch manchmal etwas vorgeworfen, was gar nicht zutrifft; z.B. dass man die Gattung des Textes nicht beachtet. Dies ist aber weder bei mir noch bei den Bibellehrern, die ich empfehle, der Fall.
Ich sehe aber, wie schon letztens geäußert, in dem Denken eine fehlende Komplementarität. Natürlich stimme ich Dir völlig zu, dass der Tod Josias wegen Ungehorsam zustande kam. Ich stimme auch J. Berthold zu, wenn er in der Hiobsgeschichte MEHR sieht als nur ein historisches Ereignis. Darum geht es mir doch gar nicht. Und dennoch wird dies uns immer wieder (indirekt) vorgeworfen. Um noch ein Beispiel zu nennen: Viele Theologen sagen zu Recht, dass die Sturmstillung Jesu uns sagen soll, dass ER die Stürme unseres Lebens stillen kann. Sie verbinden das mit einem Seitenhieb an uns, die wir darin doch angeblich NUR die Stillung eines natürlichen Sturmes erkennen. Aber das ist einfach nicht wahr. Jeder auch noch so fundamentalistische Bibellehrer würde die geistliche Anwendung verneinen. Das eine schließt das andere nicht aus.
Mit dem Geschriebenen will ich einfach sagen, dass hier oft ein Bild des materiell gesinnten Fundi aufgebaut wird, was es so gar nicht gibt. Ich sehe also sehr wohl die Tiefe der Texte und lege sie ja in Predigten auch so aus. Und trotzdem bin ich der festen Überzeugung, dass Gott auch solche Texte wie oben nicht mit, wenn auch kleinen, Ungereimtheiten versehen hat. Das heißt aber auch wieder nicht, dass ich/wir behaupte(n) auf alles eine Antwort zu haben. Ich kann auch mal eine Sache stehen lassen. Aber ich ziehe dann nicht den Schluss: „Ist ja nicht heilsentscheidend und deshalb ist es egal, ob es genauso stimmt“.
Es stimmt natürlich, dass die jüdischen Schreiber manchmal eine andere Vorstellung von Logik hatten als wir heute. Interessant ist auch, wie Jesus Zitate aus dem AT anwendet. Da würden wir nicht drauf kommen.
Die Gefahr, die ich sehe und wo man mir gern ein Sicherheitsbedürfnis anheften kann, ist dass ein Öffnen in Richtung Bibelkritik immer weiter geht. Das sieht man deutlich an der Entwicklung im Raum Gnadau/Allianz. Hier verschwimmen zunehmend die Grenzen. Michael Diener hat da viel Anteil. Aber er traf auch auf fruchtbaren Boden (sehe ich in Sachsen fast analog).
Das Buch von Stott habe ich nicht gelesen.
Beste Grüße, Bastl
Christoph schreibt:
22. Januar 2016, 9:58
Lieber Christoph,
halten Sie das lauschige Gespräch im Himmel (inkl. der witzigen Wette) auch für ein reelles Geschehen?
Dass es einen Hiob gab, der mal so richtig Pech hatte, will ich gar nicht bezweifeln. An einen Jona im Fischbauch allerdings glaube ich nicht.
Herzlich
Ihr Paul
Bastl schreibt: 22. Januar 2016, 10:36
Hallo Bastl,
na, dann sind wir ja gar nicht so weit auseinander. Vielleicht unterscheidet uns nur das Pochen auf das "genauso und nicht anders" bei nun wirklich nebensächlichen Dingen. Ich fange da nur ungern zu Streiten an.
Eine solch plakative Herangehensweise, von der du befürchtest, sie untergeschoben zu bekommen, schiebe ich dir nicht unter. Allerdings könnte es sein, dass durch das Pochen eben gerade auf das oben geschilderte manchmal dieser Eindruck entsteht. Auf der anderen Seite besteht letztlich die gleiche Neigung. Bei geringsten Unterschieden steht sofort der Vorwurf der Bibelkritik im Raum.
In Sachsen liegen die Dinge nicht so eindeutig, wie von dir befürchtet. Da ist schon noch Bewegung drin. Und es muss ja auch nicht alles sofort über die Medien breitgetreten werden.
Viele Grüße
Christoph
Paul schreibt: 22. Januar 2016, 11:11
Ja, lieber Paul,
wer bin ich, dass ich über Gott zu urteilen/richten habe? Wir werden es schon noch einmal erfahren, wie es denn ganz genau gewesen ist.
Herzliche Grüße
Ihr Christoph
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