Pogromnacht: Der 80. Jahrestag der Novemberpogrome lässt die Kirche ihre Nähe zum Judentum betonen. Auf Judenmission soll verzichtet und gegen Ausgrenzungen aufgestanden werden.
Blind gegenüber den Juden: Mit einer symbolischen Augenbinde wurde zum Gedenken an die Reichspogromnacht vor zwei Jahren diese Lutherfigur in Hannvoer versehen. ©
Julian Stratenschulte/dpa
Wenn sich am 9. November die nationalsozialistische Pogromnacht zum 80. Mal jährt, ist das für die sächsische Kirchenleitung Anlass für ein öffentliches Wort »zum gemeinsamen Weg von Juden und Christen«. Mit Blick auf den Gedenktag heißt es: »Wir beklagen, dass jüdisches Leben, wie es in Regionen unserer Landeskirche bestand, zerstört worden ist.« Es wird betont, dass christliches Zeugnis nicht die bleibende Erwählung Israels infrage stelle. »Alle Bemühungen, Juden zum Religionswechsel zu bewegen, widersprechen deshalb dem Bekenntnis zur Treue Gottes und der Erwählung Israels.« Wo die bleibende Erwählung Israels infrage gestellt werde, entstünde die Gefahr, judenfeindlichem Denken Raum zu geben.
In der Kirche ist die Erkenntnis gereift, dass der verheerende Antijudaismus auch christliche Wurzeln hat. Eindrücklich hat diese Schuldgeschichte einmal der israelische Schriftsteller Amos Oz beschrieben: die Geschichte von Judas in den Evangelien sei »das Tschernobyl des christlichen Antisemitismus«. Seither stünden Juden als Synonym für Judas: »Verräter, Gottesmörder, habgierige Betrüger.«
Dass die Kirche der nationalsozialistischen Judenverfolgung weitgehend tatenlos zugesehen hat, ist zudem nach Meinung des Leipziger Theologen Timotheus Arndt auch eine Folge des Wirkens Martin Luthers, der antijüdische Vorlagen aus der Alten Kirche aufgenommen und verstärkt habe. Doch es sei zu einfach, das Versagen der deutschen Christen gegenüber dem jüdischen Volk allein auf Luther abzuwälzen, so Arndt. Es bedürfe einer umfassenderen kritischen Aufarbeitung der eigenen Tradition. »Nach der Schoa ist allmählich aufgedämmert, dass wir ein neues Verhältnis zwischen Juden und Christen entwickeln müssen, ein Verhältnis, das unseren Gemeinsamkeiten etwa am größten Teil unserer Bibel entspricht, ein Verhältnis, das zur Solidarität führt, wenn einzelne von uns oder Gruppen bedrängt werden«, betont Arndt. Die sächsische Kirchenleitung trägt diesem neuen Verhältnis zwischen Christen und Juden nun Rechnung, indem sie von der gemeinsamen Gotteskindschaft der Christen und Juden spricht und den Verzicht auf Judenmission fordert.
Für Arndt hat das Gedenken an den 9. November aber auch viel mit der Gegenwart zu tun. Denn Ausgrenzungen anderer sei wieder verstärkt zu beobachten. Daher lautet eine Folgerung aus der Geschichte für ihn: »Wir haben festzuhalten, dass Feindschaft weder gegen Menschen, weil ihre Religion jüdisch ist, noch weil sie sich zum jüdischen Volk zählen, noch weil sie Bürger des Staates Israel sind, gelten kann. Genauso wenig können wir eine Wendung gegen Menschen weil sie sonst einem Staat, einem Volk oder einer Religion angehören akzeptieren.« Eigentlich seien das Selbstverständlichkeiten, betont Arndt. »Aber heute werden ja wieder Selbstverständlichkeiten zu beliebigen Meinungen erklärt. Auch das erinnert an Verhältnisse, die vor 80 Jahren um sich griffen.«
Zahlreiche sächsische Christen laden rund um den 9. November ein zu Gedenkveranstaltungen. In Leipzig ruft ein breites Bündnis am 8. November, 18.30 Uhr auf zu einer Gedenkdemonstration ab dem Ariowitsch-Haus (Hinrichsenstraße 14). In Chemnitz laden das Evangelische Forum und die jüdische Gemeinde am 9. November, 18 Uhr ein zum Shabbatgottesdienst mit anschließender Begegnung in die Synagoge (Stollberger Straße 28; Anmeldung über das Evangelische Forum). Und in Dresden findet am 9. November, 14 Uhr in der Neuen Synagoge eine Gedenkveranstaltung mit Gespräch über das Thema »Ausgrenzung und gesellschaftlicher Zusammenhalt« statt sowie am 11. November, 11 Uhr eine Gedenk-Fahrradtour auf den Spuren jüdischen Lebens ab der Kreuzkirche.
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