»Wir kommen von der Kirche«
Hanno Schmidt war ab 1973 erster Pfarrer in der Bonhoeffergemeinde im Chemnitzer Fritz-Heckert-Gebiet – sie feiert in diesem Jahr 40. Bestehen.Herr Schmidt, wie war es zu Beginn, im Heckert-Gebiet zu arbeiten?
Hanno Schmidt: Am Rande des Neubaugebietes gab es eine kleine Kapelle. Die haben wir gemeinsam mit den Katholiken genutzt. Das war gut, dass wir das hatten. Wir dachten, die Kommunisten wollen keine Kirche. Wir hatten uns darauf eingestellt, dass das so bleibt, dass nur Wohnungen gebaut werden, dass sich auch unsere kirchliche Arbeit und das Gemeindeleben wir Hauskreise da abspielen wird. Für größere Veranstaltungen musste man in benachbarte Kirchen gehen.
Wie haben Sie Mitstreiter gefunden?
Wir haben als erstes Leute gesucht, mit denen wir arbeiten konnten. Daraus haben wir eine Leitungsgruppe gemacht, aus der später ein Kirchenvorstand wurde.
Und wie wurden die Zugezogenen auf christliche Angebote aufmerksam?
Wir bekamen vom Staat keine Unterlagen, wer zuzieht. Und wir konnten nicht einfach etwas in den Briefkasten werfen. Deshalb haben wir einen Besuchsdienst organisiert. Du musstest aufpassen, dass die Stasi dir nicht in die Quere kommt. Du durftest nicht klingeln und sagen, »Sind Sie evangelisch?« Das wäre eine Befragung gewesen, die hätte man genehmigen lassen müssen – das hätten die nicht erlaubt. Also haben wir geklingelt und gesagt: »Wir kommen von der Kirche. Wir wissen nicht, ob sie evangelisch sind.« Dann haben sie ja oder nein geantwortet. So haben wir jede Woche einen Block besucht und Wohnungsspiegel erstellt. Wir haben dann offene Abende speziell für Neubauleute gemacht.
Nicht alles war geduldet?
In Gemeinschaftsräumen altersgerechter Blöcke habe ich angefangen, Bibelstunden zu halten. Doch schlagartig durfte ich nicht mehr rein. Es gab einzelne Schikanen, das konnte man nicht voraussagen.
Dann war Erich Honecker gezwungen, neue Kirchen zu bauen. Auch in Chemnitz sollte eine Kirche entstehen.
Die Blöcke auf den Hügeln ringsum wuchsen. Da wurde ich gefragt, kannst du dir vorstellen, eine Kirche zu bauen? Ein Bauernhaus wurde dafür abgerissen. Wir haben mit anderen Neubaugebieten Kontakt aufgenommen und überlegt, ob wir einen gemeinsamen Bautyp machen, damit es schneller geht und billiger wird. Da sind wir davon abgekommen.
Ich wollte ein großes Glasfenster mit Blick auf die Häuser – das Kreuz hätte dann sichtbar mittendrin im Sozialismus gestanden. Das hat aber leider nicht geklappt. Aber die Zeit des Kirchbaus - hat die Gemeinde motiviert und zusammengeschweißt.
Wie entstand der Name?
Wir befragten die Gemeinde – wie wollen wir uns nennen? Wir hatten drei Vorschläge zur Auswahl: Christophorus, Bonhoeffer oder Schalom. Es wurde sich dann für Dietrich Bonhoeffer entschieden. Das passte gut, denn das Wohngebiet ist ja auch nach Widerstandskämpfern benannt. Wir wollten ja eine Kirche für andere sein. Andere kamen dann auch zu uns, wie eine Gruppe Homosexueller. Wir engagierten uns für Frieden, Abrüstung und gegen Militarismus .
Die Arbeit blieb nicht unbeobachtet.
Die Partei hatte ein besonderes Augenmerk auf uns. Sie haben uns IMs geschickt – die meldeten, was Besonderes bei uns läuft. Doch bei uns war alles anders. Zum anderen sollten sie für Streit sorgen –»Differenzierungsmaßnahmen« unter uns Mitarbeitern. Wir ahnten oder vermuteten es – einer von uns, der muss ein Spitzel sein.
Doch das Nachdenken, wer es sein könnte, hätte für Mißtrauen geführt – so haben wir das nicht gemacht. Diese innere Freiheit hat uns geholfen. Wir haben die Stasi dann absichtlich geärgert, kein Kissen auf Telefon gelegt. Sie sollen doch hören, was wir machen – ganz bewußt – sie sollten merken, dass wir uns nicht aus Angst vorsehen.
Wer waren die Stasi-Spitzel?
Zwei Mitarbeiterinnen im Büro waren Stasi, der Kantor war Stasi und auch der Friedhofsmeister. Das haben wir später in den Unterlagen der Gauck-Behörde erfahren. Das war verdammt hart.
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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