Die grüne Reformation
Kirche und Mitwelt: Die Erde steht vor dem Kollaps. Lange blieb die Kirche passiv im Umweltschutz. Dabei ist das ihre ureigenste Aufgabe – denn Gott wohnt in seiner Schöpfung.
Die Lage ist ernst. Am 26. Januar wurden die Zeiger der symbolischen Weltuntergangsuhr auf zweieinhalb Minuten vor Zwölf vorgerückt. Das heißt: im Jahr 2017 schätzt ein Gremium aus renommierten Wissenschaftlern das Risiko einer globalen Katastrophe als noch höher als im Vorjahr ein.
Ein Hauptgrund: der ungebremste Klimawandel. Es wird – trotz der erfolgreichen UN-Klimakonferenz 2015 – nach wie vor zu wenig dafür getan, die globale Klimaerwärmung auf eine maximale Steigerung von zwei Grad Celsius zu begrenzen. Die Folgen sind ausrechenbar: Wenn die Industrie- und Schwellenländer ihren Treibhausgasausstoß nicht drastisch senken, könnte die Durchschnittstemperatur auf der Erde bis zum Ende des Jahrhunderts um weitere vier Grad ansteigen. Und das bedeutet: Dürren, Hitzewellen, Überschwemmungen, Wüstenbildungen, das Verschwinden ganzer Landstriche.
Und was tut die Kirche? Sie wacht langsam auf, auch im Westen. Lange Jahre hatte man den Umweltschutz speziellen Gruppen überlassen und an die Ränder des Kirchentages oder in Basisgruppen ausgelagert. Nicht selten wurden die »Öko-Christen« belächelt und verspottet als Weltretter in Birkenstocksandalen. Doch heute dürfte solcher Spott im Halse stecken bleiben. Denn: »Nichts befördert die Katastrophe so sehr wie gelähmtes Nichtstun«, betont der umwelttheologische Vordenker Jürgen Moltmann und fordert ein neues »ökologisches Zeitalter«. Das heißt, auch die Theologie und Kirche müsse lernen, dass ein Weltbild, das den Menschen im Zentrum sieht, verabschiedet werden muss zugunsten eines Weltbilds, das alles Leben in der Mitte sieht.
Die ökologische Frage ist auch eine theologische. Denn es gilt, die Erde als das »Haus Gottes« zu schützen und die Vorstellung der Heiligkeit allen Lebens zurückzugewinnen. Moltmanns Formel lautet: »Gott atmet durch die ganze Schöpfung.« Seiner Ansicht nach wurde Gott viel zu lange ins Jenseits verbannt und von der Erde ferngehalten. Es sei höchste Zeit, ihn wieder zu erkennen in all seinen Geschöpfen.
Papst Franziskus hat diesen Sinneswandel schon vollzogen. In seiner viel beachteten Umwelt-Enzyklika »Laudato si« von 2015 geiselt er eine Theologie, die einen »despotischen Anthropozentrismus« begründet. Er rückt radikal die Schöpfung in die Mitte und spricht von der »Schwester Erde«, die aufschreit unter ihrer grenzenlosen Ausbeutung. Er erinnert daran, »dass wir selber Erde sind«.
Konkret bedeutet das etwa eine Kritik an der industriellen Landwirtschaft, wie der Münsteraner Theologe Rainer Hagencord erklärt. »Dieses System kennt eigentlich nur Verlierer: Boden, Wasser, Luft, Artenvielfalt, die Würde der Tiere, Landwirtinnen und Landwirte, unsere Gesundheit«, so Hagencord. Und letztlich gebe es nur zwei Gewinner: die Fleisch- und die Pharmaindustrie – »die größten Protagonisten in dem Spiel einer Wirtschaft, die vor allem eines tut: sie tötet!«
Daraus ergeben sich laut Hagencord ganz praktische Überlegungen für die Kirche. Ob zum Beispiel in den kirchlichen Kantinen auf industriell erzeugte Lebensmittel verzichtet wird. Oder ob beim nächsten Gemeindefest kein Industrieessen angeboten wird.
Es scheint allerdings, als hinke insbesondere die deutsche Kirche diesen öko-theologischen Einsichten hinterher. So heißt es in einer Mitte Februar erschienenen Studie von Lutherischer Kirche und Katholischer Bischofskonferenz zur Menschenwürde: »Den Ausdruck ›Würde‹ beziehen wir auf Menschen und unterscheiden sie so von Sachwerten und Schutzrechten von Tieren.« Also: keine Würde für alle. Der Weg zu einer dringend notwendigen Ehrfurcht vor allem Leben scheint in der Kirche noch ein weiter zu sein.
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Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna